Wie die Glasmacher Weidenberg veränderten

Von Katharina Wojczenko

1946 hat der Bayerische Ministerrat beschlossen, die nach dem Krieg aus ihrer Heimat vertriebenen Glaswarenerzeuger aus dem Kreis Gablonz im Sudetenland konzentriert in Oberfranken anzusiedeln. So wurde für etwa 1000 Menschen Weidenberg die neue Heimat. Der Kurier hat mit zwei von ihnen gesprochen und erfahren: Ohne diesen Beschluss sähe Weidenberg heute anders aus.

 
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Das sagen Zeitzeugen

Edeltraut Schmidt (76), lebte bis zur 5. Klasse in Albrechtsdorf (Albrechtice): „Schon meine Großeltern hatten eine Glasschleiferei. Meine Mutter hat bis zu ihrer Hochzeit dort mitgearbeitet und Ware für den Export eingepackt. Schnapsgläser, Aschenbecher, Menagen (=Tischgestelle für Salz und Pfeffer), Parfümfläschchen.

Mein Vater blieb im Krieg. 1946, da war ich sechs Jahre alt, kam meine Familie in ein Lager am Flugplatz Bindlach. Mein Onkel hat dort 1948 in dem Revier eine Glasschleiferei eröffnet. Dann wollten die Amerikaner auf einmal den Flugplatz.

"Vor den Kühen hatte ich Angst"

Wir haben uns einige Orte angeschaut. Weidenberg hat mir sofort gefallen, weil wir aus dem Gebirge kommen. Am Bindlacher Berg war nichts, kein Laden, kein Bäcker, keine Metzgerei und ich musste eine Stunde zur Schule laufen. Wollte ich zum Einkaufen nach Deps, liefen Kühe auf mich zu, vor denen hatte ich Angst. In Weidenberg gab es alles, dazu Kino und Schwimmbad, Läden.

In unserem Siedlungshaus eröffnete meine Mutter 1952 einen Lebensmittelladen. Mein Onkel eröffnete die Glasraffinerie Hübner. Meine Schwester hat ihr ganzes Leben dort gearbeitet, ich zeitweise. Die Einheimischen haben immer gesagt, sie arbeiten bei den Gablonzern. Wir haben den Aufschwung gebracht. Die Weidenberger haben uns sehr gut aufgenommen. Ich will nie mehr fort.“

Ernst Weber (86), stammt aus Johannesberg (Janov): „Ich bin gelernter Formbauer, wie mein Vater. Er, meine Mutter und mein Bruder landeten erst in Mecklenburg und arbeiten sich dann schrittweise nach Süden vor. Bekannte erzählten uns, dass man in Weidenberg eine Glasindustrie aufbauen wollte. Wir waren auf Glaswarenerzeuger angewiesen, also kamen wir her. Da war ich 22 Jahre alt. Es war nicht schwer, sich wohlzufühlen, weil wir in der Heimat als Menschen zweiter Klasse galten.

"Das war etwas Großes, etwas Neues, es herrschte Euphorie"

Unten im Haus war die Werkstatt, in der anderen Hälfte haben wir gewohnt. Wir hatten fünf Angestellte, davon vier aus Weidenberg und Umgebung. 450 Menschen arbeiteten in der Siedlung. Das war etwas Großes, etwas Neues, es herrschte Euphorie. Freizeit gab es wenig: Wir mussten das ganze Ding hier aufbauen, haben in Eigenleistung die Werkstatt erweitert.

In den 60er Jahren ging die Schmuckindustrie hier stark zurück, Knöpfe und Lüster waren nicht mehr konkurrenzfähig. Ich habe auf Hohl- und Pressformen für die großen Glashütten umgestellt, so musste ich keinem der Mitarbeiter kündigen. 1996 übernahm mein Sohn Jürgen den Betrieb. Er ist heute allein und arbeitet im Formenbau für die Glas- und Kunststoffindustrie.“

Das war passiert: Sudetenland und Bayreuther Land

Gablonz, heute Jablonec nad Nisou, war einst die Weltmetropole des Modeschmucks. Dementsprechend begehrt waren die Fachkräfte, die nach dem Krieg eine neue Heimat suchen mussten. „Wegen zeitlicher Verzögerungen und besseren Bedingungen in Kaufbeuren-Neugablonz blieb für unsere Region aber nur noch eine begrenzte Zahl von ansiedlungswilligen Betrieben übrig“, sagt Klaus Hübner, Mitarbeiter des Glas-Knopf-Museums Weidenberg.

Ursprünglich sollte am ehemaligen Flugplatz Bindlacher Berg Glasindustrie ansiedeln. Doch die amerikanische Armee beanspruchte das Gelände, auf dem sich erste Betriebe niedergelassen hatten, 1951 für sich. Für die Heimatvertriebenen war kein Platz mehr.

Unter anderem dem damaligen Bürgermeister Georg Hagen sei es zu verdanken, dass im selben Jahr mit dem Bau der Gablonzer Werksiedlung in Weidenberg begonnen wurde, sagt Hübner. Die Flächen gehörten großteils Bauern.

Die Bauwilligen bekamen Finanzhilfen vom Marshallplan. So entstand der Ortsteil Werksiedlung. Und die Glaswarenerzeuger gründeten kurze Zeit später den Verein Werksiedlung, der heute Träger des Museums ist.

Info: Das Glas-Knopf-Museum in Weidenberg öffnet zum 70. Jahrestag am Sonntag, 3. Juli, von 14 bis 17 Uhr. Zu sehen sind Produktionsprozesse an Original-Maschinen aus den 50er Jahren, Fachleute erklären den Formenbau und warum die sudetendeutschen Heimatvertriebenen nach Weidenberg kamen.

Mehr zum Thema: Was ist am Schicksal der Sudetendeutschen heute noch aktuell? Manfred Kees erklärt es im Interview.

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