Historisches Museum arbeitet die Nazi-Zeit auf - an Widerstandskämpfer erinnert ein Sträflingsanzug Bayreuth ist mehr als Hitler

Von Susanne Will
Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe bei der Eröffnung. Hinter ihr in der Vitrine liegt der Sträflingsanzug von Widerstandskämpfer Oswald Merz. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Bayreuth ist Oper, ist Wagner, ist Hitler? Die Gleichung ist nicht so einfach. Bayreuth ist auch Widerstand. Die Stadt zwischen 1933 und 1945 ist ein lange vernachlässigtes Thema. Doch es hat jetzt einen Ort gefunden, an dem es behandelt wird. Leider ist es ein sehr kleiner Ort, aber immerhin ein Anfang.

 
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Der neu gestaltete Raum im Historischen Museum ist nur 35 Quadratmeter groß. 24 kleine Schautafeln umrahmen die Mitte, in der in einer Glasvitrine der Häftlingsanzug von Oswald Merz mit der Nummer 414 liegt. Merz trug ihn in Dachau, wohin der SPD-Politiker transportiert worden war. Als Nazigegner wurde er 1933 mit anderen SPD-Politikern in sogenannter „Schutzhaft“ im Gefängnis in St. Georgen untergebracht und anschließend nach Dachau deportiert. Nach drei Monaten unter „Sadisten“, so Merz in Erzählungen, kehrte er vorerst nach Bayreuth zurück. Nach dem Vorwurf, er würde weiterhin an der SPD-Organisation festhalten, kam er zunächst in Haft, dann wieder nach Dachau – bis Kriegsende. Ein knappes Jahr später starb er an den Folgen des KZ-Aufenthalts.

Sträflingsanzug als Mahnmal in der Mitte

Dass seine blauweiß-gestreifter Sträflingskluft hier nun zu sehen ist, ist der SPD, dem Landtagsabgeordneten und Bayreuther Stadtrat Christoph Rabenstein zu verdanken. Merz‘ Schwiegersohn hatte den Anzug einem SPDler gegeben, der ihn wiederum Rabenstein gab. „Wir hatten ihn lange im SPD-Büro.“ Jetzt sollen ihn alle sehen können.

Das Hakenkreuz als Grundriss

Hinschauen lohnt sich. So hängt beispielsweise eine Schautafel an der Wand, die eine Innenaufnahme der Weihehalle im Haus der Deutschen Erziehung zeigt. Dieses Haus von damals ist jetzt das Gebäude des Eon-Stromunternehmens in der Luitpoldstraße. Natürlich ist das Hakenkreuz im Inneren längst abgeschlagen. Ein alter Plan des Grundrisses zeigt, dass das Haus rundum auf der Form eines Hakenkreuzes aufgebaut ist.

Das Hitler-Groupie Winifred Wagner

Die Ausstellung folgt der Zeit: Der Besucher läuft zuerst an den Tätern vorbei, an Vize-Gauleiter Ludwig Ruckdeschel, an Gauleiter Fritz Wächtler, der 1945 wegen „Feigheit vor dem Feind“ erschossen wurde, an Dr. Karl Schlumprecht, der 1933 Bayreuths Oberbürgermeister gewesen ist. Hier werden die Zwischentöne langsam sichtbar: Schlumprecht hatte permanente Konflikte mit Gauleiter Wächtler, er wurde nach München strafversetzt und später als Mitläufer klassifiziert. Er machte noch im bayerischen Gemeindetag Politik. Auch an der Wand: die glühende Hitler-Verehrerin Winifred Wagner.

"Straße der SA"

Die Fotos der Projekte der Nazis wie die SA-Siedlung in den Birken ist ein Blick in eine Vergangenheit, als die Hegelstraße noch „Straße der SA“ hieß. Und um hier mit einem alten Irrtum aufzuräumen: Zwar ist Saas auch eine dieser braunen Siedlungen, aber die Abkürzung „SA-Arbeitersiedlung“ stimmt nicht, wie BG-Fraktionsvorsitzender Stephan Müller erklärte. Das Wort Saas kommt von sitzen, sich ausruhen. Ein Originalmodell dieser Siedlungshäuser samt Selbstversorgergarten ist ebenfalls zu sehen.

Das Grauen bekommt Namen

Eines der wichtigsten Stücke: ein Informations-Terminal, an dem per Touchscreen das Grauen Namen bekommt. Etwa 215 Namen haben die Museumsmacher zusammengetragen, Namen von Menschen, die die Nazizeit nicht überlebten. Von den rund 40 jüdischen Geschäften in Bayreuth 1933 existierten drei Jahre später nur noch fünf. Die verbliebenen 59 Juden wurden nach Riga oder Theresienstadt exportiert – nur vier überlebten. Hier ist auch nachzulesen, wie dreckig es den Arbeiterinnen aus dem Osten ging, die in der Neuen Spinnerei schufteten. Diese Frauen lebten unter unwürdigsten Umständen, zwischen 1943 und 45 starben dort 30 Kinder an Hunger oder wegen einer sonst harmlosen Erkältung.

"Kanzelmissbrauch"

Dass es aber auch den Widerstand in Bayreuth gab – nicht nur Oswald Merz - , machen die anderen Schautafeln deutlich. Der SPD-Reichstagsabgeordneten Friedrich Puchta beispielsweise, er starb im Mai 1945 an den Folgen der Quälerei im KZ Dachau. Oder der Creußener Pfarrer Ernst Rohmer: Ihm wurde „Kanzelmissbrauch“ vorgeworfen.

Dokumente ins Museum

Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe: „Erst spät, bis in die 1980er Jahre hinein, setzte sich durch, dass nicht nur Kunstobjekte in ein Museum gehören, es dauerte, bis man den dokumentatorischen Wert von Zeitdokumenten erkannte.“ Das Historische Museum und der Museumsverein habe so viele Dokumente zusammengetragen, „dass man daraus eine Dauerausstellung machen könnte – wenn wir denn den Platz dafür hätten“.

Wer meckert, hat Recht

Doch zunächst sei sie mit dem Anfang, der jetzt gemacht wurde, zufrieden. Thematisch schließt der Raum an das Modell vom Gauforum Bayreuth, gebildet vom Stadthallen-Architekt Hans Reissinger, an die NS-Ausstellung an. Museumsleiterin Sylvia Habermann allerdings freute sich „nicht sonderlich“, sagte sie, ob des geringen Platzes. „Wir könnten drei bis vier Räume füllen und das Interesse an einer Ausstellung über die Zeit des Nationalsozialsmus‘ ist sehr groß.“ Wer nach dem Ausstellungsbesuch meckere, „hat Recht, aber wir können es nicht ändern“.

Mehr Platz in der Kämmereigasse 9 1/2

Wobei in der Ausstellung bereits der Weg raus aus dem Platzproblem beschrieben wird: die Kämmereigasse 9 ½. Ein Gang könnte das Museum und das arg marode Haus nach dessen Instandsetzung verbinden, im Erdgeschoss wäre genug Platz, um weitere Preziosen zu zeigen. Das Thema wird in einem der nächsten Kulturausschüsse behandelt, sagte Kulturreferent Fabian Kern.

Große Spende vom Verein

Einen würde das besonders freuen: Klaus Bayerlein. Er hat bis 2016 den Museumsverein 20 Jahre lang geführt. Der Verein hat mit einer großen Spenden - so die OB - die Ausstellung möglich gemacht. Und er wurde 1936 geboren, ist also Zeitzeuge. Er begrüße die Ausstellung jedes Dokumentes, „auf dass es nicht verloren geht“. Er erinnerte sich: „Dass wir weitergespielt haben, wenn die Bomber über uns flogen, war ganz normal.“

750 Bayreuther starben

Lange Zeit fiel keine Bombe. Dann kamen die Tage vom 5., 8. und 11. April 1945. Im Bombenhagel wurden 750 Menschen in Bayreuth getötet.

Bomben-Chronik im Stützbalken

Noch ein bemerkenswertes Ausstellungsstück: Was auf den drei gezeigten Stützbalken eingekritzelt ist, sieht im ersten Moment aus wie die Größenmesslatte für ein Kind am Türblatt. Bei genauerem Hinsehen ist zu erkennen, dass jemand akribisch Buch geführt hat – über die Fliegeralarme, die ihn in einen Keller trieben. Dicht beschrieben mit Datum, genauer Zeitangabe, wie lange er im Keller saß und ob es Abwürfe oder keine gegeben hatte. Auch ein beklemmendes Stück Zeitgeschichte.

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