Wo nur wenige wählen: Wahllokal in der „Kindertagesstätte Jakobshof“

Ab der Erlanger Straße 40 beginnt der Wahlbezirk mit der niedrigsten Wahlbeteiligung. Da ist der Stadtfriedhof. „Na klar, dass hier niemand wählen geht“, sagt Karl-Heinz Gögelein und lacht. Er steht vor seinem Blumenladen, direkt gegenüber des Friedhofs, an den Türrahmen gelehnt. Den Witz hört man öfter auf der Suche nach den Gründen, warum hier so wenige wählen gehen. Was man auch öfter hört: „Studenten leben hier halt viele.“ Gögelein zeigt nach oben, auf das Haus hinter ihm, da wohnt er, da wohnen hauptsächlich Studenten. Die seien woanders gemeldet oder interessieren sich vielleicht nicht so sehr für Bayern.

Beim Schlendern entlang der Erlangerstraße fällt auf: viele Klingelschilder in den Mehrfamilienhäusern sind überklebt oder namenlos. Gögelein selbst lebt schon lange hier, bereits seine Eltern führten den Blumenladen. Er übernahm 1975, seitdem habe sich in der Gegend viel geändert. Die Alten sterben weg, die Familien ziehen aufs Land, „ist billiger da“. Da sieht er auch einen Grund, warum so wenige wählen. „Billiger ist ja nichts geworden in den letzten Jahren, was?“ Er selbst geht „ab und zu schon wählen. Aber ist doch letztlich egal wen, ist doch alles dasselbe“. Es schwingt Resignation mit, aber Gögelein lächelt. Eigentlich macht er einen ganz zufriedenen Eindruck.

Nur die CSU und die SPD

Richtig glücklich ist auch Hans Hopf: Der Pächter des Erlanger Hof feiert seinen 70. Geburtstag. Es ist 17 Uhr am Donnerstag, die Gaststätte proppenvoll, die Stimmung gut – sogar als das Thema auf Politik umschwenkt. „Bei mir hier gibt’s nur die CSU und die SPD“, sagt Hopf, hebt das Glas, prostet zu den Gästen, die prosten zurück, die Männer mit Bier, die Frauen mit Sekt. Man gehe schon wählen, sagen die Gäste. Na klar, sagt auch Heidemarie Riesel, sie lebt oben in Meyernberg und geht immer wählen, weil sie aus der DDR kommt und weiß, dass das ein Privileg ist. „Die Mittelschicht will ja, dass es so bleibt, wie es ist.“ Zur Mittelschicht zählen sich auch die Rentner Karlheinz Scherf und Sepp Meisel, „aber die andere Hälfte hier bezieht doch Sozialhilfe“, Scherf zieht an einer dicken Zigarre, „und politisch sind die nicht“. Die, das sind die Hartz-IV-Empfänger. Wobei, Politikverdrossenheit können sie schon verstehen, irgendwie. „Die halten ja ihre Versprechen nicht“, sagt Scherf. „Außerdem lassen die sich hier nie blicken.“ Die, das sind die Politiker. „Uns hört ja keiner“, fügt Riesel hinzu, die Wählerin. Dann feiert die Gesellschaft weiter.

Keine Zeit und sowieso egal

Sonst ist nicht so viel los auf den Straßen des schwächsten Wahlbezirks. Kein Wunder: der viele Verkehr ist laut, es gibt kaum Geschäfte. „Eventuell ist es das ... soziale Umfeld. Viele denken, man kann sowieso nichts ändern“, sagt Jürgen Kolb, er arbeitet bei der Stadt und holt sich einen Döner in der Bismarckstraße. Das glaubt mittlerweile auch Erol Täuber, momentan Bausanierer. Mit seinem Kumpel Markus Talaga läuft er die Justus-Liebig-Straße entlang, sie sind Mitte/Ende Dreißig, wirken in ihren weiten Klamotten aber jünger. Früher sei Täuber immer wählen gegangen, heuer werde der 37-Jährige das nicht machen, „keine Zeit. Außerdem ist es doch egal: Es wird viel versprochen, nichts gehalten“. Talaga, momentan Estrichleger, nickt. Sie zucken mit den Schultern, lachen, ziehen weiter. Links und rechts sind die Schluchten der Vielfamilienhäuser. Die Fassaden sind ordentlich und frisch gestrichen.

Wo viele wählen: Wahllokal in der „Kirche St. Benedikt“

Auch in Aichig ist es ordentlich. Aber hier oben, im Stimmbezirk der Kirche St. Benedikt, zwischen Frankenwald-, Spessart- und Teilen der Kemnather Straße, gibt es keine zweispurigen Einbahnstraßen, keine Vielfamilienhäuserschluchten, sondern gemütliche Einfamilienhäuser mit Garten. Vor den Garagen stehen große, aber keine protzigen Autos, die durch die lange Kinderspielstraße nur schleichen.

Worte, die bei der Suche nach den Gründen, warum hier stärker gewählt wird, oft fallen: Engagement, Interesse, Gemeinschaft. Die Familie Lehnbeuter lebt diese Worte. Vor eineinhalb Jahren bezog Ramon Lehnbeuter mit Yvonne Berg-Lehnbeuter und Töchterchen Sophia ein Haus, „aber wir sind schon voll integriert“. Der 53-jährige Familienvater sitzt auf dem weißen Sofa im geräumigen Wohnzimmer, das rechte Bein lässig überm linken. Wenn er spricht, spricht der ganze Körper. Seine Frau sitzt auf der Sofalehne, beide lachen viel, reden viel, unterbrechen sich dabei aber nie, sondern ergänzen sich. „Diese Herzlichkeit hier, das haben wir noch nie erlebt“, sagt er. „Eine ganz tolle Heimat“, ergänzt seine Frau. Man engagiere sich, im Kleinen, im Großen, in der Politik, im Verein, in der Kirche. „Die Leute wollen mitdenken, mitentscheiden, es ist niemandem egal.“ Die 35-Jährige schaut manchmal ein wenig ungläubig, ihr Mann auch, als könnten sie ihr Glück selbst kaum fassen. Der Chef des Hotels Weihenstephan ist Bayreuther, hat schon an einigen Orten gewohnt. Hier ist er daheim.

Wie die Eltern, so die Kinder

Anneliese Bauer ist eine freundliche, gepflegte Frau, schon seit fast 30 Jahren lebt sie in Aichig. „Ja! Immer!“, ruft sie fast bei der Frage, ob sie denn wählen gehe. „Und die Kinder und Enkel auch“, bei vielen hier sei das so: Weil die Eltern Wähler sind, sind es die Kinder auch geworden. Die 72-Jährige wuchs nach dem Krieg bei einer Tante auf, „die kannte ich nur als alte Frau. Aber: Sie ging immer zur Wahl“. Die 72-jährige, frühere Justizangestellte ist „zufrieden“ mit ihrem Leben. „Ich will, dass es so bleibt“, sagt sie in ihrem freundlichen, gepflegten Wohnzimmer. Dann schaut sie kurz durchs große Fenster in den schönen Garten, blickt zurück und lächelt.

„Die Leute hier wollen ihren Status halten“, erklärt sich Gerhard Breite ein paar Häuser weiter die vielen Wähler. „Alles läuft irgendwie, nicht perfekt, aber es läuft.“ Der frühere Bundespolizist habe heuer überlegt, aus Protest nicht zur Wahl zu gehen. Seine Frau Edeltraud schnaubt. „Ein Gefühl der Ungerechtigkeit ist schon da.“ Jetzt nickt seine Frau. Aber beide werden wählen gehen. „Weil ja sonst nur die Radikalen gewinnen“, sagt Breite.

Info: Egal, wie viele wählen gehen: Die Parteien feiern. Die Grünen ab 17.30 Uhr in der Vinothek (Sophienstraße). Die FDP ab 17 Uhr im Miamiam (Von-Römer-Straße). Die SPD ab 17 Uhr in ihrem Parteibüro (Friedrich-Puchta-Straße 22). Die CSU ab 17.30 Uhr im Glenks Saal (Eichelweg 12). Die Freien Wähler haben keine Party.