Der Grund ist einfach: Bei der Bundestagswahl 2021 gewann die CSU 45 Direktmandate, kam aber nur auf ein bundesweites Zweitstimmenergebnis von 5,2 Prozent. Sie erhielt so 11 Überhangmandate, die sie nach dem neuen Wahlrecht nicht mehr bekäme. Weitere 12 Überhangmandate holte die CDU in Baden-Württemberg. Zusammen waren das 23 von insgesamt 34 Überhangmandaten, die wiederum 104 Ausgleichsmandate zur Folge hatten.
Laufen nur CDU und CSU gegen die Reform Sturm?
Nein. Der Wegfall der Grundmandatsklausel empört auch die Linke. Denn sie hat von dieser Regelung bislang besonders profitiert. Bei der Bundestagswahl 2021 kam sie zwar nur auf 4,9 Prozent der Zweitstimmen, aber Gregor Gysi (Berlin), Gesine Lötzsch (Berlin) und Sören Pellmann (Leipzig) gewannen jeweils ein Direktmandat - und die Linke zog mit 39 Abgeordneten in den Bundestag ein. Bei der Wahl 1994 holte die Linke-Vorgängerpartei PDS sogar nur 4,4 Prozent der Zweitstimmen. Doch dank vier in Berlin gewonnener Direktmandate entfielen auf sie 30 Sitze im Bundestag.
Für die CSU könnte es besonders bitter kommen. Würde sie bundesweit hochgerechnet unter die Fünf-Prozent-Marke rutschen, flöge sie nach dem neuen Wahlrecht aus dem Bundestag - auch wenn sie wieder die allermeisten Wahlkreise in Bayern direkt gewinnen würde.
Wer klagt eigentlich in Karlsruhe?
Verhandelt wird über zwei Normenkontrollverfahren (195 Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, bayerische Staatsregierung), drei Organstreitverfahren (CSU, Linke, Linke-Bundestagsfraktion) und zwei Verfassungsbeschwerdeverfahren (mehr als 4000 Privatpersonen, Bundestagsabgeordnete der Linken mit über 200 weiteren Privatpersonen).
Bei einem Normenkontrollverfahren wird geprüft, ob ein Gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das Organstreitverfahren ist eine Auseinandersetzung zwischen obersten Bundesorganen oder diesen gleichgestellten Beteiligten über ihre Rechte und Pflichten aus dem Grundgesetz. Antragsberechtigt sind auch einzelne Bundestagsabgeordnete und politische Parteien. Eine Verfassungsbeschwerde kann jedermann mit der Begründung erheben, durch die öffentliche Gewalt in einem Grundrecht oder bestimmten Artikeln des Grundgesetzes verletzt worden zu sein.
Welche ihrer Rechte sehen die Kläger verletzt?
Nach Angaben des Bundesverfassungsgerichts sehen sich die Antragsteller und Beschwerdeführer insbesondere in zwei Grundrechten verletzt: bei der Wahlrechtsgleichheit nach Artikel 38 Grundgesetz und beim Recht auf Chancengleichheit der Parteien nach Artikel 21 Grundgesetz.
Wann ist mit einem Urteil zu rechnen?
Das steht noch nicht fest. Allzu lang kann sich das Bundesverfassungsgericht aber nicht Zeit lassen. Die nächste Bundestag wird regulär im Herbst kommenden Jahres gewählt. Und die Venedig-Kommission des Europarats hat in einem Verhaltenskodex festgelegt, dass etwa ein Jahr vor einer Wahl deren Regeln feststehen sollen. Demnach müsste spätestens direkt nach der parlamentarischen Sommerpause ein Urteil verkündet werden.
Die Kommission, die Staaten in Verfassungsfragen einschließlich des Wahlrechts berät, hat sich das neue deutsche Wahlrecht im Juni vergangenen Jahres angeschaut. Sie kam zu dem Schluss, dass die Reform im Einklang mit den internationalen Wahlrechtsstandards stehe. Kritisch angemerkt wurde aber, dass eine breite Unterstützung über die Parteigrenzen hinweg fehle.
Wie könnte ein Urteil aussehen?
Das lässt sich überhaupt nicht vorhersagen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte keine verfassungsrechtlichen Bedenken und unterzeichnete das Gesetz daher. Das Bundespräsidialamt machte dabei deutlich, dass der Gesetzgeber nach dem Grundgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sehr frei in der Ausgestaltung des Wahlrechts sei. Das stimmt zwar. Trotzdem ist das Wahlrecht auch am höchsten deutschen Gericht ein umstrittenes Thema, wie das Urteil zur Reform der großen Koalition vom November vergangenen Jahres zeigte: Es fiel mit fünf zu drei Richterstimmen denkbar knapp aus.