An manchen verkehrsungünstigen Stellen habe die Stadt für Hunderte von Millionen neue Wohnungen und Häuser gebaut, „aber viele wollen da nicht wohnen“, klagt die Frau, die ihren Namen nicht nennen will. Einer der Gründe für den fehlgeleiteten Wiederaufbau sei, dass die Finanzierung und die Planung im Wesentlichen „wie immer“ von der Zentralregierung in Tokio geleistet werde, erläutert Ökonom Schulz. Also dort, wo auch das Geld herkommt. Die Entwicklung der Pläne und die Umsetzung hätten aber vor Ort geleistet werden müssen.
„Wenn man aber nicht selbst finanzieren muss, ist man auch nicht sonderlich effizient. Wenn man das Geld verbraucht so wie früher, dann muss man auch nicht groß nachdenken“, erklärt Schulz. Die Folgen dieser bürokratischen Mechanismen, die das ganze Land steuern, kann man nun auch in Tohoku beobachten: standardisierte Wohnblocks im Plattenbaustil, umgeben von Parkplätzen, Beton, wohin man sieht. Eine Architektur, die nichts dazu beiträgt, dass die Menschen zueinander finden. Dieselbe Typologie, die auch die Menschen in den Vororten von Tokio und anderswo isolieren.
Um Japans schrumpfende Städte aber lebenswert und funktionstüchtig zu erhalten, wäre eine vitale Zivilgesellschaft wichtig, sagen Experten. Doch der größte Teil der evakuierten Menschen war per Losverfahren über weit auseinanderliegende Notunterkünfte verteilt worden, was zu Vereinsamung und zum Verfall von örtlichen Gemeinschaften führte. Nachdem viele in den vergangenen fünf Jahren eine neue Gemeinschaft bildeten, werden sie nun erneut herausgerissen und in die öffentlichen Wohnungen gewürfelt. „Wir wurden nicht gefragt, wo wir wohnen möchten“, klagt eine alte Dame.
Und die riesigen Betonwände, die der Staat nun entlang von 400 Kilometern teils malerischer Pazifikküste errichten lässt, um die Menschen vor zukünftigen Tsunamis zu schützen, treffen auch nicht auf ungeteilte Zustimmung – zumal auch sie keine absolute Sicherheit gewährleisten.
Völlig egal sind solche Einwände einer Mehrheit der Bevölkerung der Regierung in der Atompolitik. Ministerpräsident Shinzo Abe hat die ersten der nach Fukushima ausnahmslos abgeschalteten Meiler schon wieder anfahren lassen. Und das, während auf dem Gelände des havarierten Kraftwerks tagtäglich rund 8000 Arbeiter mit gewaltigen Problemen – vor allem mit gigantischen und täglich weiter ansteigenden Massen an radioaktiv belastetem Wasser – zu tun haben. Aber immerhin hat sich die Lage in der Atomruine – glaubt man dem Betreiber Tepco – „stabilisiert“.
Auch verweisen Experten darauf, dass Lebensmittel aus Fukushima, die in den Handel kommen, völlig sicher seien. Dies soll den Bauern in Fukushima, der einstigen Kornkammer des Landes, helfen, das Strahlenstigma loszuwerden. Glauben können die Menschen nicht daran.
dpa