Grane & Co.: Wagners Tierwelt

Von Michael Weiser
Kein Schnappi, kein kleines Krokodil, sondern eine Idee von Frank Castorf (mit Catherine Foster als Brünnhilde und Stefan Vinke als Siegfried). Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath Foto: red

Ein Herz für Tiere -- das hatte Richard Wagner. Wir betrachten Wagners Bestiarium, gehen Castorfs Krokodilen nach und untersuchen Grane.

 
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Russ, der Treue, war gestorben, Richard Wagner untröstlich – und nicht zum Diskutieren aufgelegt. Als ein Geistlicher von Wagners Absicht erfuhr, den Hund im Garten von Wahnfried zu bestatten, und sich echauffierte, entgegnete Wagner: „Warum sollte ein Mann im Jenseits auf seinen treuen Begleiter verzichten? Wenn man behauptet, dass Tiere aus dem Nichts geschaffen werden und nach dem Tod wieder im Nichts versinken, während Menschen, die ebenfalls aus dem Nichts kommen, nach ihrem Tode als unsterbliche Seele weiterleben, dann ist das so absurd, dass es meinem gesunden Menschenverstand widerspricht.“ Wagner mochte Tiere. Hunde vor allem. Er wandte sich gegen Tierexperimente, überhaupt gegen Grausamkeit Tieren gegenüber. Und wie in seinem Leben begegnet einem auch in seinem Werk eine ganze Menagerie von Tieren. Manche haben sich auch erst im Nachhinein hineingemogelt. Wagner und das Tier – eine kurze, selbstverständlich unvollständige Betrachtung.

Grane. Und andere Pferde. Sind Pferde Fortbewegungsmittel der Walküren? Oder ein bisschen mehr, Sinnbild für animalische Triebkraft sogar? „Heiaha! Die Stute stößt mir der Hengst“ heißt es in der „Walküre“. So genau wollen wir’s nicht wissen. Was sicher ist: Grane ist – entgegen vielfacher Annahme – keine Stute, er ist ein Hengst. „Dort seh’ ich Grane, mein selig Roß: wie weidet er munter, der mit mir schlief!“ Singt Brünnhilde im „Siegfried“. Und noch was: „Ruhig, Brauner!“ stammt nicht aus einem Western, sondern aus der „Walküre“. „Ruhig, Brauner! Brich nicht den Frieden.“ Pferdeflüstert Helmwiege.

Schwan: Symbol für Reinheit, ein wenig steril – aber fraglos elegant. Vollkommene Poesie, notiert Cosima mal nach einem Spaziergang im Hofgarten. Schwäne eignen sich auch als Zugpferde (hört, hört!) für Götter, etwa für Apoll. Beim „Lohengrin“ ist der Schwan Mittler zwischen dieser Welt und der nächsten. Weil Lohengrin um des Schwanes menschlichen Kern weiß, spricht er höflich mit ihm: „Sei bedankt, mein lieber Schwan.“ Anders Parsifal. Mit sicherem Schuss auf das, was fliegt, erweist sich der Tor als solcher. Jüngst, bei Uwe Eric Laufenberg: Schwan kann auch ein Flüchtlingskind sein. Der leibhaftige Schwan liegt als gedoppeltes Symbol auch noch im Kühlschrank. Dazu ein Hase. Was das nun wieder zu sagen hat?

Warum der Hase?

Hase: Wichtig für Beuys, wichtig auch für Christoph Schlingensief. Auf der Documenta zeigte der die Performance „Mein Filz, mein Fett, mein Hase, 48 Stunden Überleben für Deutschland“. Und wurde abgeführt, wegen eines Plakats, auf dem stand: „Tötet Helmut Kohl.“ Den Hasen brachte Schlingensief dann auch nach Bayreuth, für seinen „Parsifal“: Da verweste im Zeitraffervideo ein Hasen-Kadaver. Das war’s mit dem Symboltier für Leben und Fruchtbarkeit.

Krokodil. Frank Castorf hat’s so erklärt: Das Krokodil sei eine Erinnerung an den Krieg, als sich Echsen aus dem Zoo befreien konnten und frank und frei durch das zerstörte Berlin robbten. Er mag aber auch an Dostojewskis Satire „Das Krokodil“ gedacht haben, eine knallharte Abrechnung mit dem Kapitalismus. Castorf inszenierte ja auch den „Spieler“. Wie dem auch sei: Die Biester im „Siegfried“ vermehren sich von Jahr zu Jahr, nächstes Jahr werden’s sechs sein, die am Alexanderplatz ihr Wesen treiben.

Ratten: Menagerie in der „Lohengrin“-Inszenierung von Hans Neuenfels. Das mittelalterliche Flandern als Versuchsanordnung im Labor.

Hunde. Sie gelangen eher aus Wagners Werk in diese Welt als umgekehrt. Einer, der es geschafft hat: Pudel Rüpel, manchmal ungebärdiger Partner aus Magdeburger Zeiten. Alberich zu Mime: „Dem räudigsten Hund wäre der Ring geratner als dir: nimmer erringst du Rüpel den Herrscherreif!“ Rüpel übrigens war Pudel. Ansonsten? Bevölkerte sich Wagners Hundefamilie mit Namen aus dem Personaltableau des „Rings“ und anderer Dramen. Ein Hund namens Marco wurde zu Marke. Unter Wagners Hunden finden Kundry, Fafner, Fasolt, Freia, Fricka, Frisch und Loge. Und einen Rüden, der möglicherweise rechnen konnte: Robber. Er lief Wagner in Paris davon. Weil er Wagners finanzielles Debakel erahnte?

Bär: Steht für die Wildnis, die Siegfried nicht ängstigt, sondern zum Spiel reizt. Für Mime allerdings ein Graus. Siegfried treibt denn auch, Meister Petz im Gefolge, grausamen Scherz: "Hoiho! Hoiho! Hau ein! Hau ein! Friß ihn! Friß ihn, den Fratzenschmied!  Hahahaha!" Und Mime findet's erwartungsgemäß nicht lustig: "Fort mit dem Tier! Was taugt mir der Bär?"

Gut, wir sehen: Wagner mochte Tiere, sie durften eigene Rollen spielen. Was wir sonst daraus lernen können? Etwas auch über die Kluft zwischen Wirklichkeit und Wahn. Wurden Tiere misshandelt, wurden sie gegessen – dann stieg Wagner auf die Barrikaden. Vegetariertum fand er gut. Er handelte aber nie danach. Wasser predigen und Fleisch essen – das ist Wagner. Das sind wir.

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