Nachholbedarf vor allem bei Twitter
Online-Kommunikation scheint in der Tat schwer. Eine halbwegs aktuelle Studie bestätigt die Musik-Blogger und stellt fest: Kultur-Institutionen in Deutschland haben extremen Nachholbedarf im Umgang mit Social Media, vor allem Twitter. Es gibt Ausnahmen bei den Museen, so fand 2011 zu einer Jeff-Koons-Ausstellung an der Frankfurter Schirn ein Twitter-Treffen statt, das Städel-Museum ebenfalls in Frankfurt war mal Schauplatz eines „Tatorts“ und nutzte dann Twitter geschickt zum Einstreuen von Kunst-Infos während der Ausstrahlung, die „Blaue Nacht“ in Nürnberg wurde 2014 (mehr schlecht als recht) auf Twitter gebracht.
Institutionen verschenken Chancen
Social-Media-Beraterin Angelika Schoder, die in Bayreuth Neuere Deutsche Literaturwissenschaft, Soziologie und Theaterwissenschaft studiert hat und ein kulturwissenschaftliches Blog betreibt, hat die Twitter-Aktion zur Nürnberger "Blauen Nacht" der Museen im vergangenen Jahr ausgewertet und auch den Streit um den Fake-Festspiele-Account aufmerksam verfolgt. Für sie ist die Sache "typisch Bayreuth". Die Wahl-Hamburgerin findet es schade, dass die Festspiele-GmbH so reagiert. "Ich finde es gut, dass durch die mediale Diskussion ein gewisser Anspruch an die Festspiele entsteht. Spätestens nächstes Jahr muss die Festspielleitung reagieren." Institutionen würden Chancen verschenken, wenn sie sich dieses neuen Möglichkeiten nicht stellen.
Was lokale Kulturschaffende sagen:
„Wir als Kulturpartner nutzen Twitter nicht, für unsere Projekte gehen wir meistens auf Facebook. Ich weiß nicht, Twitter macht viel Arbeit. Man muss immer genau die Zielgruppe im Auge haben, bei sehr jungen bringt das vielleicht was, bei mittelalten schon nicht mehr. Manchmal habe ich den Eindruck, man macht mit, damit das Logo auch draufsteht, aber… Man soll‘s machen, wenn man vom Effekt wirklich überzeugt ist. Bei der Musica in Bayreuth und dem Nachsommer in Schweinfurt haben wir‘s nicht gemacht", sagt Clemens Lukas, Veranstalter, Chef der Kulturpartner.
Nora Gomringer, Leiterin des Künstlerhauses Villa Concordia, Bamberg und Bachmann-Preisträgerin, sagt: „Wir twittern. Ja, wahrscheinlich sind wir mit die einzigen in weitem Umkreis. Vor fünf Jahren waren zu wenig in den sozialen Medien vertreten, ich habe dann einen Testlauf begonnen, und nun mache ich weiter. Merke, dass immer wieder Leute drüber stolpern. Aber: Die Altersgruppe, von der ich meinte, dass sie da besonders dabei ist, die 20 bis 30-Jährigen, die twittern fast nicht mehr. Es sind die Leute, die 35 und mehr Jahre alt sind. Genauso wie Facebook. Die ganz Jungen erwischt man mit Facebook nicht mehr, sondern Leute ab 35. Kundenbindungseffekt über Twitter? Das nutzen von den Leuten, die mit uns zu tun haben, maximal vier Prozent. Wir haben auch keine Extra-Inhalte für den Account, es ist eher so: Die ersten dreißig Zeilen von Facebook laufen dann halt auch auf Twitter mit.“
Horst Eggers, seit 2015 Vorsitzender des Richard-Wagner-Verbands international, möchte dagegen den Staub wegblasen: „Einen Newsletter bieten wir schon an, wir sind dabei, eine neue Webseite zu gestalten, danach kommen Facebook und Twitter dran."
Das sagt Medien-Professor Jochen Koubek:
Aber sollten Kultur-Institutionen überhaupt auf Twitter? Zumindest sollten sie sich mit Social Media beschäftigten, meint der Bayreuther Professor für Digitale Medien, Jochen Koubek. Vier Fragen an ihn:
Der Twitter-Account der Festspiele wurde wochenlang erfolgreich geführt, keinem ist der Fake aufgefallen. Wie ist so etwas möglich?
Jochen Koubek: Man muss wohl davon ausgehen, dass die Öffentlichkeitsarbeit der Festspiele sich nicht sonderlich um Twitter gekümmert hat. In einer Karrikatur im New Yorker sagte bereits 1993 ein Hund zum anderen: Im Internet weiß niemand, dass du ein Hund bist. Wenn in einem Twitter-Account nicht grober Unfug steht, ist die Echtheit für Leser nicht überprüfbar. Und wenn der Namensgeber nicht einschreitet, kann das lange unentdeckt bleiben.
Beim ZDF ist dasselbe passiert. Der Sender hat dann den jungen Herren, die den Fake-Account führten, aber einen Job angeboten. Ist dieser Umgang richtig? Arbeitsvertrag statt Klage?
Koubek: Das ist auf jeden Fall eine souveräne Art, mit der Sache umzugehen. Beleidigt sein und Klage zu erheben, obwohl man sich eigentlich über sich selbst ärgern müsste, hilft in der öffentlichen Wahrnehmung gar nicht, vor allem, wenn bis dahin überhaupt kein Image-Schaden entstanden ist.
Kultur-Institutionen, vor allem der E-Kultur, tun sich mit dem Internet allgemein schwer und teilweise auch mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit, wissen beispielsweise oft gar nicht, wie sie Publikum zielgruppengerecht ansprechen können. Da gibt es also schon ganz andere, grundlegerendere Probleme. Warum sollte dann eine Institution wie die Bayreuther Festspiele ausgerechnet auf Twitter?
Koubek: Warum die Festspiele twittern sollten, weiß ich auch nicht. Zumindest sollten sie aber verhindern, dass jemand anderes dies unter ihrem Namen macht. Es hängt wirklich von der Zielgruppe ab, die man ansprechen möchte.
Und wie schaut es insgesamt mit Social-Media-Strategien bei Kultur-Institutionen aus? Laut einer Studie vom Dezember 2012 sind die Berliner Philharmoniker immerhin auf Platz 2 hinter dem London Symphony Orchestra. Aber dann folgt erst mal lange keine deutsche Institution mehr, schon gar nicht im Bereich klassische Musik. Und dann ist es noch ein Unterschied, ob die Kanäle wirklich einzeln nach ihren Möglichkeiten genutzt werden oder etwa der Twitter- nur mit dem Facebook-Account verknüpft ist. Warum hat Deutschland hier noch so viel Nachholbedarf?
Koubek: Weil Deutschland neuen Medien im Allgemeinen sehr reserviert gegenübersteht. Je mehr andernorts von Chancen und Möglichkeiten gesprochen wird, desto ausführlicher werden hier die Gefahren und Risiken diskutiert. Die "German Angst", das kulturelle Grundgefühl der Deutschen angesichts einer unsicheren Zukunft, zeigt sich eben auch im Umgang mit Medien. Da müssen erst einmal umfangreiche bewahrpädagogische Strukturen geschaffen werden, ehe man sich wagt, die Möglichkeiten auszuloten. Das trifft dann soziale Netze und Twitter im Besonderen.
Mit Unterstützung von Michael Weiser.
Mehr dazu:
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Wie es zu dem Schwindel kam: Interview mit Juana Zimmermann