Dass die Menschheit gänzlich ausstirbt, glauben die Anhänger nicht. Nach ihrer Vorstellung führen zusammengebrochene Lieferketten, Öko- und Wirtschaftssysteme dazu, dass sich die restlichen Überlebenden in Kleingruppen durchschlagen müssen. Back to the roots: Man fühlt sich unwillkürlich an das Werden der Menscheit in der Steinzeit erinnert.
Zwar berufen sich die Kollapsologen auf die Wissenschaft, zitieren Berichte des Weltklimarats und geben sich bewusst einen wissenschaftlich klingenden Namen. Die Vertreter in Deutschland behaupten indes nicht, ihre Prognosen wissenschaftlich belegen zu können. „Das Thema ist so komplex, dass es wissenschaftlich gar nicht erforscht werden kann und wir uns wieder auf die Intuition verlassen sollten“, betont Prinz.
Studien zu einem so alles umfassenden Thema wie dem Zusammenbruch der menschlichen Gesellschaft finden sich kaum. Jobst Heitzig, Mathematiker am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, verwundert das nicht. „Prinzipiell lässt sich nicht seriös sagen, wie wahrscheinlich ein Zivilisationszusammenbruch ist. Man kann aber Szenarien entwickeln, wie es ablaufen könnte.“
Mit seinen Kollegen versucht Heitzig Modelle zu erarbeiten, die komplexe und große Zusammenhänge in unserer Gesellschaft erklären können. „Fridays for Future hat die Politik beeinflusst und das Konsumentenverhalten hat einen Einfluss auf das Klima. Wir versuchen solche Zusammenhänge seriös abzubilden“, erklärt Heitzig. Es gehe darum, Wechselwirkungen zu verstehen, nicht Vorhersagen zu machen.
Gibt es Hinweise auf einen globalen Zusammenbruch?
Unweigerlich stoße man dabei auf die Frage nach einem möglichen Kollaps. „Bei der momentanen Zivilisation stellen wir fest, dass es einen sehr, sehr hohen Grad an internationaler Abhängigkeit im Wirtschaftssystem gibt“, berichtet Heitzig. Solche Abhängigkeiten machten Gesellschaften weniger resilient. „Da könnte es Dominoeffekte geben, die vergleichbar mit einem Multiorganversagen beim Menschen sind“.
So pessimistisch wie die „Kollapsologen“ ist Heitzig aber nicht. „Ich würde zustimmen, dass es einige Hinweise darauf gibt, dass die Zivilisation zusammenbrechen kann, zum Beispiel durch einen global eskalierenden Gewaltkonflikt oder eine schwere globale Wirtschaftskrise“, sagt er.
Beides könne durch Folgen des Klimawandels begünstigt werden. „Aber es gibt eben keine klaren Hinweise darauf, dass das wirklich passieren wird oder wie wahrscheinlich es ist.“
Auch zeitlich sei aus wissenschaftlicher Sicht keine seriöse Einschätzung möglich. „Wenn man im Nebel auf einen Abgrund zufährt und nicht weiß, wie weit er entfernt ist, wäre ein vernünftiger Rat: ‚Tretet auf die Bremse‘“, so der Forscher. „Wir können den Klimawandel ja bekämpfen und wir können unsere Gesellschaft und unser Wirtschaftssystem resilienter machen“.
Kommt das Schlimmste erst noch?
Dafür sei es zu spät, finden die Kollapsologen. Der Zusammenbruch gehe vielleicht in ein paar Jahren los oder sei bereits unbemerkt im Gange. Die Teilnehmer des "Klima-Kollaps Cafès" betonen, sie seien „hoffnungsfrei“. Sie möchten sich emotional lieber auf das Schlimmste vorbereiten. Prinz ärgert sich sogar über Interviews, in denen Klimawissenschaftler gefragt werden, ob es noch Hoffnung gibt.
Für die Psychoanalytikerin Delaram Habibi-Kohlen, Gründerin der Arbeitsgruppe Klima in der Deutschen Gesellschaft für Psychotherapie (DGPT), ist die Frage nach Hoffnung nur menschlich. Sie beschäftigt sich seit dem Jahr 2010 mit dem psychologischen Aspekt der Klimakrise und ist außerdem bei den „Psychologists for Future“ aktiv.
Hoffnung vs Alarmismus
„Ohne Hoffnung können wir nicht leben“, meint die Psychologin. Die entscheidende Frage sei, worauf die Menschen hoffen könnten. „Dass wir weiterleben können wie bisher, ist illusorisch.“ Ein lebenswertes Leben mit vielen Anpassungen und auch Verzicht führen zu können, sei dagegen nicht unrealistisch.
Es sei wichtig, die Gefahr durch ökologische Krisen deutlich zu machen und gleichzeitig weiter darüber nachzudenken, was man tun wolle, sagt Habibi-Kohlen. Sie warnt vor zu viel Alarmismus: „Das eröffnet bei Menschen so wenig Spielraum für die Vorstellungskraft. Dann sagt doch jeder: „Ja, was soll ich da machen?“
Aktivismus trotz Aussichtslosigkeit
Von Resignation sei aber im „Klima-Kollaps-Café“ keine Spur, behauptet Gründer Prinz. Es löse in der Gruppe kein Fatalismus aus, zu wissen, dass es nichts mehr zu retten gebe. „Gerade dann, wenn nichts mehr zu erreichen ist, ist es notwendig noch mal für alles zu kämpfen“, unterstreicht der 45-Jährige.
Die meisten Teilnehmer der Gruppe kommen demnach aus dem Klimaaktivismus, manche haben bei der Letzten Generation mitgewirkt. In irgendeiner Form seien alle Teilnehmenden auch jetzt noch aktiv, so Prinz.
Info: Mismatch-Theorie
Menschheit in der Sackgasse
Die Menschheit läuft Gefahr, sich selbst in ihrer Entwicklung in Sackgassen zu manövrieren, aus der es kaum noch ein Entrinnen gibt. Insgesamt 14 solcher Evolutionärer Fallen haben schwedische Forscher in einer neuen Studie ausgemacht. Darunter sind Klima-Kipppunkte und Umweltverschmutzung genauso wie eine falsch ausgerichtete künstliche Intelligenz und die Beschleunigung von Infektionskrankheiten. Wenn sich Merkmale, die für die Evolution einer Gattung einst vorteilhaft waren, sich aufgrund von Umweltveränderungen plötzlich nachteilig auswirken, spricht man von einer Evolutionären Falle oder Evolutionären Diskrepanz. Dieses evolutionsbiologische Konzept wird auch als Mismatch-Theorie bezeichnet.
Anthropozän
Das Forscherteam um den Umweltökologen Peter Søgaard Jørgensen sieht solche evolutionäre Fallen auch für die Menschheit gegeben. Insgesamt sei ihre soziokulturelle und zivilisatorische Evolution eine „außergewöhnliche Erfolgsgeschichte“, deren Ergebnis das Anthropozän darstelle – also das Erdzeitalter des Menschen –, wie es in der Untersuchung heißt. Doch das Anthropozän zeige Risse: Globale Krisen wie Covid-19-Pandemie, Klimawandel, Ernährungsunsicherheit, Finanzkrisen und Konflikte hätten begonnen, gleichzeitig aufzutreten. Dieses Phänomen wird auch als Polykrise bezeichnet.Die Studie ist im Fachmagazin „Philosophical Transactions of the Royal Society B“ erschienen.
Diskrepanz
Der Begriff Evolutionäre Falle oder Evolutionäre Diskrepanz wird in der Evolutionsbiologie auch als Mismatch-Theorie bezeichnet. Damit ist Folgendes gemeint: Merkmale, die sich in der Evolution herausgebildet und für die Entwicklung einer Spezies als vorteilhaft erwiesen haben, können sich aufgrund von veränderten und zu schnell sich wandelnden Umweltbedingungen als negativ herausstellen und den Entwicklungsprozess der Gattung behindern - und im Extremfall beenden. Dies kann beim Mensch und bei Tieren stattfinden und wird oft auf schnelle Umweltveränderungen zurückgeführt. Die Mismatch-Theorie beschäftigt sich folglich mit der Idee, dass Merkmale, die sich in einem Organismus in einer bestimmten Umwelt entwickelt haben, in einer anderen Umgebung nachteilig sein können.
„Acht Todsünden“
Einer der Hauptvertreter dieser Theorie ist der österreichische Zoologe und Medizin-Nobelpreisträger von 1973, Konrad Lorenz (1903-1989). In seinem Buch „Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit“ aus dem Jahr 1973 untersucht der Verhaltensbiologe jene Vorgänge, die nach seiner Ansicht zur „Dehumanisierung der Menschheit“ beitragen. Diese acht Prozesse sind: (1) Überbevölkerung, (2) Verwüstung des natürlichen Lebensraums, (3) übermäßige Beschleunigung aller gesellschaftlichen Prozesse, (4) Drang zu sofortiger Befriedigung aller Bedürfnisse (Hedonismus), (5) genetischer Verfall wegen des Wegfalls der natürlichen Auslese, (6) Verlust bewährter Traditionen, (7) zunehmende Indoktrinierbarkeit, (8) Kernwaffen.