Der Bayreuther Loge Norbert Ernst über Wagneropern und Tonaufnahmen „Aber sie enden im Licht…“

Von Marieluise Müller
 Foto: red

Gluthitze flimmert ums Festspielhaus, drinnen laufen die „Ring“-Proben auf Hochtouren, Pause hat heute Feuergott Loge und damit Zeit für ein Gespräch. Im Interviewzimmer: erfrischend kühle Eisdielen-Temperatur. Ob das aber der Sängerstimme gut tut, fast 20 Grad Temperaturunterschied? „Möglichst keinen Stress und wenig vom Vitaminräuber Alkohol“, ist das Rezept des Wieners Norbert Ernst. Entspannt lehnt er sich zurück und lässt zu den Themen Loge, Bühne und Musik sein Gegenüber teilhaben an seiner Welt voller wacher Gedanken, toleranter Freude und hohem Qualitätsbewusstsein.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Dabei argumentiert er völlig unangestrengt, und kaum zu glauben: mit der gleichen fast jungenhaften Frische, mit der er vor zehn Jahren zum ersten Mal in Bayreuth auftauchte und mit seiner ansteckenden Spielfreude das Publikum bezauberte. Inzwischen ist er dreifacher Familienvater, in Europas großen Opernhäusern aufgetreten, unter anderem auch auf dem Grünen Hügel mit einem brillanten David in den „Meistersingern“, und: Er ist immer noch nicht stressresistent gegen das Reisen, das Operngesang auf diesem Niveau automatisch mit sich bringt. Allerdings gibt es für dieses Problem seit 2010 eine gewisse Erleichterung: Norbert Ernst ist nach Jahren der Freiberuflichkeit festes Mitglied im Ensemble der Wiener Staatsoper. Sein David an diesem Haus hatte einen spektakulären Start: Unter der musikalischen Leitung von Christian Thielemann sprang er 2008 für einen erkrankten Kollegen ein – ohne Vorbereitung, in den Pausen bekam er die Regieanweisungen für den nächsten Akt... Sechs Jahre vorher brachte ihm diese Rolle schon einmal Glück: Sie war sein Bühnendebüt, in Düsseldorf, frisch weg von der Hochschule. Jetzt wieder ein Bayreuth-Sommer. Mit neuer Rolle.

Loge hat er zuletzt in Wien gesungen, in einem Regiekonzept, „das sich gut auf mich übertragen ließ“. Das Psychogramm der Figur war „exakt gezeichnet“, was dem Sänger „wesentlich wichtiger ist als genaue Gänge“. Der Wiener Loge war „unmenschlich“ im Sinne von einem „personifizierten Feuer“, jenem „Ursprungselement“, das schwer zu fassen ist, mit unvorhergesehenen Ausbrüchen erschreckt, sich zurückzieht, wieder auflodert, das „als Auslöser“ sozusagen „schuld“ hat an dem, was passiert: „Ohne Loge existiert die Ring-Geschichte nicht! Er ist das aktive Element, das die Handlung vorantreibt. Feuer ist ja auch das Element, das Neues entstehen lässt – sogar nach einem Waldbrand...“ Was Norbert Ernst in Wien gut gefiel: „Es gab zwischen Loge und Wotan eine starke physische Anziehungskraft, wie ein Kind, wie ein Hündchen schmiegte sich der Feuergott an Wotan. So entstand eine eigenartige Symbiose.“

Auf was freut sich der Sänger besonders? „Auf diese Verschmelzung des Orchesterklangs, der aus dem überdeckten Graben steigt!“ Und er beschreibt nachvollziehbar plastisch, wie im „Rheingold“ die Kaskaden der Streicher – „oft perlend und sehr präsent“ – in Bayreuth „zu einer einzigen großen Wellenbewegung des Rheins verschwimmen: Die Musik malt deutlicher eine Atmosphäre, erzeugt gleichzeitig damit höhere Emotionalität, überflutet geradezu Sänger und Publikum, trifft mitten ins Bauchgefühl. In meinem ersten Bayreuth-Jahr habe ich das am heftigsten beim Trauermarsch empfunden, diese Kompaktheit. Nicht umsonst wird Wagner als der große Verführer charakterisiert. Wird seine Musik optimal gespielt, hat das eine Sogwirkung bis hin zur Erotik, die unfassbar ist. Ich bin ja der Meinung, Ärzte sollten ihre depressiven Patienten in Wagneropern schicken. Dort werden alle Abgründe gezeigt – aber sie enden im Licht!“

Wie wichtig ist ihm das Spiel? „Oper braucht die Szene. Aber es müssen Musik und Bühne zusammenpassen. Wenn die Komponenten nicht stimmen – dann bekommt die Aufführung so etwas Separiertes, als wäre die Oper ein Konzert in eigenartiger Aufmachung.“ Damit aber eine Liebesszene etwa „gigantisch“ wirkt, muss auch auf der Bühne der Funke überspringen, die emotionale Energie passen. Was macht man aber, wenn einem der Partner unsympathisch ist? „Ich versuche sowieso die Privatperson von der Rolle zu separieren. Wenn ich zum Auftritt gehe, möchte ich total in die Figur hineinschlüpfen. Völlig darauf konzentriert, mich in den Gefühlszustand der Rolle zu versetzen, gelingt es mir meistens, das zu kompensieren, was mich persönlich vielleicht stört.“ Norbert Ernst kann deshalb auch dann am besten spielen, wenn ihm der Regisseur die „Grundhaltung einer Figur“ intensiv vermitteln, die Konstellation der Personen zueinander klar machen kann: „Aus dieser inneren Einstellung heraus ergibt sich jede Aktion, verändert sich die Körperhaltung.“ Das Schöne dabei: Die Musik „füttert das Gefühl“, was dem Sänger besonders dann auffällt, wenn er „trockene“ Dialoge in einem Singspiel zu sprechen oder Rezitative in einer Oper zu bewältigen hat.

Vorausgesetzt, auf der Opernbühne, im Orchestergraben verwebt sich alles wunderbar zu einer überwältigenden Aufführung – warum erreicht sie Manchen im Parkett trotzdem nicht? Oder auch die immer wiederkehrende Diskussion um Wert und Sinn und Finanzierung der Kunstsparte „Oper“? Letzteres verdanken wir, meint Norbert Ernst, der „Gratismentalität“ unserer Internetzeit: „Alles ist immer gratis zu haben.“ Und verliert damit an Wert. Wie die Musik an Wert verloren hat, weil sie einen „omnipräsenten Beiläufigkeitsfaktor“ erreicht hat, ständig und überall verfügbar. „Wenn sich ein Opernbesucher mit seiner Lieblings-CD auf den Abend vorbereitet, kann er sich gar nicht mehr richtig auf das Live-Hörerlebnis einlassen.“

Foto: Bayreuther Festspiele/Nawrath