Blatt für Blatt jüdische Geschichte Seltener Genisa-Fund: Digitalisierung fast abgeschlossen

Von
Ein Gebetsriemen, entdeckt in der Ablage liturgischer Schriften – der Genisa – im Dachboden der Bayreuther Synagoge. ⋌Fotos: Waha Foto: red

Es war ein Fund, der das Prädikat einzigartig verdient: Unter den Bodenbrettern im Dachboden der Synagoge lagen Tausende Seiten Geschichte. Die Genisa, die Ablage der Schriften der Gemeinde, wurde 2009 entdeckt und gehoben. Jetzt stehen Auswertung und Digitalisierung der mehr als 1500 Inventarnummern kurz vor dem Abschluss – mit überraschenden Erkenntnissen.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Der Job ist schmutzig. Und er verlangt Fingerspitzengefühl. Viel sogar, denn das Papier zerfällt, wenn man es nicht sorgfältig anfasst. „Rund 250 Inventarnummern liegen noch vor mir, dann bin ich fertig“, sagt Elisabeth Singer im Kurier-Gespräch. Die 33-jährige Volkskundlerin, Slawistin und angehende Judaistin scannt die Funde aus der Genisa der jüdischen Gemeinde von Bayreuth ein. „Genisa-Forschung ist mein Hauptbeschäftigungsgebiet“, sagt sie. Sie arbeitet freiberuflich, ist aber sehr viel mit dem am Jüdischen Kulturmuseum in Veitshöchheim angesiedelten Genisa-Projekt unterwegs. „In Veitshöchheim wurde in den 80er Jahren ein großer Fund gemacht, seitdem gibt es das Projekt dort.“ Singer, ihre Kollegin und die Leiterin der Projektgruppe werden gerufen, wenn es Genisa-Funde gibt, „bundesweit sind wir die einzigen, die Erfahrung damit haben“.

Der Bayreuther Fund war ein besonderer, schon allein wegen der Auffindesituation: „Wir konnten die Genisa vor Ort heben, haben die Schriften nicht in Kartons gebracht bekommen – wie sonst so oft“, sagt Singer. Entdeckt wurde die Ablage – im jüdischen Glauben dürfen liturgische Schriften, Bücher, Tora-Rollen nicht einfach weggeworfen werden, sie werden abgelegt – ganz profan: Bei Vermessungsarbeiten für die anstehende Sanierung der Synagoge, die Ende des Jahres beginnen soll, wie Felix Gothart, der Vorsitzende der Israelitischen Kulturgemeinde sagt.

"Wir haben viele Schrifften gefunden, aber auch bemerkenswerte Dinge"

„Was den Bayreuther Fund so besonders macht: Dass es sich um eine Genisa in einer Synagoge in einer Stadt handelte. Sonst haben wir bislang fast nur Funde in Synagogen auf dem Land gemacht“, sagt Singer. Die Wissenschaftler habe in erster Linie interessiert, inwiefern sich die Funde unterscheiden. „Wir haben viele Schriften gefunden, die sich mit den bisher gehobenen deckten – aber auch einige bemerkenswerte Dinge.“ Zum Beispiel einen Schwerpunkt auf mystischer Liturgie, der Kabbala. „Außerdem entdeckten wir ein Werk zum jüdischen Recht für bessere Leute, die mit anderen Problemstellungen befasst sind als einfache Leute auf dem Land“, sagt Singer. „Besonders schön“, nennt die Forscherin den Fund einiger Amulette für werdende Mütter, die helfen sollten, die hohe Säuglingssterblichkeit zu reduzieren. „Ein handschriftliches Amulett war in feines Ziegenleder eingeschlagen und wie neu, als wir es aufschlugen.“ Neben einem Los der Nordwestdeutschen Klassenlotterie von April 1948 fanden Elisabeth Singer und ihre Kolleginnen auch ein Theaterstück, eine Komödie, die man offenbar gern gelesen hat: „Eine Genisa kann auch lustig sein“, sagt Singer.

Der zeitliche Schwerpunkt der Schriftablage, die sich fast ausschließlich an der Ostwand im Dachboden der Synagoge fand, lag nach Singers Worten im 18. Jahrhundert, „wir haben viel entdeckt, was aus der Anfangszeit der Synagoge um 1760 stammt. Da wurde scheinbar viel neu angeschafft“. Nach 1790 wurde nicht mehr so viel im Dach abgelegt: „Es liegt die Vermutung nahe, dass dann viele Schriften doch ihren Platz auf dem zu der Zeit eingerichteten Friedhof fanden“ – ähnlich wie in Würzburg.

Die Schriftstücke, teils gut erhalten, teils nur wenige Quadratzentimeter groß, werden in eine Datenbank eingepflegt, um Wissenschaftlern weltweit ebenso wie Interessierten die Möglichkeit zu geben, in dem Archiv zu suchen, „ohne selbst vor Ort kommen zu müssen“, sagt Singer. Ausgewählte Funde – das älteste Stück stammt aus dem 16. Jahrhundert, das Jüngste von Anfang des 20. Jahrhunderts – sollen auch im künftigen Museum ausgestellt werden, das die jüdische Gemeinde in etwa zwei Jahren im jetzigen Iwalewa-Haus einrichten wird. „Das wird der nächste Schritt sein: Ich werde ein Rahmenkonzept für das Museum schreiben und ein Feinkonzept für zwei Räume erstellen“, sagt Singer.

Foto: Waha

Autor

Bilder