Ernährung: Die zehn größten Irrtümer

Von Norbert Heimbeck
Kalorienzählen frustriert – wer sich stattdessen regelmäßig bewegt und sich abwechslungsreich mit Obst und Gemüse ernährt, darf zwischendurch auch mal ein Stück Kuchen ohne schlechtes Gewissen futtern. Foto: Elisabeth von Pölnitz-Eisfeld Foto: red

„Wenn ich die Torte nur anschaue, nehme ich schon zu!“ Dieser oft gehörten Klage stehen jene bewunderten Mitmenschen gegenüber, die zum Braten auch mal drei Klöße verdrücken und trotzdem schlank bleiben. Essen, was man mag? Oder Kalorien zählen und ausgeklügelte Gesundheitspläne befolgen? Wir gehen zehn typischen Ernährungsirrtümern auf den Grund.

 
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Irrtum 1: Fett macht fett

Viele Menschen glauben, dass sie durch fette Speisen zunehmen. „Das ist ein kapitaler Irrtum,“ sagt Prof. Stephan Clemens. Denn der Körper mache Fett aus Zucker. Ein größeres Risiko für Übergewicht ist also die in Lebensmitteln versteckte Süße. Der alltägliche Zuckerkonsum sei ein Diabetes-Risiko par excellence, sagt der Physiologe. Ernährungswissenschaftlerin Simone Eckert bestätigt das: „Süße Getränke sind eine reichhaltige Kalorienquelle. Statt sogenannter Softdrinks sollte man einfach Wasser oder ungesüßte Tees trinken.“ Fett ist in kleinen Mengen sogar nützlich, zum Beispiel um bestimmte Vitamine im Gemüse für den Körper verwertbar zu machen. 30 Prozent der täglichen Energiezufuhr sollten aus Fetten stammen.

Irrtum 2: Vegane Ernährung ist automatisch gesünder

„Für Kinder, Schwangere und stillende Frauen ist vegane Ernährung nicht zu empfehlen,“ sagt Simone Eckert. Wer sich auch bei vollständigem Verzicht auf tierische Produkte gesund ernähren möchte, braucht umfangreiches Wissen, zum Beispiel über eine ausreichende Versorgung mit Vitamin B12, das ausschließlich in tierischen Lebensmitteln enthalten ist. Da es auch übergewichtige Vegetarier und Veganer gibt, scheint der Beweis erbracht: Verzicht auf Fleisch ist nicht automatisch gesünder. Andererseits tut man sich durch einen großen Anteil von Obst und Gemüse in seiner Ernährung sicher nichts Schlechtes. Wer die Diskussion über Veganismus zum Anlass nehme, seine Lebensweise insgesamt zu überdenken, mache bestimmt nichts verkehrt, sagt Eckert.

Irrtum 3: Ballaststoffe sind schlecht

„Es ist ein Fehler, keine Ballaststoffe zu sich zu nehmen“, sagt Prof. Stephan Clemens. Am einfachsten sei dieser Fehler auszugleichen, wenn man Vollkornprodukte statt aus Weißmehl Gebackenes verspeise. Auch der tägliche Verzehr von Gemüse versorge den Körper mit Ballaststoffen. Clemens: „Inzwischen liegen auch Daten vor, dass das unsere Darmflora positiv beeinflusst.“

Irrtum 4: Alle Milchprodukte sind gesund

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) nennt als Tagesbedarf 1000 Milligramm Kalzium für Erwachsene. Frauen schaffen davon immerhin etwa 800, Männer kommen nur auf 730 Milligramm. Milchprodukte sind eine gute Kalziumquelle. „Aber keine Fruchtzwerge, essen Sie lieber Naturjoghurt,“ sagt Simone Eckert. Denn in den stark verarbeiteten Industrieprodukten lauert die Zuckergefahr. Besser ist es, frisches Obst ins Joghurt zu schnippeln.

Wer Nachwuchs im Kindergarten hat, kennt das: Alle paar Monate bringen besorgte Mütter Flugblätter mit, auf denen Milch grundsätzlich als ungesund dargestellt wird. Zusammen mit dem Max-Rubner-Institut hat das Kompetenzzentrum für Ernährung wissenschaftliche Studien zum Milchkonsum analysiert. Ergebnis: Bei normalem Konsum besteht kein Grund zur Sorge. Kalzium und Vitamin B2 aus Milch sind vom menschlichen Körper besonders leicht verwendbar. Empfohlen sind zwei bis drei Portionen Milchprodukte – inklusive Käse – pro Tag.

Irrtum 5: Sport und Ernährung sind zwei Paar Stiefel

Das Gute am Sport, sagt Stephan Clemens, ist: „Er verbraucht Kalorien.“ Man muss keinen Leistungssport betreiben, sagt der Wissenschaftler. Aber das Fahrrad statt das Auto benutzen und Treppen steigen statt Lift fahren, seien schon wertvolle Ansätze: „Regelmäßige Bewegung ist ein Faktor, der die Entstehung von Diabetes, Alzheimer und Herzerkrankungen verhindern kann.“ Bewegung gehöre zur Physiologie des Menschen: „Darin unterscheiden sich alle anderen Primaten vom Menschen: Er ist ist das einzige Tier, das in der Mittagshitze Marathon laufen kann.“

Irrtum 6: Kalorien zählen hilft

Kalorien, berichten frustrierte Diät-Opfer, seien kleine Tierchen, die nachts die Klamotten enger schneidern. Simone Eckert sieht das ein wenig wissenschaftlicher: „Unser Tagesbedarf richtet sich nach den körperlichen Aktivitäten. Ein Büroarbeiter braucht weniger Energie als ein Holzfäller.“ Das Gesundheitsgeheimnis sei simpel: Nur so viel Energie aufnehmen wie man verbrauchen könne. Zwar liefert ein Gramm Fett mehr Kalorien als die selbe Menge Kohlenhydrate. Aber wer dauernd mit der Nährwerttabelle neben dem Teller hantiert, bremst Lebensfreude und Genuss. Laut Eckert ist es viel wichtiger, auf eine bunte Mischung im Speiseplan zu achten: Viel Obst und Gemüse, möglichst frische Zutaten statt stark verarbeitete Lebensmittel, lieber mehrere kleine Portionen als wenige überreiche Mahlzeiten.

Irrtum 7: Drei Bier sind auch ein Schnitzel

Bier ist flüssiges Brot, heißt es. Das bedeutet, dass man seinen Kalorienbedarf auch mit Alkohol decken kann. Auch wenn das rein rechnerisch funktioniert – vom gesundheitlichen Standpunkt aus ist es völlig falsch. Denn Alkohol liefert nicht nur reichlich Kalorien, sondern stellt auch allerhand unangenehme Dinge mit unserem Körper an. Dazu braucht man nicht einmal einen Vollrausch – auch regelmäßiger Konsum ist schädlich. Gesundheitsexperten empfehlen simples Wasser als Getränk der Wahl. Das kann durch Zugabe von Obststückchen oder Ingwerscheiben sanft aromatisiert werden, sagt Simone Eckert, und wird deshalb nicht langweilig. Genügen zu trinken ist aus vielerlei Gründen wichtig: Es regt den Stoffwechsel an, fördert die Gedächtnisleistungen und verbessert die Konzentration spürbar. Der tägliche Mindestbedarf an Flüssigkeit liegt bei einem bis eineinhalb Litern.

Irrtum 8: „Frei von“-Lebensmittel sind gesünder

Glutenfrei, laktosefrei, fettfrei, zuckerfrei, kalorienreduziert – Lebensmittel mit den Inhalten anzupreisen, die gar nicht drin sind, ist eine Marketingmasche, die zu unglaublichen Auswüchsen führt: So wirbt ein Mineralwasser mit dem Argument „Laktosefrei“. Simone Eckert sagt: „Häufig ist ein Verzicht auf bestimmte Inhaltsstoffe gar nicht nötig. Nur etwa fünf Prozent der Bevölkerung vertragen kein Gluten.“ Unverträglichkeiten für Gluten oder auch Laktose seien vom Arzt einwandfrei feststellbar. Wer nicht nachgewiesenermaßen auf bestimmte Lebensmittel verzichten müsse, brauche modischen Trends nicht zu folgen.

Irrtum 9: Gesunde Ernährung macht nicht gesünder

Herz- und Kreislaufversagen ist die häufigste Todesursache in Deutschland. Zur Vorbeugung gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die Ernährung spielt dabei ebenfalls eine wichtige Rolle. Bestimmte Fette zum Beispiel in Raps- und Olivenöl sowie Meeresfischen sollen sich positiv auf das Gefäßsystem auswirken – die sogenannte Mittelmeerdiät wird dafür verantwortlich gemacht, dass Italiener, Spanier und Griechen seltener an Herzinfarkt sterben als Nordeuropäer.

Irrtum 10: Tischkultur ist nur etwas für Spießer

Die Anforderungen der modernen Berufswelt sind schuld: Für immer mehr Menschen wird Essen zur Nebensache, sie haben den Teller neben der Tastatur stehen, futtern schnell einen Happen auf dem Weg zum nächsten Termin und schauen neidvoll auf die Franzosen, die für ein ganz normales Mittagessen schon mal drei Stunden brauchen. Zur Tischkultur gehören nicht nur schönes Porzellan und saubere Servietten, es ist auch wichtig, dass wir uns Zeit nehmen zum Essen und den Genuss nicht zu kurz kommen lassen. Wer langsam kaut, tut auch seinem Verdauungssystem etwas Gutes. Wer häufig neben seiner Arbeit isst, verzehrt oft größere Portionen als derjenige, der sich ganz aufs Essen konzentriert.

Info: Simone Eckert ist am Kompetenzzentrum für Ernährung (Kern) in Kulmbach für den Wissenstransfer zuständig. Prof. Stephan Clemens ist Physiologe an der Universität Bayreuth und Sprecher des Profilfeldes Lebensmittel- und Gesundheitswissenschaften.

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