Salento - Die nächsten Tage verbringe ich nicht nur in Gesellschaft Leos. Brigitte aus Dortmund und ich reisen gemeinsam über Pereira nach Salento. Nach dem lauten Medellin sehnen wir uns nach Ruhe in den grünen Kaffee-Bergen rund um Salento. Die hoffen wir, in der Nähe der malerischen Kleinstadt mit unendlich vielen Postkarten-Motiven zu finden.

Die Fahrt geht im kleinen Schnell-Bus nach Süden. Die Straße windet sich in nicht enden wollenden Serpentinen nach oben. Es gibt nur wenige Möglichkeiten, die unter ihrer Last ächzenden Lkws zu überholen. Unser Fahrer indes findet mehr, als mir lieb ist. Am besten die Augen schließen, ohne die Manöver miterleben zu müssen. Viele Kreuze am Straßenrand und eine totgefahrene Kuh sprechen eine nur allzu deutliche Sprache. Während dieser Tour erhaschen wir allerdings auch viele atemberaubende Blicke auf die nicht allzu fernen Ausläufer der Anden.

Nach viereinhalb Stunden erreichen wir Pereira, eine sehr umtriebige Stadt mit knapp einer halben Million Einwohner. Es ist die größte Stadt der Kaffeeregion, in der sich alles um das braune Gold dreht. Zwei Stunden müssen wir auf dem Busbahnhof warten, ehe der nächste Bus nach Salento fährt, wo wir nach einer dreiviertel Stunde ankommen. Mit dem Jeep-Taxi lassen wir uns auf den Milchbauernhof "La Serrana" chauffieren. Denn gut 20 Minuten mit Sturmgepäck dorthin zu laufen, kommt uns partout nicht in den Sinn. Dass wir von der Hacienda unser Gepäck allerdings noch eine Weile zurück schleppen müssen, war uns vorher nicht bewusst. Doch angesichts der neuen Bleibe nehmen wir das gern in Kauf. Noch zwei Pärchen wohnen mit uns in der Abgeschiedenheit. Rundum verglast ist der Wohnbereich mit offenem Kamin. Der Ausblick auf den Sonnenuntergang ist traumhaft. Avocado-Bäume stehen zum Greifen nah, die Berge sind von allen Seiten durch die riesigen Fenster zu erspähen. Welch eine Idylle.


Spektakuläre Sonnenuntergänge

Wir nehmen am Familien-Abendessen teil, wofür wir uns schon unterwegs telefonisch angemeldet haben. Es gibt köstliche Tortillas mit wunderbaren Füllungen, die sich jeder selbst zusammenstellen kann. Das Ambiente im Haupthaus, wohin wir zehn Minuten laufen müssen, ist ebenfalls nicht zu verachten. Den Abschluss machen wir am gemütlichen Lagerfeuer, ehe es zurück in unsere gläserene Behausung geht.

Am Tag darauf ist Ruhe angesagt. Einfach mal Abhängen und in dem wunderschönen Salento die Häuschen bestaunen und die zahlreichen Läden, die Kunst jedweder Art anbieten. Nach dem wenig spektakulären Abendessen in der Hacienda, aber einem umso spektakuläreren Sonnenuntergang machen wir es uns gemütlich in dem riesigen Wohnraum und hören Musik aus den 70er-Jahren. Als dann noch drei junge Leute zu uns stoßen, ist die Runde komplett. Brigitte und ich müssen herzlich lachen, als uns das Trio eröffnet, dass wir von den anderen Travellern als lesbisches Paar bezeichnet werden. Mein über alles geliebter Chap, für den ich heute in der Kirche eine Kerze angezündet habe, hätte sich wahrscheinlich köstlich darüber amüsiert. Als ich weit nach Mitternacht ins Bett gehe, hocken Brigitte und der Rest der Bande noch fröhlich beieinander.


Wenig Erfolg als Kaffeepflückerin

Tags darauf wandern wir talabwärts auf die Kaffeefarm Ocaso. Während der Tour durch die Kaffeesträucher, an denen die Früchte noch überwiegend grün sind, sollen wir die roten Früchte herauspicken und in das Körbchen, das wir um den Bauch geschnallt haben, hineingeben. Während hier gerade mal zwei Kilo Früchte hineinpassen - meine Ausbeute sind maximal zehn Früchte mit jeweils zwei Böhnchen -, müssen die professionellen Pflücker zehn Kilo vor sich her transportieren. Dass eine Tasse Kaffee nicht noch teurer ist, muss einen wirklich wundern angesichts der langjährigen Wachstumsphase und der schwierigen Ernte. Kolumbianischer Kaffee ist weniger stark als brasilianischer. Eine wahrlich interessante Tour durch die auf 1700 Metern gelegene Kaffee-Plantage. Nach dem Rundgang wissen wir, dass Kaffee am besten in einer Höhenlage zwischen 1300 und 1900 Metern gedeiht.

Auf den Grillabend in der Hacienda verzichten wir heute gern, machen uns lieber auf den Weg ins Restaurant "Sandra en Salento". Die Besitzerin des herrlich gelegenen Lokals soll neun Sprachen sprechen und begrüßt uns in astreinem Deutsch. Der Sunset, den wir von unserem Tisch aus auch hier hinter großen Glasscheiben erleben, ist so spektakulär wie gestern schon. Für zwei Gläser Merlot, ein Mineralwasser, einen feinen Rohkost-Salat mit Mango, eine hausgemachte Pate mit roter Zwiebel-Marmelade und frisch gebackenem Brot sowie für einen extrem leckeren Lemon Pie zahle ich umgerechnet 15 Euro. Es ist ein Gedicht.


Zu zwölft im Jeep nach Cocora

Heute ziehe ich wieder einmal allein los, steige auf dem Marktplatz von Salento in eines der Jeep-Taxis. Mit mir weitere elf Leute: Zwei auf dem Beifahrersitz, sechs quetschen sich auf die Mini-Bänke im hinteren Bereich und vier hängen hinten stehend am Jeep. Und das über zehn Kilometer. Ja, das Backpacker-Leben ist nicht immer ganz einfach. Angekommen in Cocora, sehe ich zu, dass ich der Meute - es dürften sich etwa 25 Leute auf den Weg machen - entkomme. Das Gequatsche der Traveller kann einem nämlich zuweilen ziemlich auf die Nerven gehen: Woher kommst Du? Wohin gehst Du als nächstes? Wie lange bist Du auf Reisen? Was, da warst Du noch nicht? Irgendwann hast Du keine Lust mehr, zu antworten. Eine ganz schlimme Sorte Reisender ist jene, die von Mutti und Vati bis ins Erwachsenen-Alter verhätschelt und verwöhnt worden ist. Es sind jene, die gerne mal ihren leer gegessenen Teller einfach in der Hostel-Küche abstellen und sich versuchen aus dem Staub zu machen, in der Hoffnung, dass sich irgendein Depp des Abwaschs erbarmt. Hat Mami ja auch immer gemacht! Oder jene, die sich für die Reise nicht krumm haben machen müssen, sondern gesponsert von Eltern und Großeltern die große Sause machen, während andere zwischendrin jobben müssen, um die gleichen Abenteuer wie ihre Altersgenossen erleben zu können. Da macht es hin und wieder richtig Spaß, solch verwöhnten Muttersöhnchen selbigen zu vermiesen.



Über Hängebrücken in die Reserva Natural Acaime

Zurück zu meiner Tour, die heute bergauf wie bergab je eineinhalb Stunden dauert. Die Landschaft ist einfach atemberaubend! Wie auf einem anderen Planeten wachsen hier plötzlich vereinzelt riesige Palmen kerzengerade in die Höhe. Sie sehen aus wie überdimensionale Laternenpfähle, auf die man eine Palmenkrone gepfropft hat. Die herrlich gefleckten Kühe grasen auf Hügeln, die mich wieder einmal in die Schweiz oder ins Voralpenland versetzen. Ich lasse die plappernden jungen Leute an mir vorüberziehen - hin und wieder plappere ich ja selber ganz gern -, um die Landschaft in vollen Zügen genießen zu können. Das allerdings ist für mich auch stets die Zeit der Tränen. Denn ich weiß so genau, wie Chap diese wundervolle Natur geliebt hätte. Allerdings hätte er mich heute auch gerüffelt, weil ich - wieder mal - den Feldstecher vergessen habe. Während die Tränen laufen, setze ich einen Fuß vor den andern, quäle mich schon wieder über Felsen, Matsch, Bäche und Wurzeln im Valle de Cocora immer weiter nach oben in die Reserva Natural Acaime. Und wieder verfolgen mich die ungeliebten Hängebrücken, die ich gleich mehrmals überschreiten muss. Ich bin jetzt auf 2710 Metern Höhe angelangt, wie das letzte Schild anzeigt, dennoch schraubt sich der schmale Weg noch ein Stückchen weiter nach oben. Kein Wunder, dass ich heute kurzatmiger bin als bei meinem Trip in die verlorene Stadt. Bei dieser Höhe!

Die Mühe indes hat sich wirklich gelohnt. Denn endlich erlebe ich Tiere, die mir bislang nicht allzu häufig vor die Linse gekommen sind. Leo setzt sich unerschrocken neben den Nasenbären, der gemütlich den Abhang herunter trottet. Denn die Näpfe auf dem kleinen Beton-Plateau sind stets gefüllt mit leckerer heißer Schokolade, die die Traveller, die sich hier hinauf verirren, nicht ganz austrinken. Gierig schlabbert der Nasenbär hinein, während ihm drei weitere schon auf den Fersen sind. Leo wird neugierig beschnüffelt und schnell wieder missachtet. Scheint nicht nach Nasenbärs Geschmack. Rund herum zischen Kolibris in den schillerndsten Farben um meinen Kopf. Die "Juwelen der Lüfte", wie sie so wunderschön genannt werden, können fast bis zu 100 Stundenkilometer beschleunigen. Gierig saugen sie an dem süßen Gemisch, das die Bewohner dieser abgelegenen Berg-Idylle in kleinen Gefäßen überall aufgehängt haben. Das Türkis jenes Exemplars mit dem langen schmalen Federschwanz leuchtet, dass es eine Pracht ist.


Forelle ist Salentos Spezialität

Nach zwei Tassen heißer Schokolade, die mir die Energie für den Rückweg spendiert, geht es nach unten. Mein durchgeschwitztes T-Shirt habe ich gegen ein frisches ausgetauscht, aber jetzt brauche ich sogar meine Fleecejacke. Wo bislang strahlend blauer Himmel zu sehen war, ziehen dicke Wolkenschwaden in die tropischen Berge, hüllen die Palmen-Riesen ein, während die Kälte heraufkriecht. Glücklicherweise setzt der Regen erst in der letzten Viertelstunde ein. Mit Schal und Kappe bewältige ich auch das. Die Jeeps warten schon auf die durchnässten Abenteurer. Zurück in Salento, gönne ich mir eine feine Forellencreme-Suppe in einem riesigen Topf für gerade einmal 1,60 Euro. Forelle - die Spezialität von Salento - gibt es hier in den Bergen an jeder Ecke und in den verschiedensten Zubereitungs-Arten.

Heute bringt mich angesichts des anhaltenden Gewitters nichts mehr vor die Tür. Brigitte kommt gerade aus dem Dörfchen zurück und ist ganz begeistert von der Massage, die sich eben genossen hat. Morgen also nichts wie hin! Das allerdings klappt nicht. Denn tags darauf sind die beiden Zimmermädchen damit beschäftigt, in dem Haus klar Schiff zu machen. Während ich versuche, den Stecker für das W-Lan wieder in Position zu bringen, dröhnt ein Schrei von Brigitte durch den großen Wohnraum: "Sie ist gefallen." Ohne zu wissen, worum es geht, renne ich hinaus, wo es in Strömen regnet. Eines der Zimmermädchen ist beim Fensterputzen wie ein Brett auf den Rücken gestürzt und liegt im nassen Gras. Beim Hinausrennen rutsche ich auf den einbetonierten Kieseln aus und fange mich mit der Schulter ab. Die schmerzt ebenso wie mein Hintern, auf den es mich setzt. Wir bringen die verletzte Frau hinein aufs Sofa. Und ich lege mich erst einmal ab, bis die Schmerztablette wirkt.


Planänderung: Es geht weiter nach Bogota

So lädiert kommt für mich San Cipriano, wohin wir am nächsten Tag reisen wollten, nicht in Frage. Das wären nämlich um die sieben Stunden Busfahrt mit mehrmaligem Umsteigen. Und dann ginge es noch mit einer von Motorrädern angetriebenen Draisine 15 Kilometer durch den Dschungel. Das kann ich meinem geschundenen Körper nicht zumuten. Als ich Bogota, die 7,5 Millionen Einwohner zählende Hauptstad Kolumbiens, als nächstes Ziel vorschlage, ist Brigitte einverstanden. Sie hätte ja auch allein weiterreisen können. Wir wühlen uns durchs Internet und werden fündig: Candelaria Lofts - die Juniorsuite zum halben Preis. Wir schlagen für drei Nächte zu. Nachdem wir abends endlich eine frische Trucha - Forelle - auf dem Marktplatz von Salento genossen haben, geht es zurück in unsere Bleibe. Wieder einmal ist Packen angesagt. Diesmal die wärmeren Klamotten nach oben. Denn Bogota thront auf 2600 Metern.