Viren-Gene in menschlicher DNA Blinde Passagiere im Erbgut können Pyscho-Erkrankungen auslösen

Markus Brauer
Nicht nur heutige Viren machen krank. Auch die Gen-Reste von uralten Viren im Erbgut können zu Erkrankungen der Psyche und des Nervensystems führen. Foto: Imago/Science Photo Library

Haben Sie gewusst, dass fünf bis acht Prozent unserer DNA von Viren stammen? Es sind die genetischen Überreste von Infektionen, die unsere Vorfahren in ihrer Evolutionsgeschichte durchlebten. Forscher haben jetzt herausgefunden, dass einige von ihnen schwere psychische Erkrankungen mitverursachen können.

 
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Unter den vielen Überbleibseln von uralten Viren-Genen im menschlichen Erbgut sind einige bis heute noch sehr aktiv. Sie können psychische Krankheiten wie Schizophrenie, Depression oder bipolare Störung mitverursachen, wie jetzt eine Studie von Rodrigo Duarte vom King’s College London und seinem Team enthüllt.

Die Forscher haben einige der negativen Effekte dieser „blinden Passagiere“ in der DNA des Menschen ausfindig gemacht. Ihre Studie ist im Fachmagazin „Nature Communications“ erschienen.

Fünf bis acht Prozent unserer DNA stammt von uralten Viren

Das menschliche Erbgut ist ein über tausende und zehntausende von Jahren entstandenes Sammelsurium an Informationen. Fünf bis acht Prozent unserer DNA stammt dabei von uralten Viren. Es handelt sich um die genetischen Überreste von Infektionen, die unsere Vorfahren in der Evolution des Homo sapiens durchlebten.

Lange galten diese sogenannten humanen endogenen (im Körper entstehenden) Retroviren (abgekürzt: HERV, englisch: Human Endogenous Retroviruses) als inaktiver „DNA-Abfall“. Doch inzwischen ist klar, dass die genetischen Viren-Reste bis heute im menschlichen Organismus ausgesprochen aktiv sind. Sie stammen von ERVs: Das sind endogene Retroviren, die ihre Erbinfomation durch DNA-Integration über die Keimbahn bei Menschen oder Tieren vererben. Retroviren besitzen die Fähigkeit, ihr Genom (Erbgut) in das Genom der Wirtszelle (etwa des Menschen) einzufügen.

Einige dieser inaktiven Retroviren fördern das Muskelwachstum, schützen vor Krebs oder unterstützen die Entwicklung des Embryos. Andere wiederum können neurodegenerative Krankheiten wie Multiple Sklerose oder eben psychische Erkrankungen begünstigen.

Fünf bis acht Prozent unserer DNA stammt dabei von alten Viren. Es handelt sich um die genetischen Überreste von Infektionen, die unsere Vorfahren in der Evolution des Homo sapiens durchlebten. Foto: Imago/Depositphotos

Forscher fahnden nach Viren-Abfällen im Gehirn

Für ihre Studie hatte das Team um Rodrigo Duarte die Genaktivität in Gewebeproben aus dem im Stirnbereich liegenden präfrontalen Cortex des Gehirns von knapp 800 Menschen mit und ohne psychiatrische Erkrankungen analysiert. Daneben verglichen sie die DNA-Sequenzen zusätzlich mit einer Genom-Datenbank tausender Vergleichspersonen. Dadurch konnten sie herausfinden, welche der aktiven Gene viralen Ursprungs sind.

In einem zweiten Schritt untersuchten die Wissenschaftler, welche HERVs bei Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie, bipolarer Störung, Autismus oder Depression deutlich aktiver sind. „Wir wissen, dass diese Erkrankungen eine substanzielle genetische Komponente aufweisen“, erklärt Duarte. „Wir haben nun spezifisch die zu endogenen Retroviren gehörenden Teile unseres Erbguts daraufhin untersucht.“

Die Experten untersuchten, welche HERVs bei Menschen mit psychischen Erkrankungen deutlich aktiver sind (Symbolbild). Foto: Imago/Dreamstime

Fünf virale Erreger entdeckt

Schließlich konnten die Forscher fast 5000 aktive virale Gene im Gewebe des menschlichen Stirnhirns ausmachen. Von diesen zeigten 26 Aktivitätsmuster, die mit psychischen Erkrankungen verknüpft waren. Fünf dieser endogenen Retroviren erwiesen sich dabei als besonders signifikant und einflussreich.

„Zwei dieser HERV-Signaturen sind spezifisch für Schizophrenie, eine ist für Schizophrenie und bipolarer Störung signifikant und eine bei schwerer Depression“, berichten die Wissenschaftler. Bei anderen psychischen Erkrankungen wie Autismus oder der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) wurden sie hingegen nicht fündig.

Einige der inaktiven Retroviren sind für den Menschen nützlich, andere können Krankheiten begünstigen. Foto: Imago/Dreamstime

Neue Ansätze für  Therapie psychischer Erkrankungen

„Unsere Ergebnisse legen nahe, dass solche endogenen viralen Sequenzen wahrscheinlich eine größere Rolle im menschlichen Gehirn spielen als ursprünglich angenommen“, erläutert Seniorautor Timothy Powell vom King’s College London. „Dabei sind spezifische HERV-Expressionsprofile mit einer erhöhten Anfälligkeit für bestimmte psychische Erkrankungen verknüpft.“

Die Suche nach den Faktoren, welche die mentale Gesundheit beeinflussen, gleicht einem Gang durch ein Labyrinth. Foto: Imago/Dreamstime

Nach Ansicht der Wissenschaftler könnten dies neue Ansätze für die Diagnose und Therapie der psychischen Erkrankungen bieten. „Ein besseres Verständnis dieser uralten Viren und der an psychischen Erkrankungen beteiligten Gene könnte die Erforschung mentaler Gesundheit revolutionieren und neue Wege eröffnen, solche Störungen zu behandeln oder zu diagnostizieren“, sagt Koautor Douglas Nixon von der Cornell University in New York.

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