Steffi Heinig über ihr Leben mit MS

Von Jana Backes
2011 erfuhr Steffi Heinig von ihrer MS-Erkrankung. Foto: Uwe Renners Foto: red

Am Mittwoch ist Welt-MS-Tag. Multiple Sklerose ist eine Überreaktion des Immunsystems. Und die Diagnose bedeutet für die Betroffenen „lebenslänglich“. Eine von ihnen ist Steffi Heinig. Äußerlich sieht man der 49-Jährigen aus Bayreuth nichts an. Doch ständig quälen sie Spastiken im Bein. Dennoch sagt sie: „Ich kann es mir nicht leisten, den Kopf in den Sand zu stecken, allein schon wegen meiner Tochter.“

 
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Diagnose: MS

Am 28. Oktober 2011 erhielt sie die Diagnose MS. Der erste Schub aber kam bereits 1999. Rückenschmerzen wurden als Folge von Belastung, Müdigkeit und ihre Verfassung als Depression fehldiagnostiziert. „Die Ärzte haben nicht genau genug hingeschaut. Mein Bruder hat sich 1999 das Leben genommen. Da schien eine Depression ja auch irgendwie plausibel.“

2011 wollte ihre neue Hausärztin es genau wissen und verwies sie an einen Neurologen. „Meine erste Reaktion, als die Diagnose MS im Raum stand, war: Kann ich trotzdem 95 Jahre alt werden? Meine Tochter war damals sechs Jahre alt. Ich wollte sie aufwachsen sehen. Als mein Neurologe das bejahte, spürte ich Erleichterung. Plötzlich war greifbar, was seit zwölf Jahren mit mir nicht stimmte.“ Natürlich habe sie auch schlechte Tage. Aber sie könne nicht einfach den Kopf in den Sand stecken.

Motto: Totale Entschleunigung

Ihren Alltag gestaltet Steffi Heinig so normal wie möglich. Totale Entschleunigung ist ihr Motto. „Ich musste früher alles perfekt machen. Mittlerweile bin ich Meisterin der Kompromisse.“ Als Verwaltungsfachwirtin im Bereich Eingliederung gehandicapter Erwachsener arbeitet sie nur noch halbtags.

Ihre Tochter Dorina ist heute elf Jahre alt. „Natürlich habe ich es ihr erklärt. Wenn es mir nicht gut geht, kann ich nicht mit ihr im Sandkasten spielen. Ich will mich nicht verstellen. Das geht auch überhaupt nicht.“

Zustand: "Wie ein Duracell-Häschen"

Momentan erholt sich Steffi Heinig von ihrem letzten Schub. Der kam Ostern. Der Sehnerv sei stark betroffen gewesen, und sie habe ein Ameisenkribbeln im ganzen Körper verspürt. Als der Schub kam, hatte sie zwei Möglichkeiten: Aussitzen oder Kortison-Infusion. Sie wollte den Schub aussitzen. Doch die Situation war unerträglich. „Das Kortison lässt die Symptome verschwinden, aber es bringt alles im Körper durcheinander. Man fühlt sich wie ein Duracell-Häschen.“ Kortison kommt nur während eines Schubes zum Einsatz. Die tägliche Basistherapie soll das Schub-Risiko minimieren.

Sport und soziale Kontakte

Steffi Heinig macht viel Sport, „der befreit mich irgendwie.“ Rehasport und Krankengymnastik beugen den Spastiken im rechten Bein vor. Sie walkt, schwimmt und reitet. „Bei der Hippotherapie reitet man ohne Sattel. Die Bewegung und die Wärme des Pferdes gehen auf den Reiter über. Leider wird die Therapie nicht von der Krankenkasse bezahlt. Dabei ist sie so wirkungsvoll. Nach dem Reiten habe ich keinerlei Spastiken mehr.“

Auch die sozialen Kontakte seien enorm wichtig. Kurz nach der Diagnose habe sie im Kurier über die MS-Erkrankte Beate Platl gelesen. „Heute leiten wir die Selbsthilfegruppe Albatros. Diesen Menschen musst du nichts erklären. Die wissen genau, was los ist. Jeder muss alleine mit seiner Krankheit klarkommen. Aber es tut gut zu wissen: Ich bin nicht allein.“

Gegenüber ihrem Chef habe sie mit offenen Karten gespielt. „Jeder muss es selbst wissen, aber: wie soll dein Umfeld richtig reagieren, wenn es den Grund für deinen Zustand nicht kennt?“

Heinigs Zukunftswünsche

Die häufigste Reaktion auf ihre Krankheit sei Hilflosigkeit. „Meine jüngere Schwester hat ein halbes Jahr nicht mit mir geredet, nachdem sie von der Krankheit erfahren hatte. Weil sie nicht wusste, wie sie mit mir umgehen soll.“ Auch ihr Vater frage immer eine ihrer Schwestern, wie es ihr gehe. Ihre Mutter sei ganz anders. „Sie spürt, wenn es mir nicht gut geht und hat keine Berührungsängste.“

Was sie sich für die Zukunft wünscht? „Dass ich meinen aktuellen Gesundheitsstand so lange wie möglich halten kann. Und dass ich die Kraft dazu nicht verliere. Und wenn ich ein wenig rumspinnen darf, würde ich wahnsinnig gerne nach Namibia reisen“.

MS - eine entzündliche Erkrankung des Nervensystems

Multiple Sklerose (MS) ist eine Überreaktion des Immunsystems, die sich gegen die Nervenhüllen des Gehirns und des Rückenmarks richtet“, erklärt Claudia Schultze, leitende Oberärztin und Betreuerin der MS-Ambulanz am Klinikum Hohe Warte. Entsteht an der Schutzhülle der Nervenfasern eine Entzündung, werden Signale des Gehirns nicht wirkungsvoll übermittelt. Das passiert bei einem MS-Schub, spürbar als Kribbeln, Taubheitsgefühl, Sehnerv-Entzündungen, Gangstörungen und Lähmungen - MS ist die Krankheit mit den 1000 Gesichtern.

„Wie viele Menschen leben auf der Erde? Ich weiß die Zahl nicht, aber stellen Sie sich vor: So viele MS-Erkrankte es auf diesem Planeten gibt, so viele verschiedene Formen der Krankheit gibt es auch. Multiple Sklerose hat mindestens 1000 Gesichter“, sagt Steffi Heinig.

40 Jahre MS-Beratungsstelle in Bayreuth

Auch in Bayreuth gibt es eine Anlaufstelle für Betroffene. Diese MS-Beratungsstelle Oberfranken feiert am Mittwoch ihr 40-jähriges Bestehen. „Wir bieten ein lebenslanges Angebot der Unterstützung“, erklärt die Diplom-Sozialpädagogin Ursula Schubert. Ihr Wunsch: Aufklärung anbieten, um erste Ängste zu nehmen.

Vier Beraterinnen helfen in Sachen Beruf, Pflege, behindertengerechtes Wohnen oder Ernährung. „Jeder Schub kann dauerhafte Schäden bringen. Das macht eine ständige Anpassung an die Situation nötig“, erklärt die Sozialpädagogin. In Oberfranken gibt es 23 Selbsthilfegruppen.

Anlässlich des 40-jährigen Bestehens hat die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) am Mittwoch einen Stand auf der Landesgartenschau (AOK-Pavillon). Es stellen auch zwei Autohäuser behindertengerecht umgebaute Autos aus. Um 14 Uhr findet ein Festakt statt.

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