Otavalo - Die junge Indio-Frau müht sich mit Kräften. Sie zerrt drei Ferkel an derben Stricken hinter sich her, quietschend, angstvoll schreiend, sich dagegen stemmend. Auf dem Rücken der Frau, die die typische weiße Bluse mit der bunten Stickerei über dem bodenlangen, dunklen Rock und eine vielreihige goldene Kette um den Hals trägt, ist ebenso festgezurrt wie die Ferkel das Kleinkind der Indigena. Szenen, die hier zu Hunderten wie ein Film vor meinem Auge ablaufen. Samstagmorgen, der Atem kommt stoßweise in kleinen Wölkchen aus dem Mund. So kalt ist es noch hier oben auf über 2500 Metern. Heerscharen von Bauern machen sich lange vor Tageseinbruch aus den weit entlegenen Bergregionen auf nach Otavalo - auf der Suche nach dem großen Schnäppchen. Nur wer früh da ist, also am besten schon vor sechs Uhr, kann mit dem besten Vieh im Schlepptau wieder abziehen. Jeden Samstag sind am Stadtrand von Otavalo Tausende auf den Beinen, um sich auf dem größten Tier- und Handwerksmarkt Südamerikas mit dem Notwendigsten einzudecken.

Farbenpracht aus Alpaka- und Lama-Wolle

Es ist ein regelrechter Farbenrausch, in den ich hier abtauche so früh am Morgen. In den buntesten Schattierungen locken Webwaren und Textilien aus Alpaka- und Lama-Wolle, Ponchos mit prächtigen Mustern, Hängematten, Haarbänder oder Bänder für die typischen Hüte der ecuadorianischen Bevölkerung. Doch noch einmal zurück zum Tiermarkt. "Eine Tüte Küken bitte." So in etwa könnte die Bestellung der Frau gelautet haben, über deren Schulter ich in eine Kiste blicke, die vollgequetscht ist mit Küken in Gelb, Rot und Grau. Die beiden letzten Farben habe ich noch nie bei Küken gesehen. Kurzerhand greift die Verkäuferin mit der schwarzen, seltsam gewickelten Kopfbedeckung in die Kiste, nimmt mehrere der Piepmätze heraus, um sie in der braunen Papiertüte verschwinden zu lassen. "Einen Sack Meerschweinchen, bitte." Gleich einen Stand weiter - mitten drin im noch nicht ganz trockenen Morast - harren Meerschweinchen dicht an dicht in einem kleinen abgezäunten Stall aus. Am Kragen gepackt, wird das Tierchen akribisch unter die Lupe genommen, ehe es in dem bereitgestellten Sack landet. Die nächsten vier, fünf Meerschweinchen werden ohne jegliche Sorgfalt gleich hinterher gestopft. Cuy gehört auf den Speisezettel der indigenen Bevölkerung wie bei uns der Schweinebraten. Sooft ich den Menschen hier erkläre, dass Meerschweinchen bei uns Haustiere sind, brechen diese in Gelächter aus - die Menschen natürlich. Mit Essen spielt man doch nicht! Oben zugeknotet, nehmen die zwei Indio-Frauen - kaum eine ohne ein Baby oder Kleinkind auf dem Rücken - den Sack mit den Meerschweinchen gemeinsam in ihre Mitte, um dann fröhlich plaudernd eines von den Fettgebäcken an einer Garküche zu verzehren.

Kein Spaß fürs liebe Federvieh

Hühner, Hähne - zu Dutzenden ragen ihre Köpfe aus Plastikkisten oder sie liegen bereits zusammengebunden zum Verkauf bereit. Jeglicher Aufschrei wird sofort unterbunden, indem die Tiere kopfüber an den Füßen zusammengezurrt werden. So werden sie von den Bauern auch durch den riesigen bunten Andenmarkt getragen, bis alles beieinander ist. Ein bisschen Schwund scheint es in dieser den Tieren nicht so liebevoll zugewandten Welt auch zu geben: In der Mülltonne neben mir liegt ein totes gerupftes Huhn neben leer getrunkenen Pappbechern. Kleine Kätzchen versuchen den Leinen, an denen sie hängen, zu entkommen, strangulieren sich dabei beinahe selbst. Quietschende Welpen warten neben Häschen auf ihre Abnehmer.

Stolz zieht der junge Landwirt eine Kuh hinter sich her, um die er gerade noch schweißtreibend gefeilscht hat. Zusammen mit dem Kalb, das permanent saugen möchte am Euter der Mutter, aber vom neuen Besitzer abgedrängt wird, zieht er von dannen. Ein Maulesel weigert sich strikt, dem neuen Herrn zu folgen, ebenso wie die riesige Sau, an der sich ein kleiner Indio mächtig abrackert. Manchmal müssen gar drei Leute ran, um die Tiere in Zaum zu halten. Bis sie auf Transporter verladen sind, ist es zuweilen eine Tortur, der man nicht gerne zusieht. Bist Du nicht willig...

Tracht und Zopf aus Tradition

Während sich Lamas und Alpakas ziemlich friedlich am Rande des hektischen Treibens verhalten, zicken die Schafe zuweilen herum, wenn sie dem neuen Besitzer folgen sollen. Dieser Tiermarkt nimmt mich gefangen, stundenlang könnte ich der Szenerie folgen, die so viele Eindrücke hinterlässt. Schon allein die Kopfbedeckungen der Menschen um mich herum sind faszinierend: Blaue Decken sind in vielen Schichten wild um den Kopf einer winzigen Frau drapiert, schwerer Brokat drückt auf den Kopf einer anderen, wieder eine andere trägt eine Filzmatte auf dem schwarzen Zopf. Das haben Frauen und Männer hier alle gemein: den langen, schwarzen, geflochtenen Zopf. Nur einige wenige Jugendliche ragen aus dem Raster, wagen es, mit Kurzhaarschnitt in ein neues Zeitalter zu schreiten - oder gar mit einer gegelten Frisur. Die typischen Hüte tragen beide Geschlechter ebenfalls auf dem Kopf. Und fast ein jeder steckt in der traditionellen Tracht der Otavalos: Die Männer tragen weiße Hosen und einen dunklen Poncho, die Frauen einen dunklen Rock, weiße Bluse mit bunter Handstickerei und ein farbiges, gewebtes Gürtelband. Um die Zöpfe sind meist bunte Bänder gewickelt. In den Ohren stecken üppig gold glänzende Gehänge, um den Hals tragen die Indigenas die vielreihigen Goldketten.

Frühstück zwischen Bergen von Innereien

Ich arbeite mich vom Tiermarkt allmählich Richtung Zentrum. Der tägliche Markt auf der Plaza del Ponchos dehnt sich samstags auf riesige Teile der Stadt aus, bietet ein Wirrwarr an Gassen mit einem schier unglaublichen Angebot. Erst einmal frühstücken. Köstlich duften die Teigstückchen, die in der schwarzen Frittierpfanne fett herausgebacken und gezuckert zu mir über den Tresen gelangen. Ebenso fein - muy rico - schmecken sie auch. Das Ganze kostet 25 Cent. Über das Umfeld, in dem ich das verzehre, muss man großzügig hinwegsehen. Den Kopf drehe ich also zumindest in die andere Richtung des monströsen Innereien-Bergs, der sich zwischen mampfenden Indigenen und üppigen anderen Fleischbergen auftut. Viehhandel ist hartes Brot und macht hungrig. Das Seil mit der Sau an der linken, kaut der hutzelige kleine Mann an einer Schwarte und versucht, das Tier, das keinerlei Anstalten macht, ihn anschließend zu begleiten, mit Tritten oder Zerren etwas gefügiger zu machen.

In einer Dreck verschmierten blauen Babywanne stapeln sich die Kauleisten nebst Zähnen von Schweinen, die hier frühmorgens - im Ganzen mit einer Tomate in der Schnauze - schon angeboten werden und deren Fleisch zusammen mit Kartoffeln, Reis und Mais auf dem Teller landet. Ein abgezogener Schweinsschädel mit starrem Blick liegt zwischen Kaffeetasse und einem Teddy, gesteckt aus frischen Blüten. Berge von grau-grünen Kutteln und Magenwänden köcheln in mächtigen Bottichen, neun Uhr ist nach erfolgreichem Tierhandel Frühstückszeit mit riesigen Terrinen voller Schwarten, Tierfüßen, Gemüse und vielerlei Kartoffeln. Krebse liegen akkurat gestapelt zusammengebunden und harren ihres Schicksals. Tier möchte man nicht sein in dieser rauen Region der Anden, denke ich mir und sauge weiterhin durstig auf, was Otavalo mir an diesem Tag bietet.

Glibber-Getränk aus Aloe

Selbst manche Getränke scheinen gewöhnungsbedürftig. Während der alte Indio gerade einen Schwall auf die Straße rotzt, um gleich darauf genüsslich weiter an dem Getränk zu saugen, entscheide ich mich angeekelt dagegen. Die Beschreibung indes ist äußerst interessant: Aus einem frischen Stück Aloe wird der Glibber in ein Glas gestreift, dann folgt aus irgendeinem Bottich weiterer Glibber - welcher Natur auch immer. Er ist Rot. Ein Schuss irgendeines Heißgetränks wird aufgegossen, dann noch ein Schuss aus einer ziemlich versifften Flasche - fertig ist der Gruseltrank. Vielleicht schmeckt er ja auch. Mir allerdings ist der Appetit vergangen.

In Schubkarren schieben Indio-Frauen in ihren Trachten Berge frischer Erdbeeren vor sich her, während das Kleinkind gleich mit transportiert wird. Hühnerteile brutzeln neben Fischen und anderen Dingen, deren Konsistenz und vorherige Existenz ich nicht so wirklich ausmachen kann. Aji gibt es hier zu jeder Mahlzeit. Das ist eine pikante Sauce, die alles perfektioniert und für die jede Familie ihr eigenes Rezept hat. Alte Weiblein, von jahrelanger, harter Arbeit stark gezeichnet, kauern auf dem Boden am Straßenrand, vor sich eine kleine Ausbeute dessen, was sie ihren Feldern abgerungen haben. Sie schälen die Erbsen aus den Schoten, um diese dann geduldig an den Mann zu bringen.

Quacksalber umringt von staunenden Bauern
Otavalo ist wegen seiner Lage in einem fruchtbaren Andental entlang der Nord-Süd-Achse zwischen zwei Andenkordilleren seit jeher eine wichtige Handelsstadt. Einen gewissen Reichtum erlangte die Stadt durch den Handel mit Webwaren und anderen Textilien, und in den letzten Jahrzehnten auch durch Tourismus. Viele der indigenen Otavalos bereisen die ganze Welt, um ihre Waren auf Handwerksmärkten und in Fußgängerzonen zu verkaufen. Auch Musikgruppen aus der Region gehen auf Welttournee mit Panflöten, Gitarren und Trommeln, um ihre typische und folkloristische Andenmusik zum Besten zu geben. Natürlich gibt es auf dem riesigen Andenmarkt auch eine große Auswahl an handgefertigten Instrumenten.

Hunderte von Verkäufern aus Otavalo und dem Umland verkaufen obendrein Kunst und Krempel aus der Region, aber auch aus ganz Ecuador und den Nachbarländern Peru und Kolumbien. Neben all den vielen Webwaren aus Wolle findet sich ein üppiges Angebot an Silberschmuck, Holzschnitzereien, Gemälden, Panama-Hüten (die kommen nämlich ursprünglich eigentlich aus Ecuador), auch Vielerlei Kunst aus Holz, Stein und Metall. Fliegende Händler preisen, monoton ihren Text immer und immer wieder herunter spulend, gefährlich Süßes für die Zähne an, heißen Kaffee oder Obst und Gemüse. Ein Quacksalber erzählt den staunenden Bauern, die zum Teil mit offenem Mund an seinen Lippen hängen, welch Wunder sein Mittelchen zu vollbringen vermag. Für viele Menschen vom Land ist dieser Samstag in Otavalo etwas ganz Besonderes, schließlich kommen die meisten nur selten hierher. So wie ich. Ein prächtiger Farbenrausch in den Anden, der unvergesslich bleibt.