Warum schummeln Politiker beim Lebenslauf?

Von Marie-Christine Fischer
Die Bundestagsabgeordneten aus der Region: (v.l. im Uhrzeigersinn): Emmi Zeulner, Hartmut Koschy, Anette Kramme, Silke Launert. Foto: rowi/ha/red Foto: red

Wir waren gerade dabei, die erschummelten Promotionen von Karl-Theodor zu Guttenberg, Silvana Koch-Mehrin, Annette Schavan und anderen zu vergessen, da kam der Fall Petra Hinz ans Licht. Die SPD-Politikerin hat die Dreistigkeit der genannten noch übertroffen und sich ein Abitur, ein Jurastudium samt Staatsexamen sowie einige wohlklingende Arbeitsstellen angedichtet. Warum diese Lebenslauf-Lügen? Auf Erklärungssuche mit einem Politikwissenschaftler und hiesigen Bundestagsabgeordneten, darunter die Krankenschwester Emmi Zeulner und Hartmut Koschyk, der sein Studium nicht abgeschlossen hat.

 
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1. Erkenntnis: Im Bundestag sind Akademiker überrepräsentiert

Mit den Jahren stieg die Zahl der Akademiker im Bundestag kontinuierlich. Saßen 1990 bis 1994 noch 62 Hauptschüler im Parlament, sind es derzeit noch zehn. Die Zahl der Realschüler sank von 76 auf 42. Auch wenn es parallel deutschlandweit immer mehr Abiturienten und Hochschulabsolventen gibt, besteht der Bundestag heute aus überdurchschnittlich vielen Akademikern.

Wächst damit der Druck auf Politikeinsteiger, mit einem Vorzeige-Lebenslauf aufzuwarten?

2. Erkenntnis: Parteien achten wenig auf Zeugnisse

Wenn Parteien ihre Kandidaten auswählen, ist der Lebenslauf "natürlich ein Anhaltspunkt", sagt die Juristin und Bundestagsabgeordnete Silke Launert (CSU/Hof). "Aber es geht weniger um Titel, sondern darum, zu sehen, ob jemand leistungsbereit ist, sich engagiert. Ein Prof. Dr. Dr. hat da keinen Vorteil. Als Politiker musst du mit Menschen können.“ So hat es auch Hartmut Koschyk (CSU/Bayreuth) erlebt, der zwar Geschichte und Politik studiert, sein Studium aber nicht abgeschlossen hat. "Entscheidend für die Funktionsträger war meine politische Erfahrung und mein Netzwerk als Generalsekretär des Bundes der Vertriebenen." Die Juristin und Bundestagsabgeordnete Anette Kramme (SPD/Bayreuth) sagt gar von sich, sie habe "frisch aus dem Studium kommend noch keinen wirklich beeindruckenden Lebenslauf vorzuweisen" gehabt, als die SPD sie nominierte.

Melden die Parteien ihre Kandidaten an den Wahlausschuss, prüft dieser Alter und Nationalität, nicht aber, welchen Abschluss der Kandidat hat und ob das Zeugnis echt ist, erklärt Politikwissenschaftler Prof. Dr. Everhard Holtmann von der Uni Halle.

Wenn Engagement, Wissen und Kontakte mehr zählen als Zeugnisse und die Namen bekannter Unternehmen im Lebenslauf - warum hat Petra Hinz dann diese Mär aufgetischt?

3. Erkenntnis: Hochstapler wird es immer geben

"In der Geschichte hat es immer Hochstapler gegeben", sagt Everhard Holtmann. Felix Krull war nicht der erste, Petra Hinz wird nicht die letzte gewesen sein, ist er überzeugt. „Es wird generell viel gemauschelt", sagt auch Silke Launert. "Da sind Politiker nicht besser oder schlechter als der Durchschnitt.“

Die Menschheit ist also schlecht - aber ist das wirklich schon alles?

4. Erkenntnis: Nicht-Akademiker brauchen Selbstbewusstsein

"Den größten Druck macht man sich selbst", sagt Emmi Zeulner. Die Bundestagsabgeordnete (CSU/Kulmbach) hat ihr Abi auf dem zweiten Bildungsweg gemacht und eine Ausbildung als Krankenschwester absolviert. Wissen und Erfahrung aus der Ausbildung seien für ihre Arbeit in der Gesundheitspolitik äußerst hilfreich. Dennoch muss sie aushalten, dass nicht alle den Beruf der Krankenschwester so sehr schätzen wie sie.

Ein Bericht einer Berliner Zeitung etwa gab Zeulner "das Gefühl, diskriminiert zu werden, weil ich Krankenschwester bin". Das Blatt schrieb, Zeulner habe ihr Wirtschaftsstudium, das auf die Krankenschwester-Ausbildung folgte, abgebrochen. Dabei hat sie es lediglich auf Eis gelegt, als sie überraschend das Mandat gewann. "Manchmal ärgere ich mich, dass ich das Studium überhaupt angefangen habe. Andrenfalls könnte jetzt niemand sagen, dass ich es abgebrochen habe."

Fehlt es unserer Gesellschaft also an Wertschätzung für Krankenschwestern, Schreiner und Automechaniker?

5. Erkenntnis: Der gesellschaftliche Druck ist da

"Die berechtigte Wertschätzung von Abitur und Studium hat innerhalb unserer Gesellschaft zu einer ungerechtfertigten Abwertung der anderen Berufswege geführt", beklagt Anette Kramme.

Zeulner hat beobachtet: "Viele Unternehmen fordern für Führungspositionen mindestens einen Bachelor." Bewerber, die möglicherweise ebenso gut geeignet wären, aber nicht den geforderten Abschluss vorweisen können, seien dann oft automatisch aus dem Rennen. Sie fordert ein Umdenken. "Nicht jeder braucht ein Studium“, nicht in der freien Wirtschaft und nicht im Bundestag.

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