Das Ministerium: Es tut sich etwas hinter den Kulissen. Ludwig Unger, der Sprecher des bayerischen Kultusministeriums, sagt: „Wir haben einen umfangreichen, ergebnisoffenen Gesprächsprozess gestartet.“ Am 12. Mai war das. Die Teilnehmer: Minister, Schüler, Eltern, Lehrer, Kommunen, Hochschulen. Es ist der Versuch, alle, die mit dem Gymnasium zu tun haben, an einen Tisch zu holen. Sprecher Unger sagt: „Es geht nicht darum, einen Schnellschuss zu machen.“ Gesprächsrunden und Werkstattgespräche finden statt, es geht um Lehrpläne und Schulorganisation. Anfang August will das Ministerium Eckpunkte für das neue Gymnasium vorlegen. Dem Sprecher geht es um die Frage: „Wie kann das Gymnasium organisiert werden, um einer immer heterogeneren Schülerschaft ein brauchbares Bildungsangebot zu setzen?“ 40 Prozent eines Jahrgangs treten über, 347 600 Schüler besuchen bayerische Gymnasien.
Die Gymnasien: Franz Eisentraut ist Schulleiter des Gymnasiums Christian-Ernestinum. Er sagt: „Die Parallelität von G8 und G9 halte ich für ambitioniert.“ Doch noch sei es zu früh, irgendetwas über die Zukunft des Gymnasiums zu sagen. Sein Eindruck: „Jetzt wird Hirnschmalz investiert.“ Denkbar für ihn: Grundsätzlich neun Jahre, für schnelle Schüler acht, der Turbo. „Die Möglichkeit zum Überspringen gab es immer schon.“ Wichtig für ihn: die positiven Eigenschaften des G8 behalten. Stunden für die individuelle Förderung. Und die Lehre aus dem G8-Umbau 2003. „Bitte nicht wieder über Nacht.“ So ähnlich sieht das auch Kurt Leibold, Schulleiter des Graf-Münster-Gymnasiums. Er sagt: „Dieses Nebeneinander von G8 und G9 halte ich auch bei größeren Schulen nicht für praktikabel.“ Besser wäre ein System für alle Gymnasien. „Aber das darf nicht das alte G9 sein, nicht ohne evolutionäre Veränderung.“ Zum Beispiel die Wissenschafts- und Projektseminare. „Von der Seite des Praktikers halte ich es nicht für sinnvoll, so etwas im kommenden Schuljahr schon einzuführen“, sagt Leibold.
Der Verlag: Käme eine Änderung im September, hätte Thomas Appel viel Arbeit. Er ist der Geschäftsführer des Bange Verlags in Hollfeld. Appel sagt: „Dann könnte genau das passieren, was damals bei der Einführung von G8 passiert ist.“ Die Schulbuchverlage mussten Bücher anpassen oder neu drucken. Zwei bis drei Jahre dauert dieses Prozedere: Lehrplanentwurf abwarten, Redaktionsteam zusammentrommeln, Prototypen erstellen, einreichen, Rückmeldung abwarten und Veränderungen einarbeiten. Appel sagt: „ Ich glaube nicht, dass alles umgeworfen wird.“ Der Bange Verlag erstellt in der Mehrzahl schulbegleitende Bücher. Mit Übungen, Lösungen, vertiefenden Inhalten. „Ich glaube, dass das Volksbegehren stattfindet, und ich glaube, das G9 hätte gute Chancen.“
Die Lehrer: Neun Jahre fände auch Max Schmidt gut. Er ist der Vorsitzende des Bayerischen Philologenverbands, der die Gymnasiallehrer vertritt. Und die haben ein eigenes Konzept entwickelt. Schmidt sagt, die Lehrer beklagen den hohen Zeitdruck. Die Schüler beklagen, dass sie zu viel Zeit in der Schule verbringen, Zeit für Vertiefung fehle. „Ein Jahr länger wäre als Zeit zum Reifen gut.“ Also G9? Nein, als Zwischending: Neun Jahre, um zu entschleunigen. Wer das Gymnasium in acht Jahren schaffen will – auch möglich. „Unsere Vorstellung: die Kinder gehen nach der vierten Klasse in ein Gymnasium, niemand muss sich entscheiden.“ Die Klassen 5, 6, 7 und 8 wären entlastet, dann entscheiden die Schüler, wie schnell sie ihr Abitur machen wollen.
Die Personaler: Claudia Poser leitet den Unternehmensbereich Personal bei der Sparkasse Bayreuth. Sie sagt: „Abiturienten mit wirtschaftlichem Interesse und guten Noten sind jederzeit als Bewerber willkommen.“ Die Frage nach G8 oder G9 ist zweitrangig. „Die Ausprägung der sozialen und persönlichen Kompetenzen ist ein sehr entscheidender Faktor.“ Ähnlich klingt das bei Ulrike Forster. Sie ist die Ausbildungsleiterin und leitende Referentin für Aus- und Weiterbildung bei der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern. „Wir suchen motivierte und engagierte junge Leute.“ Für ihre dualen Studiengänge braucht die Rentenversicherung Bewerber mit Abitur oder Fachabitur. Und bei denen sei eine Tendenz zu erkennen: „Schulabgänger sind unselbstständiger geworden, was die Organisation ihres Alltags angeht. Vielleicht liegt es an der Verdichtung im G8. Es liegt aber sicher auch an der Erziehung der Helikopter-Eltern.“ Die halten alles weg von ihren Kindern, behüten, organisieren, erziehen zur Unselbstständigkeit.
Die Eltern: Die Landes-Eltern-Vereinigung hat eine klare Meinung zu G8 und G9: „Rückkehr zum G9 gefährdet die Bildung“, schreibt Maria Lampl, die Vorsitzende des Vereins, der nach eigenen Angaben 500.000 Eltern bayerischer Gymnasiasten vertritt. Das Problem des Gymnasiums sei ein grundsätzliches und habe nichts mit der Zahl der Schuljahre zu tun. So ähnlich sieht das auch Ruth Fichtner. Sie ist die Elternbeiratsvorsitzende am WWG. „Es muss etwas geändert werden“, sagt sie. Und deswegen sei das Volksbegehren nicht so schlecht, der Diskussionsprozess angestoßen. „Kinder brauchen mehr Zeit.“ Fichtner ist Mutter von zwei Kindern. Einer der Söhne spielte Basketball im Leistungssport. Neben dem G8 bleibt da für Freizeit kaum Zeit mehr.
Die Universität: Martin Huber beginnt allgemein. „Die Studenten, die wir uns wünschen sind, offen, kritisch, selbstbewusst und wollen in ihrem Studium das selbstständige Denken lernen.“ Huber ist Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Uni Bayreuth. Dann kommt er zum G8. Das müsse man modifizieren. Zum Beispiel die bayerische Abi-Eigenheit: Abi-pflicht in Deutsch, Mathe und einer Fremdsprache. Dazu eine Gesellschaftswissenschaft und wahlweise eine zweite Sprache oder Naturwissenschaft. In Physik und Chemie finden deutlich weniger Abi-Prüfungen statt. „Die Zahl der Studienanfänger ging um ein Viertel zurück im Vergleich zu G9“, sagt Huber. Und ja, das Phänomen der Unselbstständigkeit beobachten sie an der Uni auch. „Aber das liegt nicht an G8, dieser Hang hat schon früher begonnen.“