Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) will Junkfood-Werbung, die sich an unter 14-Jährige richtet, weitgehend verbieten – in TV, Radio, Print und Internet. Das gab Gegenwind in der Öffentlichkeit. Aber Özdemir verfolgt eine Agenda.
Cem Özdemir (Grüne) will an Kinder gerichtete Werbung für Süßigkeiten verbieten. Dass er damit auf Kritik stößt, sei ihm klar gewesen, so der Bundesernährungsminister im Interview.
Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) will Junkfood-Werbung, die sich an unter 14-Jährige richtet, weitgehend verbieten – in TV, Radio, Print und Internet. Das gab Gegenwind in der Öffentlichkeit. Aber Özdemir verfolgt eine Agenda.
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Herr Özdemir, Sie sind einkaufen. Was liegt an der Kasse auf dem Band?
Ich war bei meiner Bahnfahrt von Berlin nach Stuttgart beim Umstieg einkaufen, unter anderem Brotaufstriche. Beim Nussaufstrich achte ich darauf, dass er fair gehandelt, beim Gsälz, dass es möglichst bio ist. Und auch sonst versuche ich, fair, bio, regional und saisonal einzukaufen. Zudem habe ich im Zug stets Obst dabei. Denn immer, wenn ich ohne unterwegs bin, fällt das Bordbistro aus (lacht).
Sie haben auch süße Sachen aufgezählt.
Die Menge macht das Gift, heißt es. In Maßen ist also auch Süßes in Ordnung. Allerdings kann man die Verantwortung für eine gesunde Ernährung nicht unseren Kindern aufbürden. Dafür müssen wir Erwachsenen sorgen – wobei es die Eltern nicht immer leicht haben. Ein Problem: Kinder werden täglich und auf allen Kanälen regelrecht überflutet mit Werbung für Zuckerbomben sowie viel zu fettige und salzige Lebensmittel. Das beeinflusst das Ernährungsverhalten von Kindern enorm. Die Ampelkoalition hat mich beauftragt, dem einen Riegel vorzuschieben – und das mache ich jetzt, indem wir an Kinder gerichtete Werbung für solche Lebensmittel regulieren. Natürlich können die Unternehmen bei Kindern weiter werben, aber dann für ausgewogene Produkte.
Warum ist Ihnen ein derartiges Verbot so wichtig?
Ich halte es generell für keinen guten Weg, Geld damit zu verdienen, indem man die Gefährdung der Gesundheit unserer Kinder in Kauf nimmt. Da weiß ich übrigens 85 Prozent der Bevölkerung hinter mir. Und Ärzte, Krankenkassen, Elternvertretungen, Gesundheits- und Ernährungsverbände fordern schon seit Längerem einen besseren Schutz. Die übergewichtigen Kinder von heute sind die ungesunden Erwachsenen von morgen. Ernährungsgewohnheiten werden in der Kindheit geprägt. Gut 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind übergewichtig, Tendenz steigend. Damit ist ein Punkt erreicht, an dem der Staat eingreifen muss. Alle Selbstverpflichtungen der Branche haben nichts gebracht.
Glauben Sie wirklich, dass Kinder ohne Werbung weniger Süßes essen?
Die Werbeindustrie behauptet, Werbung animiere Kinder nicht zum Konsum. Ich stelle immer die Gegenfrage: Wieso werbt ihr dann weiter? Warum steckt ihr da viel Geld rein, wenn es keinen Effekt hat? Allein 2022 wurde über eine Milliarde Euro nur für Süßigkeiten-Werbung ausgegeben. Klar ist, Kinder, die Medien nutzen, sehen täglich im Schnitt 15-mal Werbung für Lebensmittel mit zu hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt.
Ein Verbot kostet nichts. Wäre es nicht sinnvoller, unter anderem auf mehr Bewegung zu setzen, also den Schulsport zu fördern, der oft genug ausfällt? Wieso wird nicht mehr Geld investiert?
Sie rennen bei mir offene Türen ein. Das eine machen und das andere nicht lassen: Die Werberegulierung ist nur ein Baustein der Ernährungsstrategie der Bundesregierung, die mein Ministerium gerade erarbeitet. Dazu gehören aber auch ausreichend Bewegung und gesunde Gemeinschaftsverpflegung – da muss man in den Schulen ansetzen. Am liebsten wäre es mir, wir hätten jeden Tag Sportunterricht und flächendeckend Schulmensen mit gesundem und leckerem Essen.
Was umfasst Ihr geplantes Verbot?
Grundsätzlich geht es um alle Lebensmittel mit zu viel Zucker, Fett oder Salz. Wir orientieren uns dafür an den wissenschaftlichen, etablierten Nährwert-Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Und was die Werbung betrifft: Da spielen Art, Inhalt, Gestaltung und das Werbeumfeld eine Rolle.
Nach den WHO-Kriterien sind auch Milch und Obstsaft nicht gesund.
Beides ist explizit in unserem Entwurf ausgenommen. Auch wenn bayerische CSU-Ministerkollegen wider besseres Wissen anderes behaupten und dort Wahlkampf ist, sollte man doch bei der Wahrheit bleiben. Kleiner Tipp: Saft sollte man am besten als Schorle trinken, das löscht den Durst auch besser.
Die Grünen gelten manchen als Verbotspartei und Spaßbremsen . . .
Diese Absurdität höre ich immer von CDU und CSU, deren oberstes Ziel es in den letzten 16 Jahren war, möglichst nichts zu tun – das allerdings sehr erfolgreich. Wenn ich mir anschaue, vor welch enormen Herausforderungen unser Land steht, ist mir aber nicht zum Lachen zumute. Da empfehle ich doch mit Blick auf die Klimakrise oder das Höfesterben der letzten Jahre etwas mehr Demut. Die Grünen sind nicht nur Pioniere, sondern auch diejenigen, die es richten wollen.
Damit Ihr Plan durchkommt, brauchen Sie eine Mehrheit in der Koalition. Die FDP hat Ihren Plan aber als weltfremd kritisiert. Bahnt sich ein Streit an?
Dass ich zunächst Gegenwind bekomme, war mir klar. Auf die nun geplante Regulierung haben wir uns als Ampel im Koalitionsvertrag gemeinsam verständigt. Den Auftrag setze ich jetzt um. Und generell gilt: Neues stößt oft erst mal auf Kritik – und die halte ich aus. Als in den 70ern die Gurtpflicht kam, hieß es, so mache Autofahren keinen Spaß mehr. Auch der Nichtraucherschutz hat vor gut 15 Jahren Proteste ausgelöst.
Beides ist heute eine Selbstverständlichkeit.
Genau. Und die Grünen können es in den 70er Jahren auch nicht gewesen sein (lacht). Ich glaube, dass wir uns in zehn Jahren staunend fragen werden, wie man Kinder allen Ernstes Werbung für gesundheitsschädigende Lebensmittel aussetzen konnte.
Wie halten Sie es bei Ihren beiden Kindern mit Süßem?
Selbstverständlich durften die beiden schon immer Süßes essen, aber eben in Maßen. Ein Verbot hätte schon deshalb nicht funktioniert, weil ihnen meine inzwischen leider verstorbene Mutter aus Bad Urach immer riesige Care-Pakete mitgebracht hat – als ob es in Berlin keine Schokolade gäbe (lacht).
Sie naschen bestimmt auch. Was ist Ihre Lieblingssüßigkeit?
Klar nasche ich. Ich habe immer Obst und Nüsse parat. Das sind gesunde Snacks, die mich vor Süßigkeiten-Heißhunger bewahren. Ansonsten mag ich dunkle Schokolade. Vollmilch ist mir mittlerweile meistens zu süß. Gut möglich, dass das mit dem Alter zusammenhängt.
Wurzeln
Cem Özdemir wurde am 21. Dezember 1965 in Bad Urach (Kreis Reutlingen) geboren. Seine Eltern waren Anfang der 60er Jahre aus der Türkei als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen und hatten sich hier kennengelernt.
Ausbildung
Nach der Mittleren Reife machte Özdemir eine Ausbildung zum Erzieher, holte die Fachhochschulreife nach und studierte Sozialpädagogik.
Politik
1981 trat er den Grünen bei, für die er 1994 erstmals in den Bundestag einzog. Von 2008 bis 2018 war Özdemir einer der beiden Bundesvorsitzenden seiner Partei. Von 2004 bis 2009 saß er im Europäischen Parlament, seit 2013 ist er wieder im Bundestag.
Privates
Özdemir ist mit der aus Argentinien stammenden Journalistin Pia Maria Castro verheiratet. Das Paar hat zwei Kinder – eine Tochter und einen Sohn. Seit seiner Jugend ist der Politiker Vegetarier.