E-Auto "kein Ladenhüter mehr"

E-Autos an der Ladesäule. Foto: Laurin Schmid/dpa Foto: red

Im Interview erklärt der auf dem Gebiet der Materialwissenschaften, Energie und Elektrochemie renommierte Forscher Martin Winter: Deutschland verpasst den Anschluss, wenn es auf eine eigene Batteriefertigung für Elektroautos verzichtet. Und er gibt eine Einschätzung ab, wie die Mobilität der Zukunft angetrieben werden wird und wann er sich ein reines Elektroauto kaufen wird.

 
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Herr Professor Winter, das Elektroauto ist noch ein Ladenhüter. Auch, weil die Batterie zu wenig Reichweite schafft. Mit welchen Reichweiten dürfen wir die kommenden Jahre rechnen?

Martin Winter: Das E-Auto ist schon lange kein Ladenhüter mehr. Im Moment ist die Nachfrage so groß, dass Wartezeiten bis zu einem Jahr nicht selten sind. Die Produktion wird erst ab Mitte 2019 den steigenden Bedarf besser bedienen können. Im Übrigen halten wir 700 Kilometer bei 450 bis 500 Kilogramm Batteriegewicht bis 2030 für realistisch.

700 Kilometer sind möglich. Nicht nur im Prospekt, auch in der Praxis?

Winter: Die wirkliche Reichweite hängt vom Fahrverhalten, den Wetter- und Straßenbedingungen ab. Ansonsten sind die Tabellenangaben nach dem gleichen Fahrzyklus angegeben wie bei den Verbrennerfahrzeugen.

Es bleibt bei Lithium?

Winter: Durch die Lithium-Ionen-Technologie können wir Batteriezellen mit ausgezeichneter Performance herstellen. Sie ist im Vergleich zu anderen elektrochemischen Speicherlösungen leicht, platzsparend, leistungsstark, langlebig, günstig und sicher – alles zugleich in einer Technologie.

Sie hat noch Potenzial?

Winter: Ebenfalls spricht für sie, dass sie noch eine Menge Potenzial hinsichtlich Verbesserung bietet. Viele unserer Forschungsprojekte am MEET Batterieforschungszentrum und am Helmholtz-Institut in Münster zielen auf Fortschritte von Lithium-Ionen-Batterien durch neue Materialien, Material-Zusammensetzungen und Komponenten oder auch durch neue Herstellungsprozesse ab.

Können Sie noch konkreter werden?

Winter: Es gibt vielversprechende neue lithiumbasierte Technologien, wie Lithium-Metall-Systeme. Sie zeigen beeindruckende Energieinhalte, sind aber noch in der Erforschung und werden voraussichtlich noch eine Dekade – eher mehr – brauchen, um es in das Fahrzeug zu schaffen.

Kommt die Festkörperzelle? Was ist das genau, welche Vorteile gibt es?

Winter: Heutige Batterien enthalten flüssige Elektrolyte. Gerade in Hochenergiebatterien können diese brennbar sein und im Schadensfall auch auslaufen. Festelektrolyte sind je nach Zusammensetzung weniger oder überhaupt nicht brennbar. Mit festen Elektrolyten gibt es keine flüssigen Zellbestandteile mehr. Die mögliche Kombination von Sicherheit und Hochenergie in Festkörperzellen fasziniert die Wissenschaftler und Ingenieure.

Wie weit ist man?

Winter: Es gibt noch kein industriell einsatzfähiges Fertigungsverfahren und die Chemie, Elektrochemie und Mechanik der Festkörperbatterien ist wenig erforscht. In den nächsten Jahren werden wir viel lernen müssen, um das Potenzial dieser Technologie besser bewerten zu können.

Batterien für E-Autos kommen aus Asien oder den USA. Wo bleibt Deutschland?

Winter: Gute Frage. Tatsächlich ist es höchste Zeit, dass wir in Deutschland nachziehen und ebenfalls in die Batteriezellproduktion einsteigen.

Brauchen die deutschen Autobauer oder Zulieferer eine eigene Batteriefertigung?

Winter: Alles deutet darauf hin, dass die Automobilindustrie zukünftig ihre Wettbewerbsfähigkeit verliert, wenn sie das zentrale Bauelement des Antriebs nicht selbst produzieren kann, sondern einkaufen muss.

Das Batterie-Auto steht in Konkurrenz zum Verbrenner. Wird es sich durchsetzen?

Winter: Die Elektromobilität ist im Straßenverkehr angekommen und wird in der Zukunft noch weiter an Bedeutung gewinnen, denn die Batterie wird immer besser und günstiger. Aber die Verbrennerautos werden uns noch eine Weile begleiten; bei einigen Anwendungen länger als viele denken, bei anderen kürzer. Hoffentlich werden sie auch bald die Emissionswerte in der Praxis haben, die sie laut Theorie schon lange haben müssten.

Wie viel Potenzial hat der Verbrenner noch?

Winter: Der Verbrenner ist auch heutzutage eine schon ziemlich weit entwickelte Technologie. Ein positiver Nebeneffekt des Erfolgs der E-Mobilität und der Hinterfragung der offiziell angegebenen Emissionswerte ist, dass auch die Verbrennungsforschung neue Wege einschlägt, um die realen Emissionswerte wirklich zu reduzieren. Es ist allerdings zu erwarten, dass dadurch der Verbrenner empfindlich teurer wird.

Welche Bedeutung werden denn synthetische Kraftstoffe bekommen?

Winter: Das Thema ist in Deutschland so prominent wie in fast keinem anderen Land, was zeigt wie viel der Verbrennungsmotor uns bedeutet. Über eine wenig effiziente, energieintensive Prozesskette kann man diese Kraftstoffe herstellen, im Idealfall CO2-neutral, das heißt, dass CO2 bei der Herstellung verbraucht wird und beim Verbrennen wieder zurück-“gewonnen“ wird.

Wo nimmt man die Energie dafür her?

Winter: Um die dafür notwendige elektrische Energie in „grüner Form“ bereitzustellen, müssen die erneuerbaren Energien stark ausgebaut werden. Im Endeffekt bekommt man einen Flüssigkraftstoff oder ein tankbares Gas; das bedeutet, dass die gleiche Betankungsinfrastruktur wie heute verwendet werden kann. Letztendlich wird aber auch ein synthetischer Kraftstoff lokal Emissionen produzieren, natürlich auch in den emissionssensiblen Großstädten.

Was wird mit der Brennstoffzelle?

Winter: Sie bietet viel Potenzial, wenn sich zwei Entwicklungen fortsetzen: die weitere Reduzierung der Kosten und die weitere Erhöhung der Lebensdauer. Ich sehe ihre Vorteile vor allem dann, wenn sie mit Batterien hybridisiert wird.

Wasserstoff ist umstritten.

Winter: Das Thema Wasserstoff, dessen Herstellung, Lagerung, Verteilung und Betankung, also die sogenannte „Wasserstoffwirtschaft“, löst Kontroversen aus. Die Wasserstoff-Brennstoffzelle wird schon sehr lange als Zukunftstechnologie diskutiert, viele Ankündigungen wurden gemacht, aber der große Durchbruch ist noch nicht da. Ich bin vorsichtig optimistisch für die Zeit nach 2025, wahrscheinlich später.

Wir schreiben das Jahr 2030. Wie hoch ist der Anteil der E-Autos bei den Neuzulassungen in Deutschland? Wie viele Hybridfahrzeuge, wie viele Verbrenner werden es sein?

Winter: Derzeit sehe ich keine echte Basis für eine fundierte quantitative Prognose. Dass es für die nächste Zeit noch Technologieexistenz von Verbrenner und Elektromotor gibt, in verschiedenen Antriebsformen, ist allerdings klar. Die Waage wird sich im Laufe der Jahre immer mehr in Richtung E-Mobilität neigen. In nicht so naher Zukunft werden synthetische Brennstoffe und Wasserstoff möglicherweise eine Ergänzung, aber keine Alternative, zur Batterie sein können.

Wann kaufen Sie sich ein Elektroauto?

Winter: Ich habe mir ein Elektro-Hybridauto zugelegt, das in der Kurzstrecke rein elektrisch fährt. In der Langstrecke schaltet sich ein Verbrenner dazu. Sobald die Ladeinfrastruktur in der Realität – insbesondere die Anzahl von Schnellladepunkten – das problemlose Zurücklegen großer Distanzen in Deutschland zulässt, freue ich mich auf ein reines Elektroauto.

Das Gespräch führte Roland Töpfer

Zur Person: Martin Winter

Professor Martin Winter forscht im Bereich der elektrochemischen Energiespeicherung und Energiewandlung mit dem Fokus auf Entwicklung neuer Materialien, Komponenten und Zelldesigns. Er hält eine Professur für „Materialwissenschaften, Energie und Elektrochemie“ am Institut für Physikalische Chemie der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster. Zudem ist er wissenschaftlicher Leiter des MEET Batterieforschungszentrums der WWU Münster und Gründungsdirektor des Helmholtz-Instituts Münster.

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