Kultur-Institutionen: Fit in Social Media?

Von Kerstin Fritzsche
Kein guter Hoax im Netz ohne ein eigenes Meme: Als die Macher des Twitter-Accounts der Bayreuther Festspiele sich outeten, taten sie das mit diesem Comic. Screenshot: kfe Foto: red

Die Bayreuther Festspiele GmbH bleibt dabei: Sie will den jetzigen Account, der als Fake lange erfolgreich und unentdeckt geführt wurde, nicht weiterführen. Und sie will auch nächstes Jahr nicht mit einem eigenen Account auf Twitter. Dabei sollten gerade Kultur-Institutionen sich mit Social Media beschäftigen, sagen Experten. Vor allem Deutschland habe außer in der Museumslandschaft extremen Nachholbedarf. Derweil bekamen die Macher des falschen Accounts woanders Job-Angebote und Nominierungen für Marketing-Preise.

 
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Selbst Nike Wagner war amüsiert. Sie habe sehr gelacht über den "Bayreuthfake". "Wie eine tolle Eulenspiegelei kam mir das vor." "Bayreuthfake", das war ein kleiner Twitter-Skandal. Zu Beginn der diesjährigen Festspiele starteten die Autoren des Blogs "Musik mit allem und viel scharf" (mmauvs) auf Twitter den offiziellen Account der Bayreuther Festspiele. 700 Follower in kurzer Zeit, sogar das Royal Opera House in London. Nur war der Account gar nicht offiziell. Das fiel aber keinem auf, auch dem Kurier nicht.

Mitte August outeten sich die Macher dann selbst. Es war nicht das erste Mal, dass sie solch eine Guerilla-Aktion veranstalteten. Bei der Dirigenten-Wahl der Berliner Philharmoniker setzten die Blogger erfolgreich einen Fake-Tweet mit ebenfalls gefälschtem Foto ab, in dem sie behaupteten, Andris Nelsons würde der neue Chefdirigent werden. Unter anderen BR-Klassik, der "New Yorker" und der "Boston Globe" nahmen das für bare Münze.

Die Aufregung in der Kultur-Szene in beiden Fällen war groß. Unter anderem deswegen sah sich etwa die Hamburger Staatsoper veranlasst zu sagen: Unser Account ist übrigens echt. "Die Diskussion hat gezeigt, dass ein Social-Media-Auftritt für kulturelle Institutionen nicht nur zeitgemäß ist, sondern auch selbstverständlicher Teil der Kommunikation sein sollte", sagte Sarah Weissberg, die sich um die Online-Kommunikation der Hamburger Staatsoper kümmert, im August in einem Interview.

Nominierung für den Virenschleuder-Preis

Und während die Bayreuther Festspiele GmbH nochmals bekräftigte, dass sie den Fake-Account nicht übernehmen und auch nicht im kommenden Jahr einen eigenen starten wolle, erntete die Aktion von mmauvs im Netz Anerkennung - und war sogar für den Virenschleuder-Preis nominiert. Das ist ein Preis für innovatives Marketing, es gibt ihn seit fünf Jahren. Gekürt wird die "ansteckendste Kampagne", verliehen wird der Preis auf der Frankfurter Buchmesse. "Musik mit allem und viel scharf" ging vor zwei Wochen zwar leer aus, in der Kategorie gewann die Bayerische Schlösserverwaltung mit dem Twitter-Projekt "Lustwandeln". Aber es gab ein Job-Angebot als Social-Media-Manager bei einer bedeutenden Kulturinstitution. Nur halt nicht in Bayreuth. "Wir hatten bis heute keinen Kontakt mit Bayreuth", teilten die Blogger auf Nachfrage mit. Dabei sehen sie da Potential. Und weisen darauf hin, dass neben den Bayreuther Festspielen auch noch 13 andere Festivals klassischer Musik keinen Twitter-Account haben, darunter etwa Schleswig-Holstein-Musikfestival, Bachfest Leipzig und Rheingau-Musik-Festival.

Zum Job mit dem Fake

Mit dem Fake zum Job - das gab es aber tatsächlich schon öfters in der Internet-Welt. Der in Deutschland bekannteste Fall ist der des ZDF. 2009 starteten Michael Umlandt und Marco Bereth den Twitter-Account @ZDFonline. Und wuchsen rasch. Niemand schöpfte Verdacht. Nach Wochen fragte die Sport-Redaktion des ZDF mal nach, aber die Beiden antworteten nicht, da sie dachten, es handele sich hier ebenfalls um einen Fake-Account. Als der Sender Neo an den Start ging, sicherten sich Umlandt und Bereth auch hier den Account und twitterten eine ganze Weile mit zwei falschen Accounts. Als das Ganze Anfang 2011 aufflog, machte das ZDF den jungen Männern ein Job-Angebot. Warum nicht offiziell machen, was sie inoffiziell so lange so gut getan hatten? Ein Karriere-Sprungbrett: Inzwischen arbeitet Umlandt sogar für Twitter Deutschland.

Nachholbedarf vor allem bei Twitter

Online-Kommunikation scheint in der Tat schwer. Eine halbwegs aktuelle Studie bestätigt die Musik-Blogger und stellt fest: Kultur-Institutionen in Deutschland haben extremen Nachholbedarf im Umgang mit Social Media, vor allem Twitter. Es gibt Ausnahmen bei den Museen, so fand 2011 zu einer Jeff-Koons-Ausstellung an der Frankfurter Schirn ein Twitter-Treffen statt, das Städel-Museum ebenfalls in Frankfurt war mal Schauplatz eines „Tatorts“ und nutzte dann Twitter geschickt zum Einstreuen von Kunst-Infos während der Ausstrahlung, die „Blaue Nacht“ in Nürnberg wurde 2014 (mehr schlecht als recht) auf Twitter gebracht.

Institutionen verschenken Chancen

Social-Media-Beraterin Angelika Schoder, die in Bayreuth Neuere Deutsche Literaturwissenschaft, Soziologie und Theaterwissenschaft studiert hat und ein kulturwissenschaftliches Blog betreibt, hat die Twitter-Aktion zur Nürnberger "Blauen Nacht" der Museen im vergangenen Jahr ausgewertet und auch den Streit um den Fake-Festspiele-Account aufmerksam verfolgt. Für sie ist die Sache "typisch Bayreuth". Die Wahl-Hamburgerin findet es schade, dass die Festspiele-GmbH so reagiert. "Ich finde es gut, dass durch die mediale Diskussion ein gewisser Anspruch an die Festspiele entsteht. Spätestens nächstes Jahr muss die Festspielleitung reagieren." Institutionen würden Chancen verschenken, wenn sie sich dieses neuen Möglichkeiten nicht stellen.

Was lokale Kulturschaffende sagen:

„Wir als Kulturpartner nutzen Twitter nicht, für unsere Projekte gehen wir meistens auf Facebook. Ich weiß nicht, Twitter macht viel Arbeit. Man muss immer genau die Zielgruppe im Auge haben, bei sehr jungen bringt das vielleicht was, bei mittelalten schon nicht mehr. Manchmal habe ich den Eindruck, man macht mit, damit das Logo auch draufsteht, aber… Man soll‘s machen, wenn man vom Effekt wirklich überzeugt ist. Bei der Musica in Bayreuth und dem Nachsommer in Schweinfurt haben wir‘s nicht gemacht", sagt Clemens Lukas, Veranstalter, Chef der Kulturpartner.

Nora Gomringer, Leiterin des Künstlerhauses Villa Concordia, Bamberg und Bachmann-Preisträgerin, sagt: „Wir twittern. Ja, wahrscheinlich sind wir mit die einzigen in weitem Umkreis. Vor fünf Jahren waren zu wenig in den sozialen Medien vertreten, ich habe dann einen Testlauf begonnen, und nun mache ich weiter. Merke, dass immer wieder Leute drüber stolpern. Aber: Die Altersgruppe, von der ich meinte, dass sie da besonders dabei ist, die 20 bis 30-Jährigen, die twittern fast nicht mehr. Es sind die Leute, die 35 und mehr Jahre alt sind. Genauso wie Facebook. Die ganz Jungen erwischt man mit Facebook nicht mehr, sondern Leute ab 35. Kundenbindungseffekt über Twitter? Das nutzen von den Leuten, die mit uns zu tun haben, maximal vier Prozent. Wir haben auch keine Extra-Inhalte für den Account, es ist eher so: Die ersten dreißig Zeilen von Facebook laufen dann halt auch auf Twitter mit.“

Horst Eggers, seit 2015 Vorsitzender des Richard-Wagner-Verbands international, möchte dagegen den Staub wegblasen: „Einen Newsletter bieten wir schon an, wir sind dabei, eine neue Webseite zu gestalten, danach kommen Facebook und Twitter dran."

Das sagt Medien-Professor Jochen Koubek:

Aber sollten Kultur-Institutionen überhaupt auf Twitter? Zumindest sollten sie sich mit Social Media beschäftigten, meint der Bayreuther Professor für Digitale Medien, Jochen Koubek. Vier Fragen an ihn:

Der Twitter-Account der Festspiele wurde wochenlang erfolgreich geführt, keinem ist der Fake aufgefallen. Wie ist so etwas möglich?

Jochen Koubek: Man muss wohl davon ausgehen, dass die Öffentlichkeitsarbeit der Festspiele sich nicht sonderlich um Twitter gekümmert hat. In einer Karrikatur im New Yorker sagte bereits 1993 ein Hund zum anderen: Im Internet weiß niemand, dass du ein Hund bist. Wenn in einem Twitter-Account nicht grober Unfug steht, ist die Echtheit für Leser nicht überprüfbar. Und wenn der Namensgeber nicht einschreitet, kann das lange unentdeckt bleiben.

Beim ZDF ist dasselbe passiert. Der Sender hat dann den jungen Herren, die den Fake-Account führten, aber einen Job angeboten. Ist dieser Umgang richtig? Arbeitsvertrag statt Klage?

Koubek: Das ist auf jeden Fall eine souveräne Art, mit der Sache umzugehen. Beleidigt sein und Klage zu erheben, obwohl man sich eigentlich über sich selbst ärgern müsste, hilft in der öffentlichen Wahrnehmung gar nicht, vor allem, wenn bis dahin überhaupt kein Image-Schaden entstanden ist.

Kultur-Institutionen, vor allem der E-Kultur, tun sich mit dem Internet allgemein schwer und teilweise auch mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit, wissen beispielsweise oft gar nicht, wie sie Publikum zielgruppengerecht ansprechen können. Da gibt es also schon ganz andere, grundlegerendere Probleme. Warum sollte dann eine Institution wie die Bayreuther Festspiele ausgerechnet auf Twitter?

Koubek: Warum die Festspiele twittern sollten, weiß ich auch nicht. Zumindest sollten sie aber verhindern, dass jemand anderes dies unter ihrem Namen macht. Es hängt wirklich von der Zielgruppe ab, die man ansprechen möchte.

Und wie schaut es insgesamt mit Social-Media-Strategien bei Kultur-Institutionen aus? Laut einer Studie vom Dezember 2012 sind die Berliner Philharmoniker immerhin auf Platz 2 hinter dem London Symphony Orchestra. Aber dann folgt erst mal lange keine deutsche Institution mehr, schon gar nicht im Bereich klassische Musik. Und dann ist es noch ein Unterschied, ob die Kanäle wirklich einzeln nach ihren Möglichkeiten genutzt werden oder etwa der Twitter- nur mit dem Facebook-Account verknüpft ist. Warum hat Deutschland hier noch so viel Nachholbedarf?

Koubek: Weil Deutschland neuen Medien im Allgemeinen sehr reserviert gegenübersteht. Je mehr andernorts von Chancen und Möglichkeiten gesprochen wird, desto ausführlicher werden hier die Gefahren und Risiken diskutiert. Die "German Angst", das kulturelle Grundgefühl der Deutschen angesichts einer unsicheren Zukunft, zeigt sich eben auch im Umgang mit Medien. Da müssen erst einmal umfangreiche bewahrpädagogische Strukturen geschaffen werden, ehe man sich wagt, die Möglichkeiten auszuloten. Das trifft dann soziale Netze und Twitter im Besonderen.

Mit Unterstützung von Michael Weiser.

Mehr dazu:

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Wie es zu dem Schwindel kam: Interview mit Juana Zimmermann

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