Die apokalyptischen Reiter

Von Michael Weiser

Er ist der Erklärer deutscher Mythen, ein Autor mit der seltenen Fähigkeit, komplexe Geschichte in gut lesbare Bücher zu gießen: Herfried Münkler ist regelmäßig auf Bestsellerlisten zu finden, aktuell mit seinem Buch über den Dreißigjährigen Krieg. Am Mittwoch, 25. April, ist er in Bayreuth in der Buchhandlung Rupprecht zu einem Vortrag und einem Gespräch zu Gast (20 Uhr). Und wir sprachen mit ihm über Deutschlands Urkatastrophe im Dreißigjährigen Krieg, die wirtschaftliche Logik des Mordens und die Parallelen zum Krieg in Syrien.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Am 23. Mai wird es reichlich 400 Jahre her sein, dass mit dem Prager Fenstersturz der Dreißigjährige Krieg begann. Warum sollten wir uns heute noch mit diesem fernen Krieg beschäftigen?

Herfried Münkler: Es gibt eine Reihe von Gründen, und der bedeutungsloseste ist der, dass es vierhundert Jahre her ist. Wichtiger ist, dass es ein Krieg ist, der für die Deutschen und ihr Selbstverständnis von herausragender Bedeutung ist, der in seiner Rolle als die große Katastrophe erst durch den Zweiten Weltkrieg ausgelöst worden ist. Das zweite: An der Peripherie Europas sind Kriege von Typ des Dreißigjährigen Krieges wiedererstanden. Durch die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges können wir diese Kriege vielleicht besser verstehen.

 

Wo sehen Sie Parallelen?

Münkler: Wenn wir den Prager Fenstersturz vor Augen haben: Das war ein innerer Konflikt um die Verteilung der Macht. Wer sollte das Sagen haben, die Stände und Städte oder ein Herrscher in absolutistischer Manier? Dieser Konflikt verbindet sich dann auch noch mit einem konfessionellen Konflikt, Protestanten versus Katholiken, was uns wiederum an die Kriege der Gegenwart erinnert. An Syrien etwa, wo der Bürgerkrieg auch ein Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten ist, was wiederum das Ausland hineinzieht, auf Seiten des Assad-Regimes beispielsweise den Iran mit seinen Revolutionsgarden und die Hisbollah aus dem Libanon.

Es sind viertens Konflikte um die Verschiebung der Grenzen. Maximilian (zunächst Herzog, seit 1623 Kurfürst von Bayern, Anm. der Red.) möchte die Oberpfalz haben, Richelieu (französischer Kardinal und graue Eminenz, Anm. der Red.) möchte Lothringen haben, die Schweden die Ostseeküste und so weiter.

Und das ist ein weiterer Punkt, den wir auch im Vorderen Orient beobachten können: Mit vielen Grenzen, die Sykes-Picot gezogen hat (Abkommen, das nach dem Ersten Weltkrieg die Zerfallsmasse des Osmanischen Imperiums aufteilte, Anm. der Red.) sind die Menschen nicht einverstanden. Man kämpfte damals um die Frage, wer das Sagen hat: Habsburg oder die vielen anderen, allen voran Frankreich. Heute sehen wir das zwischen den Saudis und dem Iran, und die Türkei ist auch noch dabei. Wir sehen die Überlagerung von vier Kriegstypen. Diese Gemengelage macht es schwierig, den Konflikt zu beenden.

 

Vor einem Jahr feierte Deutschland das Jubiläum des Thesenanschlags von Luther, des Ereignisses also, das die endgültige Spaltung der Christenheit erst einleitete. Hat Luther damit auch dem ganz großen Krieg den Weg gebahnt?

Münkler: Der Dreißigjährige war auch ein Religionskrieg, aber es ging nicht nur um Konfessionsfragen, die anderen Fragen waren immer dabei. Die Lutheraner halten sich am Anfang sogar sehr zurück, Sachsen etwa als die führende Macht stand eher auf kaiserlicher Seite, 13 Jahre lang. Erst als Kaiser eine entschlossene Politik der Gegenreformation aufnimmt, schließen sie sich seinen Gegnern an. Die Calvinisten sehen das etwas anders. Sie entwickeln Weltverschwörungstheorien von einer jesuitisch betriebenen Gegenreformation, die die Protestanten umklammern werde, und reden daher einem präventiven Vorgehen das Wort. Es gab von Beginn an konfessionelle Gegensätze, und dann nahmen auch noch die Scharfmacher mehr und mehr das Heft in die Hand – was typisch ist.

 

Verhängnisvoller Sturz aus dem Fenster des Hradschin

 

Da wir vorhin beim Fenstersturz waren: Kaum zu glauben, dass ein solcher Vorfall einen solch massiven Krieg auslöst.

Münkler: Den Dreien, die aus dem Fenster des Hradschin gestürzt wurden, ist ja noch nicht mal viel passiert. Und Kaiser Ferdinand wäre an sich gar nicht in der Lage gewesen, mit den Böhmen Krieg zu führen. Dass es dazu kommen konnte, lag am Frieden, den die Habsburger auf dem Balkan mit dem Osmanischen Reich schließen konnten, und daran, dass die Spanier ihren Vettern innerhalb der Casa d’Austria zur Hilfe kommen. Wäre das nicht gewesen, hätte Ferdinand mit den böhmischen Ständen verhandeln müssen. Es war noch kein Blut geflossen, man hätte das alles anders beenden können. Doch die Spanier wollten einem allgemeinen Niedergang der Habsburger Einhalt gebieten.

 

Indem sie zusammen mit dem wittelsbachischen Bayern Truppen gegen den ebenfalls wittelsbachischen Friedrich von der Pfalz schickten, der sich Böhmens Krone hatte aufsetzen lassen. Dessen Ansprüche nach seinem Sturz 1620 waren ein Grund, warum der Krieg so lange dauerte…

Münkler: Richtig. Zum Ende des Krieges musste, nachdem Bayern die Kurwürde des in Reichsacht getanen Pfälzer bekommen hatte, ein achter Kur-Hut geschaffen werden, damit Heidelberg ein bisschen von seiner alten Reputation zurückbekam.

 

Geld und Waffen für den langen Krieg

 

Welche Gründe gab es noch für die Länge dieses Krieges?

Münkler: Vor allem eben die Überlagerung der verschiedenen Typen von Kriegen. Und: Wir haben es mit einer offenen Kriegsökonomie zu tun. Waffen, Geld und Männer strömen immerzu ins Land. Erst schickten die Holländer und Engländer Geld für den Kampf gegen die Habsburger, dann greift Dänemark ein, das damals auch über Norwegen und Island herrschte.

Als Dänemark aus dem Feld geschlagen war, glaubt der Kaiser, er habe auf allen Ebenen gesiegt, doch dann greift Schweden ein, mit Frankreich im Hintergrund, das durch seine Subsidien Schwedens Krieg in Deutschland überhaupt erst möglich macht, bis es schließlich aktiv an der Seite Schwedens eingreift. Dieser stete Zustrom an Männern, Waffen und Geld führt dazu, dass der Krieg lange braucht um auszubrennen.

 

Wie sehen Sie die Rolle Bayerns?

Münkler: Maximilian war eine der entscheidenden Parteien des Krieges. Über weite Strecken übte er mehr Einfluss aus als der Kaiser, bis das ganze unter den schwedischen Schlägen zusammenbricht. Aus Machtstreben, aber auch aus konfessionellen Gründen gehört er zu den kriegstreibenden Elementen. Sein Land büßte das bitter, als Gustav Adolf 1632 nach Kernbayern einmarschierte.

 

Was er anfangs wohl nicht vorgehabt hatte. Was halten Sie von der These, dass er irgendwann sogar überlegte, selber Kaiser zu werden?

Münkler: Johann Georg, der Kurfürst von Sachsen, bringt diese Idee bei einem Gelage auf. Doch man erzählt, dass der überhaupt erst nach dem dritten Liter Bier angefangen habe zu sprechen. Man kann es aber nicht ausschließen. Er hatte sich so weit durchgesiegt in Deutschland, da kann es sein, dass er sich überlegt hat,  wie er die Erfolge in eine Friedensordnung konvertieren kann. Und da wäre die Wahl zum Kaiser eine Option gewesen. Aber es wäre ein usurpiertes Kaisertum gewesen, das nicht mehr auf der Grundlage der Goldenen Bille geruht hätte, sondern allein auf der militärischen Macht und gegen die katholische Mehrheit der Kurfürsten.

 

Die Entdeckung des Pragmatismus

 

Nach Jahrzehnten des Gemetzels und Jahren der Verhandlungen wurde am 24. Oktober 1648 Frieden geschlossen. Was brachte all die verschiedenen Seiten - Kaiser und Fürsten einerseits, Schweden,  Frankreich und Kaiser andererseits – zusammen?   

Münkler: Max von Trautmansdorf, den die kaiserliche Seite hingeschickt hatte,  war ein geschickter und lesitungsfähiger Diplomat, der es schaffte, die unterschiedlichen Ebenen des Krieges auseinanderzubringen und dort jeweils Kompromisse herbeizuführen, die einander aber nicht widersprechen durften. Das bekam er hin, aber als er die Ergebnisse zusammenfasste, glaube er nicht mehr, dass er noch Erfolg haben würde. Und so reiste er 1647 enttäuscht ab. Doch es bleibt dabei: Er hat im Prinzip diese Frieden konzipiert. Schließlich war auch die kaiserliche Seite zum Schluss gekommen, dass auch ein weiterer Sieg die Verhandlungssituation nicht verbessern würde. Das sehen dann auch die protestantischen Mächte ihrerseits ein.  Am Ende polemisieren noch Kurie und Calvinisten, aber beide hatten nicht mehr das Gewicht. Man glaubt nicht mehr bedingungslos. Man kann es böse sagen: Die Werte-Auffassung der Katholiken und Protestanten tritt zurück hinter die interessensorientierte Form des politischen Kalküls.

 

Was bleibt übrig von diesem Krieg?

Münkler: Der Dreißigjährige Krieg war bis zum Zweiten Weltkrieg der Krieg, der die größten Fluchtbewegungen auslöste. Dadurch wurden Seuchen im großen Ausmaß verbreitet. Zur unmittelbaren Pestilenz und zum Krieg kamen Teuerung und Hunger. Das waren die apokalyptischen Reiter, eine furchtbare Erfahrung, die sich tief einbrannte.

 

Entsetzlicher Aderlass

 

Ein Drittel der Bevölkerung, rund fünf Millionen Menschen, soll in den 30 Jahren ausgelöscht worden sein. Was bleibt noch?

Münkler: Mit dem Frieden haben die erstmals die Deutschen eine Form von Toleranz entwickelt, die in mancher Hinsicht erst mit der zweiten großen Fluchtbewegung des Zweiten Weltkriegs überwunden wurde, als es endgültig keine rein katholischen oder protestantischen Dörfer mehr gab. Das Nebeneinander aber war in der Sache schon 1648 angelegt. Da geht Deutschland einen Sonderweg. Frankreich wird unter Ludwig XIV rekatholisiert. Diejenigen, die protestantisch bleiben wollten, wanderten auch  Preußen oder Hessen aus. England bleibt protestantsich.

Die deutschen Länder in der Mitte Europas aber bilden eine konfessionelle Melange. Sie haben damit , ohne es zu wissen, einen Modernitätsvorsprung. Das andere, das Gefühl, das die anderen auf einen einprügeln, dass man wie ein Schwamm in der Mitte die Konflikte aufsagt, spielt spielt bis ins 19. und 20. Jahrhundert eine wichtige Rolle. Im ersten Weltkrieg zum Beispiel mit dem Ergebnis, dass man bitteschön nicht auf deutschem Boden Krieg führen solle – einer der Gründe für den Schlieffen-Plan und den Versuch, den Krieg schnell nach Frankreich zu tragen.   


Zur Person: Herfried Münkler (67) ist Professor an der Humboldt-Uni in Berlin und gilt als einer der profiliertesten deutschen Politikwissenschaftler. Einen Namen machte er sich durch Bücher wie "Die neuen Kriege", "Die Deutschen und ihre Mythen" und "Der große Krieg. Die Welt 1914 bis 1918". Zuletzt erschien von ihm "Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618 - 1648", Rowohlt Berlin, 2017, 39,95 Euro.