Welterbe: Der Entdecker der Möglichkeiten

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Er lässt keinen Zweifel daran. Das, was das Markgräfliche Opernhaus jetzt ist, als was es erkannt wurde, "das ist die Quintessenz", sagt Peter O. Krückmann. "Es ist die höchste Schutzmarkierung, die ein Kulturgut haben kann." Krückmann, der Mann der Bilder in der Sprache, beschreibt es höchst plastisch: Das Welterbe, das sei das, was "die Menschheit mitnehmen müsste, wenn sie auf den Mars auswandern würde".

 
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Weltkulturerbe, das ist ein Adelstitel, ein Ritterschlag, ein Aufstieg, der aufmerksam macht: "Es wird dadurch natürlich touristisch interessant, soll aber als Kulturstätte vermittelt werden. Als das Wichtigste, was wir auf Erden haben." Deshalb werde das Welterbe auch so streng beaufsichtigt, "es darf nicht verfälscht, nicht umgebaut werden, um ein Stück der menschlichen Kultur authentisch zu bewahren". Der Weg dorthin allerdings, der ist lang. Und steinig.

Staunen über den Beginn der Welterbe-Sache

Heute, wenige Tage, nachdem er als der für Bayreuth zuständige Museumsreferent der Bayerischen Schlösserverwaltung zum Jahreswechsel in Ruhestand gegangen ist, kann Krückmann sich relativ entspannt zurücklehnen auf dem Sofa im Hotel Goldener Anker, in engster Nachbarschaft zum Opernhaus. Mit einem Lächeln holt er aus seiner Tasche einen schmalen Schnellhefter. "Ich muss immer noch staunen, womit das alles angefangen hat mit dem Welterbe", sagt er. Denn der Weg von einem außerordentlich schönen, barocken Opernhaus zum Weltkulturerbe, das jetzt in ein paar Wochen nach der fünfjährigen Restaurierung wiedereröffnet, dauert fast 20 Jahre. Auch für Krückmann selbst hat sich das Opernhaus erst langsam geöffnet. Fast wie eine Rose, die ihre Blütenblätter Millimeter für Millimeter auseinander klappt. Und dann einen Duft verströmt, der sich im Kopf unauslöschlich festsetzt. Als sich abzeichnet, dass das Opernhaus 250. Geburtstag feiern sollte, habe ich den Vorschlag gemacht, dass wir über Giuseppe Galli Bibiena, den Innenarchitekten des Opernhauses, eine Ausstellung machen sollten".

Bibiena-Ausstellung war der Anfang

Es war die erste große Ausstellung für die Schlösserverwaltung. "Darauf bin ich heute noch stolz. 140.000 Besucher, doppelt so viele Menschen, wie Bayreuth Einwohner hat, haben das gesehen. Man hat dann wohl auch im Finanzministerium, dem die Schlösserverwaltung untersteht, erkannt, dass das ein Erfolgsmodell sein könnte." Seitdem gibt es "immer wieder mal" solche Ausstellungen, die es alle ohne "Das vergessene Paradies", die Bibiena-Ausstellung, nicht gäbe. Aber das ist nicht alles: "Im Vorfeld der Ausstellung habe ich mich natürlich intensiv mit dem Opernhaus befasst. Dabei fiel der Groschen bei mir, welche Bedeutung das Haus wirklich hat." Krückmann brennt sich ein, "was da an Zeitgeist, an künstlerischer Konzeption, an unendlich vielen Bezügen drin steckt. Mir war klar: Damit es eine angemessene Würdigung erfährt, müsste es Weltkulturerbe werden. Das hatte ich lange im Kopf. So lange, bis mir klar war, das ist ein seriöses Projekt, keine Spinnerei."

Die Liste wird geschlossen: "Und wir waren drauf"

Krückmann bekommt von seinem Chef Egfried Hanfstaengel grünes Licht, stellt den Schnellhefter zusammen, "der zeigt, wie amateurhaft das damals tatsächlich war", sagt er heute mit einem leichten Kopfschütteln. "Neuneinhalb Zeilen über Wilhelmine stehen da drin." Die Begründung, warum das heutige Welterbe Welterbe werden solle, ist noch kürzer. Aber: Der Antrag, abgesegnet vom Landesdenkmalamt, bekommt 1995 den Segen der Kultusministerkonferenz. Und landet auf der Tentativliste, auf der Vorschlagsliste Deutschlands für das Unesco-Weltkulturerbe. "Kurz danach kommt eine Flut von Anträgen, weil scheinbar viele Städte kapiert haben, als Welterbe kann man sich zeigen in der Welt. Die Folge: Die Liste wird für zunächst zehn Jahre geschlossen. Und wir waren drauf."

Krückmann erntet sogar Spott

Allerdings glauben nicht viele Menschen daran, dass das was werden könnte mit dem Welterbe in Bayreuth. "Als das Haus auf der Tentativliste stand, habe ich viel Spott geerntet. Sogar bei uns in der Verwaltung, aber auch aus Bayreuth. Das Opernhaus in Bayreuth soll gleichwertig sein mit den Pyramiden von Gizeh oder der Altstadt von Venedig? Derartige Vergleiche habe ich oft gehört." Doch Krückmann glaubt daran. Und er erkennt das Potenzial. Die Zusammenhänge. Und die Verbindungen dahinter, die man vielleicht nur erkennen kann, wenn man den Blick von außen hat. Denn dann fügt sich Puzzleteil für Puzzleteil ineinander.

Wilhelmine als Zugpferd scheidet aus

Auch in der Vorbereitung des Antrags in enger Abstimmung mit Icomos (International council on monuments and sites), der Berater-Organisation der Unesco, "um den Antrag so zu formulieren, dass er zwingend wird", wie Krückmann es formuliert. Mehrere Ideen werden da geboren - und wieder verworfen: Zum Beispiel die, alle markgräflichen Bauten mit hinein zu nehmen. Oder die geistige Welt Wilhelmines, "die kultur- und geistesgeschichtlich an der Spitze des 18. Jahrhunderts steht", wie Krückmann sagt. Er nimmt sogar mit Alice Schwarzer Kontakt auf, weil Wilhelmine auf dem Gebiet der Emanzipation ihrer Zeit meilenweit voraus war. "Dann kam da wieder der Einwand der Icomos: Die Sache wird von der Generalversammlung des Welterbekommittees entschieden. Und wer soll in Indien, Grönland oder Aserbaidschan was mit Wilhelmine anfangen könne?"

Opernhaus als Solitär soll das Rennen machen

Schließlich, etwa um 2007 herum fällt die Entscheidung: "Wir machen nur das Opernhaus. Denn die Kriterien hatten sich gewandelt. Es sollte nicht nur das Schönste und Beste Weltkulturerbe werden. Sondern das Charakteristischste für die jeweilige Gattung." Und genau das ist das Markgräfliche Opernhaus: "Das Paradebeispiel für alle barocken Operngebäude. Und eine Einzel-Spielstätte gab es noch nicht als Weltkulturerbe." Höchstens Theater - wie in Vicenca das Theatro Olimpico oder in Mantova das Theatro Schientifico, auch von Galli Bibiena - die Teil eines Welterbe-Ensembles innerhalb einer Altstadt sind. Jedoch, als Zugabe, passt auch in Bayreuth alles: "Das Umfeld, die Infrastruktur, ist nahezu komplett erhalten. Bayreuth hat noch die Struktur der damaligen Landeshauptstadt - was den Bayreuthern, ganz nebenbei, einiges mehr an Stolz vermitteln könnte."

98 Prozent der Pracht von früher ist erhalten

Krückmann sagt, in der heißen Phase, in der der Antrag geschrieben wurde, kommt der federführende Referent Alexander Wiesneth auf einen weiteren Aspekt: "Im Prinzip ist der Innenraum des Opernhauses ja eine ziemlich windige Architektur. Alles aus Holz gebaut. Und nicht für die Ewigkeit gedacht." Kam im Barock häufig zum Einsatz, ist heute aber sehr selten. "Ein riesiges Wunder, dass diese Art temporärer Architektur erhalten geblieben ist. In Bayreuth deshalb, weil die Stadt nach der Residenzzeit eine eher verschlafene Provinzstadt wird, in der wenig Modernisierungsdruck herrscht." Das Einzige, das fehlt, ist die Bühnenmaschinerie. Vom Inneraum, sagt Krückmann, sind "rund 98 Prozent erhalten geblieben. Es fehlen eigentlich nur die Zwischenwände zwischen den Logen".

Bayreuth hat die zwei wichtigsten Theater der nachantiken Zeit

Krückmann, der Bayreuth mit der Zeit lieben gelernt hat, sagt: "Was mich fasziniert, und darauf kam ich auch erst nach und nach: Bayreuth besitzt mit dem Opernhaus und dem Festspielhaus die beiden wichtigsten Theater der nachantiken Zeit." Auf der einen Seite das Haus, das den absolutistischen Herrschaftsgedanken des Ancien Régime repräsentiert. Auf der anderen Seite das Haus, "das die radikale Neuerung durch Wagner zeigt, der das demokratische Theater kreierte, in dem jeder Besucher mehr oder weniger die gleiche Wertigkeit haben durfte".

Die Quintessenz als Krönung seiner Arbeit in Bayreuth

Die Quintessenz wird in St. Petersburg am 28. Juni 2012 von der Generalversammlung der Unesco erkannt. Um 15.07 Uhr lässt die Vorsitzende des Kommitees, Eleonora Mitrofanova, den Hammer aufs Pult fallen und sagt ein Wort: "Adopted" - angenommen. Peter Krückmann kann diesen Moment nicht mitverfolgen, "ich hatte an dem Tag keinen Computer zu Hause. Aber kurz nach der Entscheidung hat mich der ehemalige Oberbürgermeister Dieter Mronz angerufen und mir das Ergebnis mitgeteilt, was ich rührend von ihm fand". Krückmann, der die Möglichkeiten in dem Haus entdeckt hat, sagt: "Jeder wusste, wie schön das Haus ist. Seine Bedeutung hatte man lange nicht erkannt. Dass das Opernhaus Welkulturerbe wurde, war für mich die schöne Vollendung meiner Tätigkeit für Bayreuth."

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