Anti-Rassismus Irritationen eines Ministers

Innenminister Joachim Herrmann beim Wunsiedler Forum. Foto: /Florian Miedl

Manchmal werden auch alltägliche Situationen haarig. Darüber berichtet Innenminister Joachim Herrmann in Wunsiedel.

 
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Wunsiedel - Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann verurteilt jede Form von Extremismus. Stets warnt er zudem auch vor dem alltäglichen Rassismus. Dennoch kommt auch er immer mal wieder ins Grübeln, ob er manchmal vielleicht selbst unbedacht alltagsrassistisch handelt. Davon berichtete er beim Wunsiedler Forum am Donnerstag.

Herrmann weilte vor Kurzem im Aufnahmelager für afghanische Ortskräfte in Bamberg. „Da traf ich auf einen Mann, einen ehemaligen Offizier. Er streckte mir die Hand entgegen.“ In Zeiten von Corona eigentlich ein No-Go. „Dennoch habe ich mich dazu entschlossen ihm die Hand zu reichen. Immerhin ist der Mann neu in Deutschland und kennt die Gepflogenheiten nicht. Mir wäre es unrecht gewesen, ihn quasi zurückzuweisen, indem ich seinen Handschlag nicht erwidert hätte.“

Kurz darauf begegnet er in dem Lager einer Frau. Minister Herrmann streckt sofort freudig die Hand aus. Die Frau ist erschrocken und lässt ihre Hand unten. Sofort wurde Herrmann bewusst, dass es sich in der Kultur der Afghanin für eine Frau nicht geziemt, einem fremden Mann die Hand zu schütteln. Herrmann zog seine Hand zurück und löste die Situation mit einem lockeren Gespräch.

Wieder einige Türen weiter kommt eine junge Afghanin auf den Minister zu und reicht ihm ihrerseits die Hand. „Da war ich dann tatsächlich kurzzeitig irritiert. Aber die Frau lebte eben eine andere Kultur, in der es möglich ist, Männern die Hand zu reichen.“

Herrmann appellierte an alle Bürger, derartige kulturelle Unterschiede nicht zu dramatisieren, sondern einfach mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. „Wir sollten uns gegenseitig respektieren.“ Wie Respekt im Alltag funktioniert, beweisen landauf, landab vor allem Vereine. Der Innenminister lobte all die Trainer, Übungsleiter, Kommandanten oder Vorsitzenden, bei denen es keine Rolle mehr spiele, ob jemand aus Afghanistan, Syrien, Bayern, Hessen oder Russland stamme, sondern schlicht der Sport oder die Arbeit in der Feuerwehr im Vordergrund stehe.

Martin Becher vom Bayerischen Bündnis für Toleranz freute sich, dass Minister Herrmann nach wie vor „irritationsfähig“ sei. „Leider lassen sich viele Menschen nicht mehr irritieren, wenn sie auf Bürger mit Migrationshintergrund treffen. Sie sehen nur das, was schon immer so war, und reagieren intolerant.“

Stellt sich die Frage, warum so viele ganz normalen Frauen und Männer kleine Alltagsrassisten sind. Mitra Sharifi-Neystanak von der Arbeitsgemeinschaft der Ausländer- Migrations- und Integrationsbeiräte glaubt, dass Alltagsrassismus auf althergebrachten Bildern beruhe, die auch aus der Zeit des Kolonialismus herrührten. „Es ist ein Denken, dass nicht alle Menschen gleich viel wert sind. Das tritt besonders zutage, wenn es um die Verteilung von Ressourcen geht.“ Darauf beruhe auch der große Erfolg der Populisten. „Sie nutzen es aus, dass in der Gesellschaft Denkweisen schlummern, Menschen aus marginalisierten Gruppen hätten weniger Anrechte auf Arbeitsplätze oder Unterstützung vom Staat.“

Auch der Bildungsbereich sei nicht frei von rassistischen Stereotypen. Es gebe Studien, in denen der identische Aufsatz Lehrern vorgelegt wird, auf denen mal der Name Murat, mal der Name Thomas draufsteht. „Murat erhält durchweg die schlechteren Noten.“ Rassismus steckt laut Sharifi-Neystanak ebenfalls dahinter, wenn Lehrer Kinder von Eltern aus sozial prekären Milieus trotz guter Leistungen eher nicht für den Besuch eines Gymnasiums empfehlen. Matthias Bäumler

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