Kann man ein Wiegenlied überzeugender interpretieren, als mit geschlossenen Augen? Cyprien Katsaris jedenfalls verstand es, bei Frédéric Chopins „Berceuse“ in Des-Dur gleichsam „blind“ über die Tasten des E-272 zu wandeln – selbstredend mit traumwandlerischer Sicherheit. Auch im scheinbaren Zustand des Schlummerns verlor der französisch-zypriotische Komponist nie die Kontrolle über sein Spiel und ließ sich vom schwankenden Rhythmus der Bassfigur tragen.

Wer Katsaris bei seinem Konzert beim 6. Bayreuther Klavierfestival im Markgräflichen Opernhaus fest ins Visier nahm, konnte immer wieder beobachten, wie der Pianist mit einer kleinen Geste oder einer besonderen Körperhaltung einen individuellen Kommentar zur Musik beisteuerte – mal in Form einer Verbeugung, mal durch tiefes Atmen. Vieles an seinem Klavierspiel ist bewundernswert: die Leichtigkeit, mit der er auch virtuose Passagen aus dem Ärmel schüttelt, das Gespür, große Bögen zu gestalten und der Musik Raum zum Nachwirken zu geben. Bei den Valses von Chopin etwa oder bei der Arabeske von Robert Schumann war dies zu erleben. Spielerische Leichtigkeit zelebrierte Katsaris vor allem im ersten Teil seines Programms, in dem Musik der Familie Mozart aus drei Generationen erklang. Der Bogen spannte sich von Leopold über Wolfgang Amadeus zu Franz Xaver Mozart. Durch die kluge Programmgestaltung wurde jedoch klar, dass Franz Xaver keineswegs am Ende einer Entwicklung steht. Vielmehr bildet er eine Art Scharnier, das in die Romantik hinüberweist. Auf verblüffende Weise klang die Musik von Franz Xaver Mozart immer wieder ein bisschen wie Chopin.

Seine streitbarste Interpretation bot Katsaris wohl mit dem Präludium h-Moll von Johann Sebastian Bach. Darf Bachs Musik derart romantisch klingen? Sie darf.

Am Ende des Programms stand Bachs berühmte Toccata und Fuge in d-Moll für Orgel, die der Pianist in einer eigenen Bearbeitung spielte. Wie gemeißelt donnerte das Anfangsmotiv durchs Markgräfliche Opernhaus. Die Fuge begann Katsaris sehr dezent, beinahe „spieldosenhaft“. Doch im Verlauf des Stücks weitete sich der Klang, der Zugriff des Pianisten gewann zunehmend an Dramatik. Und am Ende demonstrierte er eindrucksvoll, welche Klangmacht in dem Konzertflügel aus dem Hause Steingraeber steckt.

Es scheint, als seien Cyprien Katsaris und der E-272 der Bayreuther Klaviermanufaktur wie füreinander geschaffen. Begeisterter Beifall und drei Zugaben.