Herr Töpfer, Deutschland hat sich ehrgeizige Ziele bei der Energiewende vorgenommen. Jetzt hat man oft den Eindruck, die Sache gerät doch etwas ins Stocken. Waren die Ziele zu schnell, zu hoch gesetzt?
Klaus Töpfer: Ich sehe nichts ins Stocken kommen. Und nein, die Pläne waren nicht zu ehrgeizig. Es gibt das klare Ziel, 40 Prozent CO2-Minderung zu erreichen. Das ist eine herausfordernde Aufgabe. Wir müssen sehen, dass wir diese Zielsetzung ebenso wie die Ziele für den Anteil erneuerbarer Energie erreichen. Deutschland ist das Land, das weltweit hier sehr genau beobachtet und vor allem auch bewundert wird. Wir setzen ein klares Signal, dass ein wirtschaftlich führendes und technologisch herausragendes Land in der Lage ist, seine Arbeitsplätze zu erhalten, auch ohne Kernenergie und mit immer weniger CO2-Emissionen.

Unsere europäischen Nachbarn setzen dagegen nach wie vor auf Atomenergie. Beispielsweise Frankreich.
Töpfer: Frankreich ist gerade dabei, den hohen Anteil an Atomkraft deutlich zu verringern – auch aus ökonomischen Gründen! Großbritannien dagegen will Atommeiler bauen. Doch schauen Sie sich die Einspeisevergütung an, die die EU der britischen Regierung genehmigte: 11,8 Cent pro Kilowattstunde, mit vollem Inflationsausgleich. Für 35 Jahre! Solche Belastungen haben wir bei erneuerbaren Energien nicht. Außerdem sollten wir anderen Ländern nicht vorschreiben, wie sie mit ihrer Energiefrage umzugehen haben. Vielmehr sollten wir belegen, welche wirtschaftlichen und sozialen Vorzüge die Energiewende bringt.

Aber die Strompreise steigen bisher. Müssten sie nicht endlich sinken?

Töpfer: Ich kenne keinen Preis, der aus Sicht der betroffenen Verbraucher nicht sinken sollte. Natürlich muss das eine Zielsetzung sein. Doch festzuhalten ist auch, dass Strom an der Strombörse in Leipzig noch nie so billig war.

Aber bei den Verbrauchern kommt das bisher nicht an.
Töpfer: Ja, da muss man sich fragen, woran das liegt. Ausschlaggebend ist hier, dass wir uns vorgenommen haben, die völlig neue Entwicklung einer Energietechnologie und die damit verbundene Infrastruktur in vergleichsweise sehr kurzer Zeit direkt über die Strompreise zu refinanzieren. Ein Weg, den wir bei anderen Infrastrukturen so nicht gehen. Und man muss sehen, dass die Zahl derer, die die Kosten bezahlen, kleiner geworden ist.

Weil es für viele Unternehmen Ausnahmen gibt.
Töpfer: Ja, weil richtigerweise Unternehmen, die energieintensiv arbeiten und exportorientiert sind, von der EEG-Umlage ausgenommen wurden. Aber wir sehen zum Beispiel auch, dass das Interesse wächst, den eigenen Strom zu erzeugen. Damit die Energiewende nicht komplett über den Strompreis finanziert wird, sondern die damit in der Vergangenheit bis heute verbundenen Forschungs- und Entwicklungskosten teilweise über einen längeren Zeitraum verteilt werden können, habe ich im Übrigen ja auch einen sogenannten Vorleistungsfonds vorgeschlagen. Denn in die Energietechnologie zu investieren, ist eine ganz fantastische Zukunftsinvestition mit hohen Erträgen. Schließlich werden wir unabhängiger von Importen aus Ländern, die politisch nicht stabil sind.

Müsste nicht die Energieeffizienz eine viel größere Rolle bei der Energiewende spielen? Ein nationaler Aktionsplan wurde nun vorgestellt. Was müsste aus Ihrer Sicht für mehr Energieeffizienz getan werden?
Töpfer: Nun, mit diesem nationalen Aktionsplan wird dem Thema ja mehr Bedeutung beigemessen. Beispielsweise sollen unter anderem auch die Fördermittel etwa für Gebäudesanierungen um 200 Millionen Euro auf dann zwei Milliarden Euro pro Jahr aufgestockt werden. Aber ich sage auch klar, dass wir dieses Thema in die steuerliche Förderung mit hineinnehmen müssen. Das war leider bisher nicht durchsetzbar, weil sich ja der Bundesrat dagegen entschied. Hier brauchen wir dringend einen neuen Ansatz. Und an dieser Stelle möchte ich auch sagen: Beim Thema Energieeffizienz ist vor allem die Produktion in den Unternehmen wichtig. Dies ist eine ganz große Quelle für Einsparungen und Entlastungen mit positiven Folgen – angefangen beim Geldbeutel der Unternehmer bis hin zur CO2-Bilanz.

Herr Töpfer, wie beurteilen Sie die Lage in Bayern: Kritiker sprechen bereits von einem Rückwärtsgang Seehofers bei der Energiewende.
Töpfer: Ich habe keine Berechtigung, den Ministerpräsidenten Bayerns abschließend zu bewerten. Darum geht es glaube ich auch nicht. Was ich tun kann, ist, deutlich zu machen, dass Bayern mit großem Nachdruck sich immer und immer wieder für erneuerbare Energien ausgesprochen hat. Wenn Sie einmal sehen, wie in Bayern beispielsweise in die Photovoltaik investiert wurde, welche positiven Umverteilungseffekte damit verbunden sind, von denen Bayerns Bürger profitieren, dann sieht man ja die großen Erträge. Eine andere Frage ist jetzt doch, wie der Strom, der etwa in der Nordsee gewonnen wird, nach Bayern kommt.

Um die Stromtrassen wird erbittert gekämpft.
Töpfer: Das ist nicht nur bei Ihnen in Bayern so.

Was sagen Sie denn den Bürgern, die sich gegen die Trassen wehren?
Töpfer: Da muss man nicht nur etwas sagen, da muss man vor allem etwas machen. Wir müssen zum einen klar belegen, wie sehr die regionalen Potenziale ausgeschöpft werden. Zweitens muss man deutlich machen, dass solche Technologien auch so genutzt werden können, dass eben keine Belastungen für die Bürger entstehen und das muss konkret immer wieder belegt werden. Man muss sich fragen, wo Überlandleitungen notwendig sind und wo eine Verkabelung. Das alles sind technische Fragen, die sicher viele ökologische Konsequenzen haben. Aber die Tatsache, dass Bürger zunächst sehr kritisch fragen, ob es so gemacht werden muss, wie es vorgeschlagen wird, das sollte uns in einer offenen Demokratie nicht ärgern, sondern all diejenigen, die zu entscheiden haben, beflügeln. Es ist eine Sache des Handelns und eine der klaren, verlässlichen Information.

Und wie beurteilen Sie die 10H-Regelung? Demnach dürfen neue Windkraftanlagen nur noch gebaut werden, wenn ihre Entfernung zur Wohnbebauung mindestens das Zehnfache ihrer Höhe beträgt. Sie gefährdet etliche Windkraftprojekte in unserer Region.
Töpfer: Dies ist eine Frage der örtlichen Gegebenheiten. Diese Diskussionen werden uns erhalten bleiben. Denn wir werden weltweit einen Boom der Windenergie erleben. Sowohl an Land als auch auf dem Wasser. Auch hier kann ich nur zu einer transparenten und verlässlichen Information raten.

Zur Person
Klaus Töpfer, Ex-Umwelt- und -Bauminister in der Regierung Helmut Kohl und früherer Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, ist mittlerweile 76 Jahre alt. Noch immer verbringt er viel Zeit im Flugzeug oder an seinem Schreibtisch in Potsdam beim Institute for Advanced Sustainability Studies, das er 2009 mitgegründet hat. Gemeinsam mit dem Italiener Carlo Rubbia und dem Amerikaner Mark Lawrence leitet er das Institut, das sich zur Aufgabe gemacht hat, Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Bürger in einen Dialog zu bringen. 2012 wurde ihm der Wilhelmine-von-Bayreuth-Preis für Toleranz verliehen (Foto). red/Foto: Kolb/Archiv