Im Sudan Medizinstudenten retten Leben per Video-Chat

Christian Putsch
Die angehende Ärztin Hadeel Abdelseid bei der Behandlung eines Verletzten in der sudanesischen Hauptstadt Karthum. Foto: Hadeel Abdelseid

Schon Medizinstudenten nehmen in dem von Krieg erschütterten Land schwerste Operationen vor. Dabei helfen ihnen Ärzte aus Übersee – dank Internet.

 
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Knochenbrüche nach Autounfällen in Sudans Hauptstadt Khartum waren bis zum 15. April 2023 die kompliziertesten Fälle in der noch jungen Karriere der angehenden Ärztin Hadeel Abdelseid. Doch dann, als an einem Samstagmorgen der Krieg schlagartig über die Metropole hereinbrach, wurden reihenweise Patienten mit Schusswunden in das Krankenhaus eingeliefert. Am Sonntagabend hatte die 27-Jährige fünf davon operiert – und nicht wie bislang als Assistentin. Abdelseid führte vier Monate nach Beginn ihres praktischen Jahres das Skalpell selbst, ohne Unterbrechung.

13 Monate sind seitdem vergangen, und der Krieg im Sudan zwischen der Armee und den paramilitärischen Truppen der „Rapid Support Forces“ (RSF) hat zu einer Krise „epischen Ausmaßes“ geführt, wie es die Vereinten Nationen neulich ausdrückten. Die Organisation hält den Krieg für eine der „schlimmsten humanitären Katastrophen der jüngeren Geschichte“. Sie resultierte bislang in mindestens 15 000 Toten, einige Schätzungen gehen gar von bis zu 150 000 aus. Knapp neun Millionen Menschen wurden vertrieben – mehr als bei jedem anderen aktuellen Krieg.

In Echtzeit beraten Ärzte per Video bei Behandlungen

Darunter waren auch viele Ärzte, von denen es schon davor zu wenige gab: einen pro 4000 Einwohner. Abdelseid war plötzlich Krisenmedizinerin, das Krankenhaus, in dem sie gearbeitet hatte, wurde wegen der Kämpfe evakuiert. Aus der Diaspora schickten Verwandte Geld, von dem die junge Frau Medizin kaufte. In der Moschee ihrer Nachbarschaft richtete sie eine provisorische Notaufnahme ein. Der dringend benötigte Rat, den ihr bis dahin erfahrene Kollegen im OP-Saal gegeben hatten, kam nun aus ihrem Smartphone. Per Video-Chat.

Als der Krieg noch nicht in Sicht war, hatte sie auf Facebook einen Aufruf aus den USA gesehen. Schon als Studentin gehörte sie zu den ersten 300 sudanesischen Freiwilligen von Projekt „Echo“. Die Plattform verbindet weltweit ehrenamtliche Spezialisten und führt sie über Video-Schalten mit Medizinern in strukturschwachen Ländern zusammen. In Echtzeit beraten sie den Nachwuchs bei Behandlungen, helfen sogar bei Operationen. Im Sudan ist seit dem Krieg die Zahl der teilnehmenden Mediziner rasant angestiegen. Offiziell sind 2000 registriert, doch die Telegram-Gruppe, über die wegen des geringen Datenvolumens der Großteil der Kommunikation abläuft, hat über 15 000 Mitglieder.

Chronisch Kranken gehen die Medikamente aus

Abdelseid nahm die globale Expertise nicht nur bei den unzähligen Verletzungen in Anspruch. Nach einigen Tagen des Krieges wurde etwa ein Diabetes-Patient zu ihr gebracht, der mangels Medizin das Bewusstsein verloren hatte. Ein zugeschalteter Arzt nannte die nötige Menge Insulin und führte sie Schritt für Schritt durch die Behandlung. Der Mann überlebte.

Besonders nötig ist Hilfe in Darfur im Westen des Sudans. Hier können sich Ärzte oft nur per Satellitentelefon einwählen, beide Kriegsparteien nutzen die Blockade des Internets als Kriegswaffe. Seit Monaten tobt dort der Kampf um El Fasher. Es ist die letzte relevante Stadt der Region, die noch von der Armee kontrolliert wird. Die Situation spitzt sich zu: Die paramilitärische RSF kontrolliert alle Zufahrtswege, es gelangt kaum Nahrung oder Medizin in die Stadt.

Die junge Ärztin musste nach Ägypten fliehen

El Fasher bot bislang Schutz für Millionen Menschen. Im Zamzam-Flüchtlingslager südlich der Stadt sterben nach Angaben der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen täglich Kinder. Jedes 15. Kleinkind sei akut mangelernährt. Es handele sich um eine katastrophale und lebensbedrohende Ernährungskrise. Ein Einmarsch der RSF in die Stadt, in der afrikanische und arabische Gemeinden leben, könnte auch zu Massakern an der Zivilbevölkerung führen, warnen internationale Beobachter. Sie befürchten Racheangriffe in der ganzen Region Darfur. In den Jahren 2003 bis 2005 wurden Hunderttausende bei gezielten Übergriffen gegen ethnische Gruppen getötet.

„Die Lage ist so schlimm wie damals“, sagt Abdelseid. Sie weint am Telefon – auch, weil der Konflikt international weitgehend ignoriert wird. „Niemanden interessiert das“, sagt sie, „wir fühlen uns alleingelassen“. Bis vor einigen Tagen konnte sie diese Gefühle unterdrücken, sie behandelte im Norden des Sudans. Doch dann gab es auch dort Kämpfe, ein Cousin wurde getötet, sie musste nach Ägypten fliehen. Vorerst kann Abdelseid nur noch aus der Ferne helfen – und das zerreißt sie förmlich. „Ich bin immer noch dort, mit meinem Herzen und meinem Verstand.“

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