Trotz dieser schweren Schicksalsschläge und angegriffener Gesundheit versinkt Georg Hagen nicht in Depression. Mit Pflichtbewusstsein, Zähigkeit und eiserner Disziplin möchte er nach Kriegsende seinen Beitrag leisten für einen demokratischen Wiederaufbau. „Nein! Kulmbach lässt sich nicht unterkriegen!“, lautet sein Leitspruch. Ihm kommt zustatten, dass an seiner Seite eine Riege von SPD-Männern steht – Fritz Schönauer, Max Hundt, Otto Mohrmann, Andreas Stöber, die weit dynamischer und öffentlichkeitswirksamer antritt als Heinrich Weiskopf von der CSU oder Karl Jung von der FDP.
Dass Hagen, der im Mai 1945 von den Amerikanern als Erster Bürgermeister von Kulmbach eingesetzt worden ist, zur Beratung einer Verfassung nach München berufen wird, wundert nicht. Ebenso wenig, dass er am 30. Juni 1946 bei der Wahl der Verfassungsgebenden Landesversammlung auch gewählt wird – als einer der 51 SPDler, die in das 180 Sitze starke Gremium einrücken. Wiederum dient die Großen Aula der Universität als Tagungsort.
An der Seite Wilhelm Hoegners
Hagen unterstützt die Linie Wilhelm Hoegners, der während seines Schweizer Exils in den Kriegsjahren Grundpositionen festgeklopft hat: Sie setzen auf größtmögliche bayerische Eigenstaatlichkeit, Sozialpflichtigkeit des Eigentums und Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Frauen sollen den Männern in Wirtschaft und Gesellschaft gleichgestellt werden. Ein Mindestlohn soll in der Verfassung verankert werden.
Zentrales Anliegen ist Hoegner die Beteiligung der Bürger. Er möchte sie durch Selbstverwaltung der Gemeinden und durch Volksentscheide erreichen. Die Natur soll einen eigenen Verfassungsrang erhalten, sie soll geschützt werden und ein freie Zugang Jedermann garantiert.
Die SPD erlebt bei denLandtagswahlen ein Fiasko
Ein Großteil von Hoegners Vorstellungen geht in die nach drei Monaten verabschiedete Fassung (26. Oktober) ein, wodurch ihm der Name „Vater der Bayerischen Verfassung“ nicht zu Unrecht gegeben wird. Bei den Wählern wird die SPD-Handschrift bei dem Volksentscheid am 1. Dezember 1946 nicht unbedingt honoriert: Zwar stimmen über 70 Prozent für die neue Verfassung, doch bei den zugleich stattfindenden Landtagswahlen gewinnt die CSU 104 der 180 Sitze, während die SPD mit nur 54 Sitzen ein Fiasko erlebt.
Einen davon holt Georg Hagen (SPD in Kulmbach: 58,7 Prozent), der zugleich zum Vizepräsidenten des Bayerischen Landtags gewählt wird. Mit vielen seiner Verfassungsmitstreiter, Parteifreunde oder politische Gegnern, bleibt er eng verbunden: Alois Hundhammer, dem späteren Landtagspräsidenten und Kultusminister, oder Hans Ehard, der statt des erhofften Hoegner Ministerpräsident wird.
Wähler hielten selbst dem toten Hagen die Treue
Er wird sich nach dem Tod Hagens am 25. November 1958 in den endlosen Trauerzug einreihen und ihn als Mitgestalter der Bayerischen Verfassung nennen und seine „strenge Unparteilichkeit, Gewissenhaftigkeit und gewandte Geschäftsführung“ als vorbildlich für die parlamentarische Arbeit bezeichnen.
Am 18. November 1958 starb Georg Hagens überraschend nach einer Magenoperation in München. Daraufhin trat zum ersten Mal in der parlamentarischen Geschichte Bayerns der Fall ein, dass bei den fünf Tage später angesetzten Landtagswahlen ein Verstorbener kandidierte. Die SPD hatte aufgrund der im Wahlgesetz fixierten Bestimmungen keine Möglichkeit mehr, einen neuen Stimmkreisbewerber zu nominieren. Doch die Wählerinnen und Wähler, so schrieb eine Lokalzeitung damals, „hielten selbst dem toten Georg Hagen die Treue und verhalfen der SPD zu einem klaren Wahlsieg.“