Richard Strauss und seine Proletenhymne

Von Michael Weiser

Vor 80 Jahren feierte die Sportwelt in Garmisch-Partenkirchen: Die Olympischen Winterspiele 1936 gerieten zum großen Propaganda-Triumph der Nazis. Und wurden zur Ouvertüre für die Sommerspiele in Berlin. Die Sportshow im Werdenfelser Land taugt noch heute als Lehrstück dafür, wie man Sport für Politik missbrauchen kann.

 
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Richard Strauss hatte nichts am Hut mit „Olympiaden und derartigem Schwindel“. Der weltbekannte Komponist und Dirigent der Bayreuther Festspiele, wohnhaft in Garmisch, schrieb im Februar 1933 an den Garmischer Gemeinderat. Und erhob Einspruch, gegen eine neue Bürgersteuer, die wohl zur „Deckung der Unkosten des Sportunfugs und der vollständig unnötigen Olympia-Propaganda“ verwendet werden solle.

"Juden sind hier unerwünscht"

Da hatte der sonst so wache Strauss die Zeichen der Zeit einmal verkannt. Den neuen Machthabern in Deutschland war es ernst mit dem „Schwindel“ und erst recht mit der Propaganda. Hitler war entschlossen, die Olympischen Winterspiele 1936 unter der Zugspitze als Bühne zu nützen: Deutschland wollte sich der Welt als modernes Land präsentieren, mit Spitzensportlern und glänzender Organisation vor der traumhaften Kulisse des Wettersteingebirges.

Zuvor galt es, Wogen zu glätten. 1935 hatten die Nazis mit den „Nürnberger Gesetzen“ die deutschen Juden weitgehend ihrer Rechte beraubt. Schon drohte das Ausland mit Boykott. Doch in Garmisch und Partenkirchen bemühten sich die Parteigenossen unverdrossen nach Kräften, Führers Wille umzusetzen. Schilder mit der Aufschrift „Juden sind hier unerwünscht“ verwerten Juden den Eintritt in Parks und Lokale.

Die Nazis dämpfen die Hetze

Die Hetze nahm Ausmaße an, dass der deutsche Olympiachef Karl Ritter von Halt die Notbremse zog. Nicht aus Sorge um die Juden, wohlgemerkt, sondern wegen der negativen Folgen fürs Image. Wenn die „Propaganda in dieser Form weitergeführt wird“, so schrieb von Halt, „dann wird die Bevölkerung von Garmisch-Partenkirchen so aufgeputscht sein, dass sie wahllos jeden jüdisch Aussehenden angreift und verletzt“. Die geringste Störung aber gefährde die Ziele der Machthaber – dann „können die Olympischen Spiele in Berlin nicht durchgeführt werden“, da neben den Amerikanern auch alle übrigen Nationen ihre Meldungen zurückziehen würden. Bei Hitler und Goebbels schrillten die Alarmglocken.

Und so fraß der Wolf Kreide: Die antisemitischen Schilder wurden entfernt, die Funktionäre vergattert, die Partei-Hetzpostille „Stürmer“ i einer strengen Zensur unterzogen. Und von Halt konnte schließlich versprechen: „Alle Teilnehmer werden in Garmisch-Partenkirchen als olympische Gäste behandelt.“ Sogar den Eishockeyspieler Rudi Ball, nach den Nürnberger Gesetzen ein „Halbjude“, holte man zurück ins deutsche Team. Alles für den schönen Schein.

Eine Show für die Weltöffentlichkeit

Am 6. Februar 1936, endlich hatte es auch richtig zu schneien begonnen, sprach Willy Bogner senior in Partenkirchen den olympischen Eid. Vom ersten Augenblick an punkteten die Nazis: Die britische und die französische Delegation marschierte ebenso wie die deutschen Sportler mit emporgerecktem rechten Arm ins Skistadion ein. In den folgenden zehn Tagen bekam die Weltöffentlichkeit gerade mal hundert Kilometer von Dachau und seinem KZ entfernt zu sehen, was sie sehen sollte und wollte: perfekte Organisation, packende Wettkämpfe vor einer halben Million Zuschauer insgesamt, strahlende junge Menschen, glänzend ins Bild gesetzt von Hunderten Reportern und Fotografen.

Zu den Helden zählte Birger Ruud: Der Norweger sprang von der Normalschanze zu olympischem Gold. Im Eiskunstlauf holte auch seine Landsfrau Sonja Henie Gold. Und wurde danach gern von Hitler auf dem Obersalzberg empfangen. Birger Ruud dagegen sollte sich vier Jahre später, nach der Besetzung Norwegens, den Nazis verweigern - und wurde in einem Konzentrationslager inhaftiert.

Strauss löst sein Ticket für Olympia

Doch am 16. Februar 1936 ging noch alles in Wohlgefallen zu Ende. Die ausländischen Besucher waren voll des Lobes, Garmisch war ein gelungener Test für die Sommerspiele in Berlin gewesen.

Sogar für Richard Strauss. Der hatte sein Ticket für Olympia ohnehin noch vor den meisten Athleten gelöst. Seit Dezember 1934 arbeitete er für den „Sportunfug“, wie er an Stefan Zweig schrieb: „Ich vertreibe mir in der Adventslangeweile die Zeit damit, eine Olympiahymne für die Proleten zu componieren, ich, der ausgesprochene Feind und Verächter des Sports.“

Die Erklärung für den Sinneswandel: Strauss fühlte sich erpressbar. Er hatte mit dem Juden Stefan Zweig zusammengearbeitet, fürchtete nun, verfemt zu werden. „Bei seinem Kunstegoismus, den er jederzeit offen und kühl bekannte, war ihm jedes Regime innerlich gleichgültig“, schrieb Zweig selber. Also ließ sich Strauss ohne Bedenken vor den Karren spannen. Beim Ball der Winterspiele in München erklang seine Musik erstmals - und kam an. Ihre Taufe im olympischen Feuer erhielt die Hymne im Sommer in Berlin. Vor 80000 Zuschauern dirigierte Strauss selbst. Sportverächter oder nicht, am gewaltigen Propagandaerfolg der Nazis hatte auch Richard Strauss seinen Anteil.

INFO: Interessante Informationen zu Olympia in Garmisch-Partenkirchen liefert die Seite von Alois Schwarzmüller.http://members.gaponline.de/alois.schwarzmueller/. Über den Missbrauch der olympischen Idee im Dritten Reich schrieb Alexander Emmerich im Theiss-Verlag: „Olympia 1936“, 2015, 288 Seiten mit 203 Abbildungen, 29,95 Euro.