Roger Willemsen: Zögern, tasten, flirten

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Roger Willemsen beim seinem Auftritt in Bayreuth im Februar 2008 in der Reihe "Leselust". Foto: Karlheiz Lammel/Archiv Foto: red

"Vom schönen Fleisch der Kommunikation" - unter diesem Titel ist am 9. Februar 2008 im Nordbayerischen Kurier dieses Interview erschienen, das Kurier-Redakteur Roman Kocholl mit Roger Willemsen vor dessen Auftritt in der Reihe "Leselust" in Bayreuth geführt hatte. Es ging um das Thema Spontanität in der Kommunikation.

 
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Herr Willemsen, Sie sagten einst in einem Interview: „Unsere Grundüberzeugung war, dass es so etwas wie das schöne Fleisch der Kommunikation gibt. Das besteht aus zögern, abwarten, suchen, tasten, flirten und erlaubt das Unvorhergesehene.“

Willemsen: Dazu stehe ich immer noch.

Für das Interview, das ich nun mit Ihnen führe, habe ich keine Fragen vorbereitet. Was machen wir jetzt?

Willemsen: Wir zögern, wir genießen das schöne Fleisch der Kommunikation und wir hoffen, dass sich ein Gespräch selbst ohne Fragen führen lässt.

Wir wissen aber nicht, was der Leser davon hat.

Willemsen: Der Leser kriegt natürlich nicht mit, in welchem schönen Stimmfall wir jetzt reden, wie unsere Pausen organisiert sind und wie wir uns wechselseitig vexieren. Aber er wird vielleicht an der sprachlichen Handhabung, vor allem wenn wir nichts nachbearbeiten, sein Vergnügen haben.

Vielleicht sollten wir jetzt einige Signalworte setzen wie „Erotik“ oder „Franz Beckenbauer“. Sonst brechen uns die Leser weg.

Willemsen: Das stimmt natürlich. Aber wir müssen bei deren Wegbrechen gnadenlos zugucken und sagen: Wir können euch nicht aufhalten. Wenn ihr nur noch durch „Erotik“ und „Beckenbauer“ zu aphrodisieren seit, dann habt ihr selbst mit dem eigenen Eheleben Probleme.

Spontaneität scheint heute in Talkshows ein seltenes Gut zu sein. Erzählen Sie doch bitte mal ihre Erfahrungen mit der Biolek-Redaktion.

Willemsen: Es gab mal den Fall, dass die Biolek-Redaktion, wo ich früher manchmal Sendekritik machte, zu mir sagte: Bei euch ist es immer in der Sendung interessant, bei uns ist es bis zur Sendung interessant. Als ich erstaunt nachfragte, sagten sie: Wir können hinter der Bühne manchmal mitlesen, was die Gäste sagen werden. Damals wurde ein Prinzip eingeführt, das heute von jeder Talkshow so bearbeitet wird. Man stellt dem Gast vorher alle möglichen Fragen, macht ein Vorge-spräch von zwei Stunden, dann kreuzt der Moderator die Antworten an, die er interessant fand und das rekapituliert der Gast möglichst eins zu eins in der Sendung. Man kann dann manchmal beim Gegenüber den panischen Gesichtsausdruck sehen, wenn sich einer nicht an diese Absprachen hält. Da kaum noch eine einzige Sendung dieser Art live ist, wird man natürlich immer mit der Schere bedroht. Alle denken immer mit großer Sentimentalität an die Ernstfälle wie Klaus Kinski, Uta Ranke- Heinemann oder Nina Hagens Masturbieren im Club 2 in Österreich – alle diese Ernstfälle wären heute wohl der Schere zum Opfer gefallen.

Aber gerade solche Ernstfälle wie der Auftritt von Kinski sind legendär und bleiben in Erinnerung.

Willemsen: Ja, da sind wir wieder beim Anfang. Da spielt das schöne Fleisch der Kommunikation eine Rolle. Man merkt, der Mann greift an, er löst Verlegenheit aus, er löst Panik aus und dieses Zögern und Schwanken ist das, was eine Talkshow zu einem Ereignis macht. Heute hat man bei vielen Talkshows den Eindruck, dass die Tatsache, dass es zu keinem Ernstfall kommen kann, mit zur Sendung gehört. Man redete ja ewig von dem Rauswurf von Eva Herman, weil das nach langer Zeit wieder ein Fall gewesen ist, bei dem es einen gewissen Wallungswert gab.

War dieser Rauswurf nicht minutiös abgesprochen?

Willemsen: Das war er nicht. Ich kenne einige Leute von Kerners Redaktion und ich muss zu deren Verteidigung wirklich sagen, dass sie sehr glaubwürdig sagen können, sie waren ganz sicher, dass sich Eva Herman entschuldigen würde. Sie haben diese Entschuldigung abarbeiten wollen und haben dann andere Themen vorbereitet. Und dann waren die fassungslos zu sehen, dass Eva Herman diese Möglichkeit nicht genommen hat.

Wo gehen Sie denn lieber hin: zu Kerner oder zu Beckmann?

Willemsen: Ich gehe grundsätzlich nicht zu Beckmann, deshalb gehe ich zu Kerner.

Ist Kerner spontaner als Beckmann?

Willemsen: Er hat sich sehr weit gelöst von den Anfängen und macht sehr viel mehr Freilauf, als er es am Anfang gemacht hat. Man kann sich bei Kerner darauf verlassen, dass seriös gearbeitet wird.

Wie spontan sind denn Schmidt und Pocher?

Willemsen: Das kann ich nicht sagen. Ich kann aber sagen, dass Harald Schmidt wahrscheinlich der spontanste von allen ist, die es im deutschen Fernsehen in diesem Segment gibt. Da ist er immer noch Galaxien über allen anderen. Er kann jede Unvorhergesehenheit parieren. Da geht es nur noch um die innere Haltung, ob er das mit Wucht, mit Pathos, mit Ironie oder mit sportlichem Vergnügen macht. Man sollte ihn nicht unterschätzen.

Würden Sie denn auch wie Schmidt als Gigolo im Traumschiff auftreten?

Willemsen: Das würde ich nicht. Ich verfüge nicht über diese Form der Selbstironisierung.

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