Castorf erklärt den Krieg mit Cola

MünchenVon Michael WeiserFür Frank Castorfs Inszenierungen braucht man Ausdauer. Und muss wissen, dass kein Stein auf dem andern bleibt. Jetzt hat sich Castorf Jaroslav Haseks "Svejk" angenommen. Warum man sich dabei tatsächlich ein bisschen  wie im Krieg vorkommen konnte.

 
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Svejk hatte dem Zuschauer der jüngsten Premiere am Residenztheater etwas voraus: Er wusste, wann und wo die Geschichte enden würde. Nämlich nach dem Krieg um Sechs im „Kelch“, im Kreise seiner Saufkumpane.

So lautet die berühmte Verabredung des braven Soldaten in Jaroslav Haseks Roman. Was Svejk nicht ahnen konnte: dass sich Frank Castorf einmal seiner Geschichte annehmen würde. Viele Jahre später, und mit vielem von dem, was diese vielen Jahre brachten.

Ja, also, Frank Castorf. Er macht Theater, was ja an sich auch so etwas wie eine Verabredung ist, nur eben nicht bei Castorf. Da ist es eher das Gegenteil: Man bekommt ganz sicher nicht das, was man erwarten konnte/wollte/sollte. Sondern?

Etwas anderes.

Alles durch den Mixer

Es kann auch etwas Undefinierbares sein. Als habe jemand eine ganze Menge Sachen in einen Mixer ohne Deckel gesteckt. Und danach nicht allzu viel Sorgfalt aufs Aufräumen der Küche verwendet. Weil man das wiederum schon vorher weiß, kann man behaupten, Castorf habe seine Art von Verabredung ähnlich verlässlich eingehalten wie Svejk.

Den Mixer hat in bewährter Manier Aleksandar Denic zusammengeschraubt. Das Konzept seiner kreiselnden Bühnenbauten ist wiedererkennbar, auf eine gute Art und Weise: Man sieht diese Bauten und verspürt Lust, seine Gedanken darin Gassi gehen zu lassen. Das ist in Bayreuth wie in München dasselbe. Überraschender als das Design ist die Tatsache, dass man sich nicht daran sattsehen kann.

Das Problem daran: Die Inszenierung bleibt verlässlich hinter dem zurück, was einem die eigene Phantasie verspricht. Denics Bauten schließen, mit Castorf als Mieter, den Zuschauer wieder mal aus. Die Schauspieler tollen bevorzugt im Innenraum herum, man sieht nichts, es sei denn, man glotzt auf die mal wieder obligatorischen zwei Videoscreens. Der Regisseur liefert die Bilder nicht nur, er zwingt sie einem auf wie ein Steve Jobs den Apple-Nutzern seine Programme. Ein Illusionsmonopolist, den Vorwurf muss er sich gefallen lassen. Da hilft es auch nichts, dass er auf andere zeigt und den Weltkrieg als Krieg der Großkapitalisten hinstellt: als Krieg von Pepsi gegen Coca Cola.

Szenen eines unvollendeten Romans“ lautet der Untertitel der Produktion. Diese Szenen werden bis zur Unkenntlichkeit verarbeitet, geschreddert, gemixt. Die Kenntnis des originalen Textes ist eher hinderlich, besser, man kommt mit einer verwaschenen Erinnerung des vor Urzeiten mal gelesenen Buchs. Dann kann man sich Denics Baukomplex vielleicht noch besser als Hirnkasterl der kollektiven Erinnerung vorstellen, in dem alles zusammenkommt, von den neudeutschen Anarchikern von Trio, flachen Scherzen über Dada bis hin zum „Fickificki“ der Kölner Silvesternacht.

Eine Cola als Henkersmahlzeit

Es gärt, es brodelt, es suppt ein bisschen aus. Und nachher bleibt eher ein unbestimmtes Gefühl. Man kann, man muss das nicht immer verstehen. Da bildet das Stück den bösen Wahnsinn des Weltkrieges ab, der „Urkatastrophe“, die die Welt bis heute nicht mehr zur Ruhe kommen lässt.

Natürlich spricht Castorf nicht nur vom Krieg, sondern auch von viel wichtigerem – von seinem Theater. Die Kriegswelt ist ein Casino, hinter der Fassade von Castorfs Volksbühne in Berlin, so wie sie früher mal aussah, also vor dem Krieg; mit dem Schriftzug „Die Kunst dem Volke“. Und weil man schon so selbstironisch ist, warnt Bibiana Beglau ziemlich zu Beginn: „Besser wird das hier heute Abend nicht, vielleicht nach der dritten Pause.“ Dritte Pause? Ohgottohgott! Castorf weiß schon, wie er einen schocken kann.

Rumtollen im Hirnkasterl

Die Schauspieler dürfen – gefühlt – machen, was sie gerne machen. Rumtollen, Improvisieren, aus Rolle und Text fallen. Die Anrufung der Souffleuse gehört fast schon dazu. Es sind ja hervorragende Schauspieler, durch die Bank, richtige Typen, sie sollten also Freilauf haben, es sei ihnen vergönnt. Man sieht sie also in allerlei Rollen, sie spielen auch sich selbst.

Der Svejk hingegen ist lange Zeit so etwas wie eine bemerkenswerte Leerstelle in der allgemeinen Umtriebigkeit: Beobachter, Graue Eminenz, ruhender Pol. Aurel Manthei schreitet wachsamen Blicks durch dieses Gruselkaleidoskop, das irgendwie mehr an Karl Kraus’ „Letzte Tage der Menschheit“ als Haseks Originaltext erinnert.

Ein Engel namens Svejk

Erst in der zweiten Hälfte entwickelt Mantheis Švejk größeren Wiedererkennungswert: Da irrt er auf seiner glorreichen Anabasis irgendwo durch die Walachei, auf der Suche nach seiner Einheit, und man weiß nicht, ob er ein Schelm ist, ein russischer Spion oder einfach nur desorientiert. Und die geflügelte Valery Tscheplanowa: Ist sie eine Verflossene, ein Engel, Gott oder am Ende eine andere Erscheinung von Svejk?

Svejk steht zum Ende hin, richtig, unterm Galgen. Eine Dose Cola gibt’s als Henkersmahlzeit, es wird dann aber doch alles gut für den guten Soldaten. Weite Teile des Publikums bekommen das nicht mehr mit. Sie sind platt. Oder schon zuvor gegangen. Auch bei den Zuschauer-Verlustquoten hat Castorfs Abend Ähnlichkeit mit  Krieg.

INFO: „Die Abenteuer des guten Soldaten Svejk im Weltkrieg. Szenen aus einem unvollendeten Roman“, Regie Frank Castorf; die nächsten Termine am Residenztheater München: 14., 23. und 24. April, 5., 7. und 16. Mai.

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