Kriminalbiolige Mark Benecke gastiert in Bayreuth: Wie man genau hinschaut, und warum man einen Tatort nicht von Spuren säubern kann "Wie ist das, wenn man verwest?"

Von Michael Weiser
Fliegen sind keine zufälligen Besucher: Mark Benecke ist Deutschlands bekanntester Kriminalbiolopge und Entomologe. Foto: red Foto: red

Er ist Deutschlands bekanntester Kriminalbiologe und Entomologe, "Herr der Maden", bekennender Donaldist und ein großartiger Unterhalter, der in seinen Abenden mit Fotos zeigt, wie man an Tatorten von Verbrechen genau hinschaut: Mark Benecke (44). Am Donnerstag, 12. März, ist er im Zentrum zu Gast. Er sagt: Verwesung ist nicht das Ende. Und: Tot ist tot. Und noch einiges mehr: Über die Kunst zu leben, über den Überfluß an brutalen Krimis. Und über die "Partei". 

 
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Tag Herr Benecke, eines muss ich Sie vorab mal fragen. Was ist König Bullu Bullus Klingelbeutelrunde? Stand kürzlich auf der Tagesordnung der „Partei“.

Benecke: Schwer zu sagen. Wir haben einen Parteiangehörigen, der ist Türke, und dessen Name hört sich so ähnlich an. Ich nehme an, er wollte bei der Parteiversammlung den Klingelbeutel herumgehen lassen. Und weil er sich unter den Parteigenossen so königlich fühlt, hat er sich diesen Titel verliehen. Vielleicht deswegen also König Bullu.

Sie treten tatsächlich für „Die Partei“ als OB-Kandidat für Köln an. Welche Chancen rechnen Sie sich aus?

Benecke: Das ist gar nicht fraglich, dass ich das werde, die anderen Parteien haben ja gar keine sinnvollen Kandidaten. Die andern haben schon vor Beginn des Wahlkampfs wegen möglicher Koalitionen angefragt. Das ist doch ein gutes Zeichen.

Und was haben Sie nach Ihrem Sieg vor?

Benecke: Wir haben bereits ein kleines Wahlprogramm der Öffentlichkeit vorgestellt. Also, wir werden Düsseldorf von Köln mit einer Mauer abtrennen, Straßenreinigung gibt es nur noch mit 47 11, und ich werde persönlich die U-Bahn zu Ende bauen. Ja, das werde ich persönlich machen, weil das die anderen nicht auf die Reihe bringen. Wir werden überdies die andere Rheinseite bunt anmalen, weil die so hässlich ist, also Köln-Deutz und Mühlheim und so. Und ansonsten fragen wir die Bürger und Bürgerinnen.

Sind Sie unterbeschäftigt in Ihrem Beruf als Kriminalbiologe?

Benecke: Das ist eine Frage der Arbeitsenergie. Ich habe doch auch mal mit Gunther von Hagen zusammengearbeitet, und der hat immer gesagt, wenn man doppelt so viel arbeitet, schafft man auch doppelt so viel. Tatsächlich muss man einfach schauen, dass man alles miteinander verschachtelt. Mehr arbeiten allein reicht natürlich nicht. Das ist manchmal ein bisschen kniffelig, aber sonst klappt das schon. Die Reiseplanung mache ich komplett selber, um richtig verschachteln zu können.

Die Menschen strömen zu den Abenden mit ihnen, obwohl sie da auch eklige Sachen zu sehen bekommen. Was zieht die Menschen daran an?

Benecke: Das Eklige, das sage ich nach nunmehr zwanzig Jahren, ist völlig egal. Die Zuschauer wollen vier Sachen. Erstens: Tüfteln und rätseln, das machen alles Menschen gern. Das Zweite ist was Privates: Die Leute wollen sehen, wie das weitergeht, wie das ist, wie man verwest. Das dritte kommt bei Leuten zum Tragen, die selber mit Verbrechen in Berührung gekommen sind. Die wollen einfach Informationen. Wie löst man solche Fälle, wer ist zuständig, ist damals was schiefgegangen? Wie schlimm ist das im Vergleich mit anderen Verbrechen? Die können das danach viel besser einordnen. Das Vierte: Für manche ist das eine Katharsis. Wie ein Actionfilm: Einfach mal durch das Feuer, danach ist man gereinigt. Mit ekligen Sachen hat das alles nichts zu tun. Wenn‘s um Ekel geht, dann fragen die Leute eher so Sachen wie: Wie gewöhnt man sich an den Geruch?

Ja, wie gewöhnt man sich denn an den Geruch?

Benecke: Gar nicht. Das ist da. Wenn ich an der Autobahn wohne, höre ich Autos. Wenn ich Kanalreiniger bin, dann arbeite ich im Kanal. So ist das.

Haben Sie schon Angebote bekommen? TV-Figuren wie der Tatortreiniger oder Aby von Navy CSI sehen fast bieder aus gegen Sie…

Benecke: Das weiß ich nicht, ich gucke eigentlich nie Fiction. Die Leute wollen immer immer Real Life. Und ich auch. Das mache ich ja auch schon. Auch die Amerikaner fragen da. Aber meistens kommen wir da nicht so gut zusammen. Die Fernsehleute wollen es schnell und glitzernd.

Glitzernde Bilder liefern Sie nicht unbedingt.

Benecke: Ja, und Fernsehmenschen achten sehr aufs Bild. Die verstehen nicht, dass das Problem ganz woanders liegt. Und dieses andere ist nicht unbedingt spannend, es ist traurig, erschütternd, oder rätselhaft, aber es passt nicht unbedingt in eine TV-Dramaturgie.

Spannend scheinen die Abend von Ihnen dennoch zu sein. Immerhin haben Sie immer reichlich Publikum.

Benecke: Die Leute können an der Lesung ganz direkt teilnehmen. Ich erzähle, die Menschen reagieren, und ich wiederum reagiere darauf. Es ist wie ein Treffen, ja, wir treffen uns sozusagen privat. Während der Phase dieses Zusammenseins konzentrieren wir uns aufeinander. Wenn andere Leute über Fragen aus dem Publikum lachen, dann sage ich denen auch, ich finde das nicht gut, dass Sie da lachen. Lassen Sie uns doch mal überlegen, warum die Frage interessant ist. Der Abend ist wie eine Ermittlung.

"Vampire blieben im Sarg"

Mit Ihren Tätowierungen sind Sie selber ein Kunstwerk. Denken Sie auch darüber nach, wie Sie diese Kunst nach Ihrem Tode konservieren können?

Benecke: Ich denke, das brauche ich nicht. Wat fott is, is fott, heißt es hier in Köln. Tot ist tot. Konservieren muss mich nicht.

Wenn ich richtig informiert bin, haben Sie etwas in ihren Fingern, womit Sie beim Zählen von Kleingeld klar im Vorteil wären…

Benecke: Ja, Sie meinen die Magneten. Damit kann man Münzen zählen, aber nicht alle. Mit amerikanischen Cent-Münzen zum Beispiel geht’s nicht. Weiß auch nicht, warum.

Kinder finden das sicher total aufregend.

Benecke: Ja, klar, Kinder finden auch Maden interessant. Die finden ja überhaupt vieles interessant und stellen Fragen.

Eine bewahrenswerte Eigenschaft, finden Sie nicht?

Benecke: Man kann ja versuchen, so kindlich zu bleiben. Dass man alles spannend findet, dass man alles ausprobiert.

Ich probiere nun mal aus, ob Sie mir sagen können, ob Vampirleichen schmatzen…

Benecke: Das stand in einem berühmten Buch zu lesen. 1732 ging das los. Da hat man erstmals so genannte Vampirleichen ausgegraben und dokumentiert, was man bei der Gelegenheit beobachtet hatte. Und einer der Autoren hat in seinem Buch geschrieben, was man dabei angeblich so hören kann. Wobei man die Geräusche im Normalfall nicht hören konnte, denn die Vampire blieben der ursprünglichen Überlieferung nach im Sarg. Die sollen dort das Leichentuch aufgefressen haben, und von daher kam das Schmatzen. Was man wirklich hören kann: Wenn die Leichenstarre nachlässt, klappt der Unterkiefer nach unten. Und dann gibt es ein schmatzendes Geräusch.

Vampire haben eine ganz schöne Entwicklung gemacht. Mittlerweile sind sie auch schon sehr zahlreich auf der Kinoleinwand zu finden.

Benecke: Ja, das kommt von „Nosferatu“, diesem Film, dessen Geschichte der Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau von Bram Stoker geklaut hat. Das Buch und erst recht der Film wären langweilig gewesen, wenn man das nur im Sarg gespielt hätte. Bram Stoker hatte als Hintergedanken, das Ganze als Theaterstück zu spielen. Und so hat er diese Sachen eingeführt, die visuell wirksam sind. Wie zum Beispiel der Spiegel, in dem sich Vampire nicht sehen können, dass Vampire aus dem Grab raus- oder gar nicht erst reinkommen. Oder den Umhang. Man kann sich plötzlich umdrehen, dann sehen die Leute ein weißes Gesicht, und alle erschrecken sich.

Gruselig. Wie ja auch manche Ihrer Bilder.

Benecke: Das ist noch was anderes. Ich zeige nicht nur Leichen. Sondern versuche auch zu klären, wie der Fall oder der Fall abgelaufen sind. Und zeige an Alltagsbildern, wie man genau hinschaut.

Gibt es eigentlich den perfekt sauberen Tatort?

Benecke: Auch die perfekte Reinigung ist eine Spur. Wenn wir einen extrem sauberen Tatort vorfinden, ist das hoch interessant. Es sagt ja sehr viel über den Täter. Und die Gegenstände mit denen geputzt wurde, müssen ja eigentlich auch irgendwo sein. Nein, Putzen macht‘s auch nicht besser. Keine Verbrechen zu begehen – das macht‘s besser. Das ist das einzige Sinnvolle.

Scheint manchmal schwierig zu sein. Kann jeder zum Mörder werden?

Benecke: Das liest man immer wieder. Ich persönlich glaube das nicht. Ich habe mich in ein paar Situationen auch mit Kannibalismus beschäftigt. Da gibt es diese Geschichten von Flugzeugkatastrophen, man ist eingeschneit, und dann beginnt man, Gestorbene aufzuessen. Es gibt recht viel Literatur darüber. Doch da gibt’s immer Leute, die das nicht machen. Die sterben lieber, als Menschenfleisch zu essen. Das ist bei Tötungsdelikten auch so. Es gibt Menschen, die würden das nicht machen, basta. Eltern zum Beispiel, die problemlos den Mörder ihres Kindes töten könnten. Und die es doch nicht machen.

Es wird ja auch genug gemordet. Geht man nach den Krimis, die allenthalben laufen, müsste Mitteleuropa schon halb entvölkert sein.

Benecke: Das ist nicht mehr die Lust am Rätseln, das ist ein Druckventil. Die Menschen haben nicht mehr die richtigen Techniken, um ihr Leben zu justieren. Typisch ist das moderne Deutschland. Die Leute trauen sich nicht, den Job zu wechseln, obwohl sie mit Kusshand woanders genommen werden würden. Aber dann müssten sie umziehen oder was auch immer. Dadurch bleiben sie unglücklich, obwohl sie ihr Leben durch einfache Richtungsänderungen auf ein neues Gleis setzen könnten. Stattdessen lesen Sie lieber gewalttätige Literatur. Um Druck abzulassen. Das hat mit den skandinavischen Autoren angefangen. Ich kann das nicht lesen.

Vor kurzem erst war Sebastian Fitzek im Zentrum..

Benecke: Ja, Sebastian ist auch so. Der ist so unscheinbar und so freundlich. Ich finde das interessant. ,Die ganze Gewalt passt doch gar nicht zu ihm’, würden die meisten sagen, und es passt ja auch wirklich nicht. Wären die Leute seelisch ausgewogener, dann hätten sie nicht diesen Appetit nach derart gewalttätigen Geschichten.

"Davor aber lebt man"

Eine Art Gewaltporno?

Benecke: Porno ist auch ein Druckventil, so gesehen ist das dasselbe. Aber benutzten würde ich den Begriff nicht – weil ich mich mit Krimi-Pornografie nicht auskenne. Auf Druckventil können wir uns einigen. Stellen Sie sich mal vor, was ohne Druckventile passieren kann.

Und Sie: Sind Sie glücklich?

Benecke: Ich finde schon, ich finde mich ausgeglichen und glücklich. Auch aus der Erfahrung mit meinen Fällen. Und auch, wenn’s ab und zu wehtut. Im Keller hatte ich alle meine Briefe aufbewahrt, dann hatte ich keinen Platz mehr und keine Zeit mehr, sie zu verwalten. Da habe ich einfach einen Freund gebeten, die wegzuwerfen. Eine Änderung. Die brachte Platz und Zeit für was anderes. Ich fühle mich viel besser. Es tut mir leid, aber es ist nicht schlimm, wenn es einem leid tut. Es ist nicht immer schlimm, wenn etwas Unangenehmes passiert. Das kann eine langfristige gute Folge haben.

Bei Ihnen erfährt man also nicht nur etwas über den Tod, sondern auch übers Leben.

Benecke: Hauptsächlich sogar. Man lernt was über Verwesung, oder über die Motive, die zum Verbrechen führen, ansonsten aber übers Leben. Der Tod ist nicht das Ende. Dann kommen die Schmeißfliegen und die Bakterien. Davor aber lebt man. Und da soll man sich darum kümmern: Um das, was man steuern und was man leben kann.

INFO: Mark Benecke gastiert am 12. März, 19.30 Uhr im Zentrum.