Die Wäscheklammern der Wahrheit Ein Gutachtensoll zeigen, wie gut Jäger schießen

Von Sarah Bernhard

Das sogenannte Vegetationsgutachten ist der Prüfstein für jeden Jäger. Denn es zeigt an, ob er in den letzten Jahren genügend geschossen hat. Wenn nicht, konnten Rehe oder Hirsche zu viele Bäume anfressen - und das ist schlecht für den Wald. Alle drei Jahre wird das Gutachten erstellt, in diesem Jahr ist es wieder soweit.

 
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Die kleinen Bäumchen rund um Dirk Wahl werden von Wäscheklammern zu Boden gezogen. 15 Stück hat der Leiter des Forstreviers Goldkronach in den Glashüttener Wald mitgebracht. "Ich krieg schon manchmal Ärger mit meiner Frau, weil ich so viele Klammern verbrauche", sagt er. Doch das macht Wahl nichts, denn die Klammern dienen einem guten Zweck: Sie helfen, herauszufinden, ob der Wald sich wohlfühlt. Und damit, ob der Jäger, in dessen Revier der Wald liegt, genügend Rehe oder Hirsche geschossen hat.

Denn wenn es im Wald zu viel Schalenwild gibt, fressen die Tiere zu viele Bäume an. Vor allem Tannen oder Buchen, die schmecken am besten. Diese Bäume gehen dann ein oder werden von den ungenießbaren Fichten überwuchert. Das Gleichgewicht des Waldes gerät aus den Fugen. "Dabei dient ein gesunder Wald dem Gemeinwohl", sagt Hans Schmittnägel vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zum Beispiel weil ein gesunder Wald das Trinkwasser besser vor Verunreinigungen schützt.

Kosten: Sechs Millionen Euro

Schmittnägel ist der Chef von Dirk Wahl - und damit dafür zuständig, im Landkreis Bayreuth das sogenannte Vegetationsgutachten zu erstellen, das für jede Hegegemeinschaft auflistet, wie viele angebissene Bäume es gibt. Seit 1986 wird es in Bayern alle drei Jahre gemacht, jedes Mal für rund sechs Millionen Euro.

Denn das Verfahren ist kompliziert: Tester wie Dirk Wahl bekommen ein Raster mit vielen gleichmäßig verteilten Punkten. In der Nähe dieser Punkte suchen sie Stellen im Wald, auf denen viele junge Bäume wachsen. Dann rammen sie auf einer Länge von 50 Metern fünf rot-weiße Stäbe in den Boden. Rund um jeden dieser Stäbe markiert Dahl mit den Wäscheklammern 15 Pflanzen, die zwischen 20 und 120 Zentimeter groß sind. Die untersucht er auf Verbissspuren: Fichte, 1,10 Meter, kein Verbiss. Fichte 90 Zentimeter, kein Verbiss. Buche, 50 Zentimeter, Verbiss.

Es war nur ein Hase

Doch es war nur ein Hase: Die Kante ist glatt, wie mit einer Schere abgeschnitten. Rehe rupfen eher, die abgerissenen Enden sind faserig. Sonst findet Wahl an diesem Stab nichts mehr. Pro Hegegemeinschaft müssen er und seine Kollegen diese Prozedur an mindestens 30 Punkten wiederholen. Alleine im Landkreis Bayreuth gibt es 15 Hegegemeinschaften.

Dass die Untersuchung so akribisch abläuft, hat einen Grund: Das Gutachten dient nicht nur dazu, über die Waldgesundheit zu informieren. Es soll auch einen uralten Streit objektivieren: Den zwischen Jägern und Waldbesitzern. Ihr schießt zu wenig, sagen die einen. Wir schießen genug, sagen die anderen. Auf das Gutachten können sich - im Großen und Ganzen - beide Seiten einigen. Ende März soll es losgehen, die Inventur in Glashütten war nur ein Probelauf. Im Juli dann wird klar sein, wer sich beim Schießen mehr anstrengen muss.

55 Prozent der Laubbäume waren angefressen

Besonders gespannt ist Konrad Löhnert. Er ist Leiter der Hegegemeinschaft Gefrees, die 2012 zusammen mit Bayreuth-Süd und Waischenfeld zu den "roten" Hegegemeinschaften gehörte: 55 Prozent aller untersuchten Gefreeser Laubbäume waren angefressen. Zu viel. 

Die Gefreeser Jäger bekamen deshalb von der unteren Jagdbehörde den Auftrag, mehr zu schießen: durchschnittlich vier Rehe pro Hektar und Jahr. Im Vergleich nicht übermäßig viel. Aber auf dem Gebiet der Hegegemeinschaft Gefrees gibt es auch nicht übermäßig viel Wald. Auch das muss die Behörde bei der Angabe der Abschusszahl beachten.

"Seitdem haben wir den Abschuss etwas erhöht", sagt Löhnert. Und auch der milde Winter wirke zu Gunsten der Jäger: Die Rehe fanden genügend Futter, um auf Baumtriebe verzichten zu können. "In den Jahren davor waren wir immer grün", sagt Löhnert. "Und ich bin optimistisch, dass wir das auch in diesem Jahr wieder schaffen."

Das Gutachten

 Das Vegetationsgutachten, das offiziell "Forstliches Gutachten zur Situation der Waldverjüngung" heißt, wird alle drei Jahre von der unteren Forstbehörde erstellt. In der Regel nur für Hegegemeinschaften, das sind Zusammenschlüsse von Forstrevieren. Bei "roten" Hegegemeinschaften, also solchen, bei denen im vorherigen Gutachten zu hohe Verbissschäden festgestellt wurden, wird nicht nur die gesamte Hegegemeinschaft bewertet, sondern auch jedes einzelne Revier. Auch in "grünen" Hegegemeinschaften, also solchen mit gesundem Wald, ist das möglich, wenn ein einzelner Jäger das möchte.

Nach der Auswertung  gibt die Jagdbehörde eine Empfehlung ab: Alles so lassen, mehr schießen oder deutlich mehr schießen. Wenn die Ergebnisse vorliegen, überlegen sich die Jäger, wie sie die Empfehlung umsetzen wollen und legen ihre geplanten Abschusszahlen der unteren Jagdbehörde vor. Diese entscheidet dann darüber, wie viele Tiere tatsächlich geschossen werden sollten.

Vor drei Jahren wurde die Untersuchung reformiert, um sie objektiver zu machen. Seitdem wird zum Beispiel nicht nur die Zahl der angebissenen, sondern auch die Zahl der gesunden Bäume erhoben. Bayern ist das einzige Bundesland, in dem ein Vegetationsgutachten gemacht wird. 

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