Fricka: Das Innerste nach Außen kehren

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Tanja Ariane Baumgartner auf dem Grünen Hügel. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Sie liebt die starken Frauenfiguren. Wie etwa die Fricka. Im Kurier-Interview spricht Tanja Ariane Baumgartner über den Ehekrach mit Wotan und den Zustand der Unzurechnungsfähigkeit nach einer Aufführung.

 
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Frau Baumgartner, Sie geben ihr Bayreuth-Debüt mit Fricka. Streiten Sie gerne mit Wotan?

Tanja Ariane Baumgartner: Die Frau sagt absolut die Wahrheit, die weiß, was Sache ist. Aber Wotan will das nicht hören.

Das wahre Leben auf der Opernbühne.

Baumgartner: Absolut. Richard Wagner kannte das Leben in all seinen Nuancen. Das wird auch im Text sehr deutlich. Ich denke, er hat da einige Sticheleien gegen seine Frau mit einkomponiert.

Wie würden Sie die Entwicklung beschreiben, die Fricka durchmacht?

Baumgartner: Im „Rheingold“ ist sie noch ein bisschen weicher, da hat sie noch Hoffnung, dass die Ehe ’was wird. In der „Walküre“ ist sie dann völlig desillusioniert.

Fühlen Sie sich in der Castorf-Inszenierung wohl?

Baumgartner: Ja, das ist ganz spannend. Zuerst habe ich gedacht: Oh je, wie wird das wohl. Am Anfang war es schon ungewohnt mit den Kameras – gerade im „Rheingold“ gibt es besonders viele. Aber dann habe ich mir den dritten Akt "Götterdämmerung" in der Orchesterhauptprobe angesehen, und ich muss sagen: Der Kameramann macht das sehr schön. Das ist wie ein Mischung aus Stummfilm und Alfred Hitchcock. Alle Damen kommen da sehr gut weg und es macht inszenatorisch Sinn. Ich bin normalerweise kein großer Fan von Video in der Oper. Aber so kann man sehr viele Regungen sehen, die man aus der Distanz nicht sehen würde.

Als Ensemblemitglied in Frankfurt sind Sie ja moderne Inszenierungen, in denen viel Wert auf das Schauspielerische gelegt wird, gewohnt.

Baumgartner: Ich habe mit Regisseuren wie Hans Neuenfels, Calixto Bieito und David Bösch gearbeitet.

Gab es in den Proben mit einem dieser Regisseure mal eine Situation, in der sie sagten: Das mache ich nicht.

Baumgartner: Eigentlich nie. Man meint bei Bieito immer, er zwingt die Sänger, etwas zu tun. Aber das stimmt nicht. Vieles kommt von den Sängern selbst. Er bringt einen dazu, die eigene dunkle Seite zu betrachten. Und es gibt Leute, die können das gut vertragen. Die kommen mit Bieito auch gut zurecht. Aber es gibt auch Sänger, die das nicht mögen, die nicht ihr Innerstes nach außen kehren wollen. Die haben dann ein gewisses Problem.

Aus Ihrer Sicht ist Bieito also ein großer Psychologe.

Baumgartner: Ja, aber wie er das macht, weiß ich nicht. Er sitzt eigentlich nur da. Aber irgendetwas in seiner Aura muss es da geben. Bei mir hat es immer funktioniert, und ich habe einige Produktionen mit Ihm gemacht.

Sie unternehmen dabei eine Reise zum eigenen Ich.

Baumgartner: Ja, das ist ja das Tolle, dass man die ganzen Facetten der Persönlichkeit auf der Bühne ausleben kann. Da gibt es für mich kein Tabu. Es geht dabei allein um die Frage der Stimmigkeit – etwa, wenn man in Unterwäsche auf die Bühne kommen soll. Dann sage ich auch mal, das passt hier überhaupt nicht. Aber wenn es stimmig ist, ist es mir völlig egal.

In „Lulu“...

Baumgartner: ... hatte ich einen nackten Oberkörper. Das war sogar mein Vorschlag.

Sie sind also weiter gegangen als der Regisseur.

Baumgartner: Er wollt mich im Pelzmantel sterben lassen.

Dann hat er aber ihren Vorschlag gerne aufgegriffen.

Baumgartner: Da hatte er nichts dagegen. Ich empfinde die Bühne als einen geschützten Raum. Da kann man viel machen.

Sie fühlen sich dann wie in einer anderen Welt.

Baumgartner: Ja, und ich sehe mich da nicht als Frau Baumgartner, sondern als die Figur, die da handelt und die ja auch so handeln muss.

Finden Sie in der Fricka viel von Ihrer eigenen Persönlichkeit?

Baumgartner: Ich glaube, diese starke Frau steckt schon in mir. Fast alle meine Figuren sind stark.

Können Sie nach einer Aufführung die Rolle einfach so ablegen?

Baumgartner: Von jeder Rolle bleibt etwas in einem. Wenn ich etwa in „Jenufa“ die Kostelnichka, die ihr Kind umbringt, singe, dann merke ich schon, dass man länger daran knabbert. Weil ich der Figur alles gebe – meinen Körper, mein Denken, mein Fühlen.

Unmittelbar nach der Aufführung ist man quasi unzurechnungsfähig.

Baumgartner: Oh ja.

Wie lange hält der Zustand an?

Baumgartner: Bis man darüber geschlafen hat. Ich weiß von Kollegen, die dann ihr Auto nicht finden.

Die Frankfurter Oper hat ja ein recht großes Ensemble, was mittlerweile eine Seltenheit geworden ist. Schätzen Sie das Ensembletheater?

Baumgartner: Ja, sehr. Ich finde es schön, immer wieder künstlerisch heimzukommen und zu wissen, dass man mit diesen Leuten gut arbeiten kann. Da macht man einfach besser Musik.  Ich  bin  ja  jetzt  zum ersten Mal in Bayreuth. Wenn man in dieser Kantine sitzt, ist das schon wie eine große  Familie, in die man reinkommt.

Welche weiteren Wagner-Partien haben sie im Blick?

Baumgartner: Die Ortrud habe ich bereits in Hamburg gesungen. Im nächsten Jahr kommt die Kundry in Antwerpen. Ich bin erst spät zu Wagner gekommen. Zuerst habe ich die italienischen Damen gesungen und viel Strauss. Zu Beginn war ich eher ein hoher Sopran. Die Töne waren damals bis zum f da. Jetzt sing ich noch maximal bis zum hohen d.

Ihre Sprechstimme klingt ja eher nach Mezzo.

Baumgartner: Ja, die Sprechstimme hat sich verändert. Ich bin eine „Voce di Falcone“ und kann sehr hoch und auch sehr tief singen. Eine „Voce di Falcone“ liebt es, wenn sie die ganze Bandbreite benutzen kann.

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