Europakonzert: Durch die Nacht zum Licht

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Europakonzert der Berliner Philharmoniker mit der Sopranistin Eva-Maria Westbroek und dem Dirigent Paavo Järvi. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Es war einer der seltenen Momente, in denen Bayreuth das ganz große Rad gedreht hat. Beim Europakonzert der Berliner Philharmoniker im wiedereröffneten Markgräflichen Opernhaus stellte sich durchaus so etwas wie Champions-League-Feeling ein. Zu Musik von Ludwig van Beethoven und Richard Wagner.

 
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„Unglaublich“, „Wahnsinn“, „wunderbar“ – so manchem Besucher schien beim Betreten des prunkvollen Zuschauerraumes beinahe der Atem zu stocken. Kaum möglich, vom Anblick dieser Architektur nicht überwältigt zu sein.

Auch wer das Opernhaus bereits zur Eröffnung bei stark gedimmtem Licht erlebt hat, musste erneut staunen. Die nun weitaus hellere, fernsehtaugliche Ausleuchtung ließ die Farbenpracht – im Gegensatz zum warmen, die Konturen sanft verschleiernden Licht der Eröffnungsfeier – geradezu ins Auge stechen. In dieser Helligkeit wird man das Markgräfliche Opernhaus vermutlich nie wieder sehen.

Elf Kameras

Elf Kameras waren beim Europakonzert im Einsatz. Den markgräflichen Blick aus der Fürstenloge hatte dabei Kameramann Winfried Hermann, der sich gewissermaßen als Wilhelmine 2.0 fühlen konnte.

Der Blick auf Hermanns Bildschirm vor dem Hintergrund der gestaffelten Kulisse auf der Opernbühne bot quasi den zentralperspektivischen Overkill. Freilich erwiesen sich die Kameraleute als Stoiker, die mit klarem Blick dem minutiös ausgetüftelten Drehbuch folgend Bayreuths exquisites Kulturereignis in alle Welt exportierten.

An einem kleinen Detail von Hermanns Kamera wurde exemplarisch deutlich, welche Herausforderungen die Verantwortlichen dieses Konzerts zu meistern hatten. Es ging um nicht weniger als die Vereinbarkeit der Bedürfnisse der Berliner Philharmoniker, des Filmteams und der bayerischen Schlösserverwaltung.

Konkret: Um zu verhindern, dass die schwergewichtige Kamera Spuren auf den historischen Dielen hinterlässt, musste sie mit einer das Gewicht gleichmäßig verteilenden Platte unterlegt werden. Filmregisseur Henning Kasten, der für die TV-Übertragung verantwortlich war, formulierte es so: „Man muss sich auf Zehenspitzen bewegen.“ Und das mit schwerem Gerät.

So mag man Kulturamtsleiterin Gabriele Röhler gut verstehen, die davon sprach, dass es durchaus Momente gegeben habe, in denen das Projekt auf der Kippe stand. Ein Jahr lang waren die Mitarbeiter des Kulturamtes mit der Vorbereitung dieses Konzerts beschäftigt.

Am Ende können alle Beteiligten für sich beanspruchen, nach dem Motto gehandelt zu haben, das eigentlich Ludwig van Beethovens Kompositionsprinzip kennzeichnet: „Per aspera ad astra.“ Durch die Mühsal gelangt man zu den Sternen. Oder: Durch die Nacht zum Licht.

Freiheit und Gleichheit

An Letzterem mangelte es beim Europakonzert der Berliner Philharmoniker – auch im übertragenen Sinn – nun wirklich nicht. Dabei muss man sich vor Augen führen: Beethovens kompositorisches Schaffen ist geprägt vom Gedankengut der europäischen Aufklärung und steht für den Kampf des aufstrebenden Bürgertums gegen den Absolutismus. Seine Werke verkünden den Anspruch von Freiheit und Gleichheit.

So kann man – sofern man seine Werke nicht nur unter der Rubrik „schöne Musik“ verbucht – Beethoven im Markgräflichen Opernhaus durchaus als Provokation verstehen. Oder als Aufforderung, Beethovens Ansprüche auch in Zukunft zu verteidigen.

Die im Konzert gespielten Stücke, die Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 und die Symphonie Nr. 4 B-Dur, beginnen keinesfalls mit „Pauken und Trompeten“, was wohl eher der höfischen Architektur des Hauses entsprochen hätte. Im einleitenden Adagio zu seiner Vierten, das im Pianissimo beginnt, erzeugt der Komponist eine Atmosphäre der Spannung, der Ungewissheit.

Beim Hören der sich langsam vorwärts tastenden Klänge stellen sich Fragen: Was hat uns diese Musik heute noch zu sagen? Wie gehen wir mit dem hinterlassenen kulturellen Erbe um?

Die Berliner Philharmoniker gaben die Antwort auf ihre Art. Unter der Leitung von Paavo Järvi präsentierten sie Beethovens B-Dur-Symphonie als ein äußerst vitales, von unbändigem Lebenswillen durchpulstes Stück Musik von zeitloser Gültigkeit. Järvi wählte durchweg zügige Tempi, die Musiker waren aufs Höchste gefordert.

Es war faszinierend zu beobachten, wie der Dirigent mit dynamischen Steigerungen arbeitete. Etwa im Übergang von der Einleitung zum Hauptthema des ersten Satzes. Vor dem Erreichen des Kulminationspunktes wurde die Lautstärke kurzzeitig reduziert, was den Gestus des Anlaufnehmens verstärkte.

Morbid-schwüle Harmonik und barocke Festarchitektur

Die Akustik des Raumes erwies sich erwartungsgemäß als trocken, aber für diese Besetzung noch gut geeignet. Die Berliner waren, für deren Verhältnisse, in kleiner Besetzung angereist. Für das Markgräfliche Opernhaus stellen die rund 50 Musiker, die auf dem überbauten historischen Orchestergraben und im vorderen Teil der Bühne musizierten, die Obergrenze des Machbaren dar.

Hoffentlich kommt niemand auf die Idee, hier eines Tages Symphonien von Tschaikowsky oder Schostakowitsch aufführen zu wollen. Bei Wagner hingegen würde man in Bayreuth gewiss ein Auge zudrücken.

Den kompletten „Tristan“ wird man in diesem Haus nie hören. Die im Konzert gespielten Wesendonck-Lieder vermittelten aber einen spannenden Eindruck davon, wie es wirkt, wenn Wagners morbid-schwüle Harmonik auf die barocke Festarchitektur trifft. „Stille wird’s, ein säuselnd Weben füllet bang den dunklen Raum.“ Hmmm ...

Nichtsdestotrotz verstand es die großartige Sopranistin Eva-Maria Westbroek, getragen vom glutvoll-warmen Klang der Berliner Philharmoniker, die nötige Sogkraft zu entfalten, um die Divergenzen von Raum und Klang vergessen zu machen.

Mit der Übertragung des Europakonzerts im Ersten, die nach Angaben der ARD rund 420.000 Zuschauer mitverfolgten, dürfte sich im Weltwissen der kulturinteressierten Öffentlichkeit die Nachricht verankert haben, dass Bayreuth nicht nur über ein außergewöhnliches Opernhaus verfügt, sondern über deren zwei.

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