Die Wissenschaftlicherin findet die Frage eher spannend: „Damals war der Sicherheitsrat für die Welt sinnvoll. Aber Institutionen sind immer menschengemacht. Man könnte ihn reformieren.“ Wie der Krieg weitergeht, hänge von vielen Faktoren ab. Als Historikerin könne sich Eichenberg nur die eskalierenden oder friedensstiftenden Faktoren ansehen. Dabei helfe es, die Geschichte der Region zu verstehen. „Vorher gab es eine erstaunlich lange Zeit des Friedens in Europa“, sagt Eichenberg. Und Frieden müsse eben aktiv gesichert werden, auch wenn es etwas kostet.
Sie sei verstört gewesen über die Besatzung der Krim und von Donezk 2014 und über den Angriffskrieg jetzt, „aber ich war nicht komplett erstaunt.“ Die Forschung habe sich oft mit diesen Szenarien auseinandergesetzt und vor militärischen Aktionen gewarnt. „Das Ausmaß der Gewalt in diesem Krieg ist entsetzlich.“
Es hätte aber auch anders laufen können, betont Eichenberg. Das beweise das Budapester Memorandum 1994: Nach dem Ende des Kalten Krieges waren auf dem Gebiet der Ukraine zahlreiche Atomwaffe der Sowjetunion verblieben. Der Staat besaß unverhofft das weltweit drittgrößte Atomarsenal, nach den USA und Russland. Die Ukraine erklärte sich im Memorandum aber dazu bereit, das Arsenal aufzugeben. Im Gegenzug bestätigten die Alliierten und Russland die Souveränität der Ukraine. Das internationale Abkommen ist bis heute gültig.
Putin jedoch sehe die Ukraine nicht mehr als eigenen Staat, sondern als Teil der russischen Kultur. In ihrer Geschichte war die Ukraine nicht immer unabhängig, aber „eine Diskussion über eine vermeintliche Einheit ist hinfällig“, sagt Eichenberg. Nicht nur wegen der Kriegsverbrechen in Butscha. „Wir stellen historische Zusammenhänge nicht da, um die Grenzen der Ukraine zu rechtfertigen, denn das müssen wir nicht. Das tut bereits das Völkerrecht.“