Kritik an „Wahnsinn“ Wirtschaft beklagt EU-Bürokratie

red

Bei einem Treffen von Unternehmern wird deutlich: Es sind vor allem kleine undmittelständische Firmen, die mit einer Flut an Regelungen zu kämpfen haben. Doch das ist längst nicht das einzige Problem.

 
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Johannes Hahn. Foto: Thorsten Ochs

Wird die Europawahl am 9. Juni zur Schicksalswahl für Oberfrankens Wirtschaft? Wie unmittelbar die Politik aus Brüssel die heimischen Unternehmen betrifft, wurde beim Wirtschaftsgespräch zwischen Unternehmern und dem EU-Kommissar Dr. Johannes Hahn, der auf Einladung der IHK für Oberfranken Bayreuth nach Thurnau gekommen war, deutlich. Ganz oben auf der Liste der drängenden Themen: die Entbürokratisierung.

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Anschaulich schilderten Wirtschaftsvertreter den alltäglichen Bürokratie-Wahnsinn und die Auswirkungen so manch „praxisferner Regelungen“. In der Aussprache machten unter anderem Stefan Soiné (Ireks, Kulmbach), Nikolaus Wiegand (Wiegand-Glas, Steinbach am Wald), Wolfgang Schubert-Raab (Raab Baugesellschaft, Ebensfeld) und Nathalia Rašek-Abach (EMCCons Dr. RAŠEK GmbH & Co. KG, Ebermannstadt) an Beispielen deutlich, vor welchen Herausforderungen ihre Unternehmen derzeit stehen.

Einig waren sich Politik und Wirtschaft, wie wichtig es ist, dass beide Seiten im Gespräch bleiben. So bedankte sich Hahn bei den Unternehmern für die Statements, die er gerne mit nach Brüssel nehme. Auch die oberfränkische Europaabgeordnete Monika Hohlmeier betonte, dass für die Politik der Input aus der Praxis wesentlich sei, um die Auswirkungen geplanter Gesetze auf die unternehmerische Wirklichkeit abschätzen zu können.

Wettbewerbsfähigkeit schwindet

Der „Green Deal“ zur Erreichung der Klimaziele oder die Lieferkettenrichtlinie sind aus Sicht der Unternehmen nur einige Beispiele für EU-Entscheidungen, die vor allem kleine und mittelständische Firmen mit Bürokratieaufwand überfrachten. „Wir teilen das Ziel, nachhaltiges und verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln zu fördern“, sagte IHK-Präsident Dr. Michael Waasner. „Aus Perspektive der Betriebe sind viele Regelungen jedoch weder praxistauglich noch verhältnismäßig. Bei der EU-Lieferkettenrichtlinie sehen sich Unternehmen vielmehr mit großer Rechtsunsicherheit, Bürokratie und kaum kalkulierbaren Risiken konfrontiert.“

Waasner: „Als überzeugte Europäer müssen wir gemeinsam dafür eintreten, dass Europa geeint und stabil bleibt. Aber die EU muss sich auch reformieren und weiterentwickeln - und sie muss Lösungen für die wirtschaftspolitischen Probleme der Gegenwart bereitstellen.“ Es gelte, sich in einer neuen globalen Weltordnung gut aufzustellen. Denn die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Europa gerate im globalen Wettbewerb immer stärker unter Druck.

Der Ankündigung Hahns, die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit in den Vordergrund der nächsten Legislaturperiode zu stellen, konnten die Anwesenden deshalb nur zustimmen. Gerade in Sachen Bürokratie könne er den Unmut der Unternehmen verstehen, sagte Hahn. „Wir haben eine Manie entwickelt, dass alles in einen Report münden muss. Davon müssen wir loskommen“, sagte er. Das Prinzip „one in, one out“ - kommt ein neues Gesetz, muss ein anderes dafür weichen - versuche man zu praktizieren, nicht immer gelinge es jedoch. Hahn selbst befürwortet es, Gesetze mit einem „Ablaufdatum“ zu versehen, zu dem überprüft werden müsse, ob die Regelung noch sinnhaft und notwendig sei.

Zu lange habe Europa sich in einer dreifachen Komfortzone bewegt, so Hahn: billige Energie aus dem Osten, vor allem aus Russland; billige Technologie aus Fernost; Sicherheitsgarantien aus den USA. Keine dieser Sicherheiten gebe es noch. „Darauf müssen wir eine Antwort finden. Aus meiner Sicht muss diese lauten: verstärkte Souveränität. De-Risking, aber keine Abkopplung.“ Dazu sei Europas Wirtschaft zu eng mit der Weltwirtschaft verflochten. Weg müsse Europa jedoch von einer zu starken Abhängigkeit von einzelnen Märkten und Ländern.

IHK-Präsident Dr. Michael Waasner hofft nach der Europawahl im Juni auf eine stärker auf Unternehmen ausgerichtete Politik der EU. Ob es gelingen wird, eine funktionierende pro-europäische Mehrheit zu erhalten, das könne jeder Wähler und jede Wählerin bei der Europawahl ein Stück weit selbst mit beeinflussen.