Behle: "Bin ein Hamburger Jung"

von Michael Weiser

Daniel war ist der David der „Meistersinger“ 2017 in der Inszenierung von Barrie Kosky, ergreift aber nicht nur deswegen gerne gegen Goliath Partei. Wir sprachen mit dem vielseitigen Tenor über die Liebe zu Hamburg, über weiße Stimmen und Bruch-Deutsch in Kurzmitteilungen.

 
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Wir sind erstaunt, der David singt auch Operette und Shantys. Ich rede von der CD „Mein Hamburg“.

Daniel Behle: Ich habe drei Jahre lang daran herumkomponiert und -arrangiert. Ich hatte ja Komposition studiert, bevor ich Gesang angefangen habe, und das war für mich ein Hamburger Herzensprojekt. Da sind ein paar Shantys dabei, die ich umgearbeitet und für Klavier und Tenor arrangiert habe, und viele Sachen aus Oper und Operette, ich habe auch etwas über mein Steinway-Klavier dazukomponiert, von den

Jemanden, der Hamburg eine solche Hommage schenkt, muss man schon fragen: Eher HSV oder St. Pauli?

Behle: Ich bin eher der David-Fan. Ich singe den David in den „Meistersingern“, und ich halte es also wie David gegen Goliath. Daher...

... natürlich St. Pauli.

Behle: Ein Lied auf der CD ist sogar St. Pauli gewidmet. Die erste Textzeile, die mir einfiel, lautete: „Wir spielen seit Jahren in jeder Liga und bleiben der moralische Sieger.“ Ich finde es spannender, wenn Unterdogs etwas reißen, als wenn der FC Bayern mit seinen Millionen wieder die Größten kauft.

"Was sich der Norden doch an Kultur leistet"

Jetzt aber! Das sind Gerüchte.

Behle: Wie, Gerüchte?

Die anderen geben genauso viel

Behle: Ne, St. Pauli nicht, die haben gar nicht die Kohle.

Tatsächlich also ein großer Fan, kein Zweifel.

Behle: Ich bin ja ein Hamburger Jung. Ich habe 26 Jahre dort gelebt, bis ich in die Schweiz gezogen bin. Meine Frau ist Schweizerin, ich wohne auch dort und nun habe ich, ja, nicht unbedingt Heimweh, aber ich nutze es natürlich gerne, wenn sich da ein großes Projekt wie kürzlich mit dem NDR anbietet. Da habe ich den Loge im „Rheingold“ gesungen, in der Elbphilharmonie. Eine Wahnsinnshalle. Und das auch noch neben Spielstätten wie Staatsoper und Laeisz-Halle – es ist schon großartig, was sich der Norden für ein Kulturzentrum leistet.

Und, wie fühlt sie sich für den Sänger an, die Wunderhalle?

Behle: Wenn man darin singt? Es gibt diese akustische Debatte, diese Diskussion gibt es aber in allen Rundhäusern. Wenn du hinter den Hörnern oder hinter den Pauken sitzt, kann es nicht genauso toll klingen wie in Block S (gegenüber der Vorderseite der Bühne, ganz hinten im Großen Haus, Anm. der Red.), der ja nicht der teuerste Block, aber doch der mit der besten Akustik sein soll. Bei bestimmten Liederabenden ist es für uns Sänger schon schwierig, weil wir nur in eine Richtung abstrahlen, da ist es sicherlich nicht auf allen Plätzen ideal. Direkt an der Wand hast du Reflexionen, die den Klang der Stimme verstärken. Wenn die fehlen, ist es so, als wenn ich in den Wald reinsinge. Das ist bei einem Bühnenbild oder in einem Konzerthaus mit Sandwich-Aufbau wie der Laeisz-Halle besser, weil wir da mehr Resonanzboden haben und mehr Strahl und Breite in die Stimme kriegen. Für Sänger ist das sichtlich eine schwierige akustische Situation. Aber als ausführender Künstler kann ich sagen, dass wir selbst uns in der Akustik dort sauwohl gefühlt haben. Von den Zuschauern hört man dann teilweise was anderes. Was das betrifft, muss man dann im Saal vielleicht noch nachbessern.

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Dass Ihre Stimme trägt, kann man wohl sagen. Wer Hans-Albers-Sprechgesang auf Ihrer CD erwartet hatte, wird angenehm enttäuscht.

Behle: Man muss sagen, wir haben ja auch schon Konzerte mit dem Programm gemacht, ich erzähle Geschichten, die Leute werden dann ganz wehmütig, auch wenn sie gar keine Hamburger sind (lacht). Da ist Tragfähigkeit wichtig. Auf der CD spielt sie aber keine Rolle, da kommt es nur auf die Farbe der Stimme an. Wenn sie „Rheingold“ als Radiomitschnitt hören, klingen alle Sänger gleich laut. Je nachdem, wie die Stimme gefärbt, ob sie weich ist oder rund, ob sie weiß ist oder süffig – das macht den Klang aus.

Ich höre Sommeliers-Deutsch. Was ist denn eine „weiße Stimme“?

Behle: Also, eine weiße Stimme ist eine Stimme, die, hm, eher schlank geführt ist und wenig Körper hat. Es gibt Stimmen, etwa im Spieltenorfach, die haben eine große Tragfähigkeit. Der Mime wird oft so besetzt. Das sind wahnsinnig strahlkräftige Stimmen, fast trompetenartig, und die werden sehr gerne im Wagnerfach genommen. Stimmen wie zum Beispiel Michael Volle haben dagegen ein sehr gereiftes baritonales Buquet, das etwas weicher, vintage-mäßiger klingt. Da gibt es auch nationale Präferenzen. Also, die Franzosen zum Beispiel, die lieben das Klare, den Counterklang, das klare, unvibratöse Singen. Die Deutschen lieben es etwas voller. Das ist das Tolle, jede Stimme ist anders, jeder klingt eigen, jeder hat aber auch einen anderen Geschmack. Da muss jeder seinen eigenen Weg finden. Meine Konkurrenz als Loge ist in der Vergangenheit sehr oft über den Spieltenor gekommen, der sehr viel über Schreien und Sprache diese Rolle gefüllt hat. Ich habe das auch ausprobiert, aber ich habe halt eine lyrische Stimme, und wenn ich dann einige Phrasen linienmäßig singe und die anderen schreie und zerhacke, dann passt das nicht zusammen. Ich muss halt selber zusehen, wie das am besten passt. So ist das auch beim David – du musst deinen eigenen Weg finden, Kopieren funktioniert nicht.

Heute gibt es Youtube, man kann sich alles Mögliche anhören und mit anderen Versionen vergleichen. Ich würde annehmen, dass das zu einer Vereinheitlichung der Hörgewohnheiten führt.

Behle: Vieles, was du auf Youtube findest, ist bearbeitetes Material oder Live-Mitschnitte in oft minderer Qualität. Ich finde es fragwürdig, eine Stimme nach einem Youtube-Video zu bewerten. Die Mischung ist manchmal auch nur über Headset, was eine Stimme stark verändert. Es gibt Sänger, die klingen live viel besser als bei einer Aufnahme und umgekehrt. Es gibt halt CD- und Livestimmen. Aber viele machen es sich heute viel zu leicht. Man hört eine Aufnahme und denkt dann zu wissen, wie es geht. Und es wird einmal für drei Minuten reingehört und man sagt: Ne, Oper ist nix für mich.

"Es wurde manchmal mühsam gesungen"

Meistens aber nimmt man die erste Aufnahme, in der einem ein Stück gefallen hat, bewusst oder unbewusst als Maßstab.

Behle: Das ist der große Faktor der Nostalgie. Grundsätzlich haben alle toten Sänger einen Vorteil gegenüber den lebenden Sängern.

Und zwar?

Behle: Ja, eben diesen nostalgischen Faktor. Zum Schluss hin hat man Pavarotti nur noch kritisiert, aber jetzt hört man sich seine frühen Aufnahmen an und schwärmt, wie sensationell das doch alles war. Wenn man sich als Profi alte Aufnahmen anhört, merkt man schon, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Es wurde manchmal mühsam gesungen, um höflich zu bleiben. Heute gibt es eine viel höhere Qualität. Und wenn die Leute sagen, es ist nicht mehr das, was es mal war, dann glaube ich das nicht so ohne weiteres. Natürlich gibt es auch heute schlechte Sachen, aber die gab es damals auch schon. Es gibt heute aber auch sensationelle Sachen, die gab es so damals noch nicht. Früher wurden halt auch nur drei Leute hochgejubelt. Heute ist die Konkurrenz größer.

Auch bei Orchestern denkt man sich oft, dass das Niveau heute oft höher ist als vor 20, 30 Jahren.

Behle: Wenn ich hier einen David singe, habe ich beim Vorsingen viele fantastische Sänger ausgestochen. Natürlich kommt es auch noch darauf an, wer überhaupt eingeladen wird, ob man bei einer schlechten Aufführung gehört worden ist und so weiter. Man braucht beim Vorsingen jemanden, der einem mit gutem Willen entgegenkommt und zuhört. Denn ein Vorsingen ist nie so gut wie eine Live-Vorstellung. Leute, die supergut vorsingen können, sind nicht zwangsläufig die Besseren in der Vorstellung.

"Bayreuth - eine Riesen-Ehre"

Wie wichtig ist Bayreuth?

Behle: Es ist eine Riesen-Ehre, wenn man in Bayreuth singen kann. Wagner ist schwer, man muss den Text gut rüberbringen, die Phrasierung, man hat einen Riesenrucksack an Verantwortung gegenüber dem Repertoire. Ich bin auch noch Fan der deutschen Sprache. Wenn ich meine Liedplatten mache, dann geht vieles über die Sprache, die gute Aussprache, das Zu-Ende-Sprechen eines Satzes in der richtigen Betonung. Ich achte auch bei SMS immer darauf, dass die Sätze anständig geschrieben sind und nicht in Bruch-Deutsch zerfallen. Ein Text mit Stabreimen entwickelt eine Schönheit, die, und das habe ich auch beim Loge gemerkt, sich nur dann entfaltet, wenn du begreifst, wie die Spache funktioniert. Das Deutsche ist keine harte Sprache. Es wird zwar immer behauptet, das Italienische sei viel besser zu singen als das Deutsche. Aber wenn man zum Beispiel Wunderlich zuhört – dann merkt man, dass Deutsch nicht hart ist. Wunderlich hat die Melodie in der Sprache erkannt. Und das erleichtert der Wagner durch seine Stabreime.

INFO: Daniel Behle hat zusammen mit dem Schnyder-Trio eine CD mit dem Titel „Mein Hamburg“ herausgebracht, 11,99 Euro.