Die Faustformel: Pro Jahr hören etwa fünf bis sechs Prozent der deutschen Milchviehbetriebe auf, "also alle zehn Jahre etwa die Hälfte", wie Hemme sagt. "Die verbleibenden Betriebe wachsen dafür um etwa fünf bis zehn Prozent pro Jahr. Das ist die andere Seite der Entwicklung, und ich bin immer dafür, beide Seiten zu sehen."
Seit den Sechzigerjahren hat sich der durchschnittliche deutsche Milchbauer von damals 12 Kühen pro Betrieb auf heutzutage etwa 65 vergrößert. Dabei gibt es große regionale Unterschiede: Die meisten Milchbauern gibt es nach wie vor in Bayern, mit durchschnittlich etwa 30 Tieren. Im Norden sind die Höfe entsprechend größer.
"Wir haben seit 2008 stark schwankende Erzeugerpreise", sagt Claus Schnakenberg, ein Agrarberater und Milchexperte im Bremer Umland. "Das Problem ist, dass die Betriebe im Schnitt über die letzten fünf Jahre keine Vollkostendeckung erreichen." Die Folge: "Der Verschuldungsgrad steigt", sagt Schnakenberg. "Wenn die Erzeugerpreise so niedrig sind wie 2016, bekommen viele Betriebe Liquiditätsprobleme."
Die Einkommen der Milchbauern sind entsprechend niedrig: "Bei einem Betrieb mit 80 Kühen komme ich auf einen Stundenlohn von etwa 10 Euro", sagt IFCN-Direktor Hemme. "Das Einzige, was den Strukturwandel aufhalten könnte, wäre eine erhebliche Wirtschaftskrise mit einer Halbierung der Löhne in Deutschland. Dann wären die Einkommen in der Landwirtschaft wieder konkurrenzfähig."
Von Seiten der Politik bekommen die Landwirte oft zu hören, sie sollten auf Bio umstellen. Zwar lassen sich mit Biomilch tatsächlich bessere Preise erzielen. Aber weil auch die Kosten entsprechend höher sind, leiden Biobauern unter dem gleichen Strukturproblem mangelnder Profitabilität wie ihre konventionell wirtschaftenden Kollegen.
Außerdem steigt die Nachfrage der Verbraucher nach Biomilch offenbar nicht so schnell wie das Angebot: "Wir haben Betriebe, die an einer Umstellung auf Bio interessiert sind, und keine Molkerei finden, die ihnen die Milch abnehmen würde", sagt Schnakenberg.
Sollte die EU in der nächsten Förderperiode tatsächlich wie geplant die Zuschüsse kürzen, würde das im Norden die Biobauern sogar härter treffen als konventionelle, rechnet Schnakenberg vor: "Die Prämien machen bei konventionellen Betrieben hier in Norddeutschland etwa 3 Cent pro Kilo Milch aus, eine Kürzung von zehn Prozent würde da nicht sehr ins Gewicht fallen", sagt der Experte. "Bei den Biobetrieben sind es 15 Cent. Wenn man die Prämien kürzt, wird der Druck auf die Biobetriebe größer sein als auf konventionelle Betriebe."
Im Süden würde eine Kürzung der EU-Zuschüsse wohl auch die konventionellen Betriebe hart treffen: "Die Einnahmen eines bayerischen Durchschnittsbetriebs setzen sich zu etwa 80 Prozent aus Transferzahlungen und zu 20 Prozent aus den erwirtschafteten Erträgen zusammen", sagt IFCN-Direktor Hemme. "Wenn die Transferzahlungen reduziert werden, wird das den Strukturwandel beschleunigen."