Auch Angela Merkel kam zur Trauerfeier für Wolfgang Wagner ins Festspielhaus – Thiery: Ein „Jahrhundertmensch“ Ein bewegender Abschied

Gert-Dieter Meier

Feste, bei denen er selbst im Mittelpunkt stand, hat er nie gemocht. Und auch der Gedanke an eine Trauerfeier mit mehr als 1000 Gästen im Festspielhaus und einigen Hundert davor, wäre ihm zu Lebzeiten wohl ein Gräuel gewesen.

 
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Doch diese knapp zweistündige Feierstunde hätte ihm vermutlich gefallen. Denn der letzte öffentliche Abschied von Wolfgang Wagner gestern im Festspielhaus war eine würdige Feier für eine außergewöhnliche Künstlerpersönlichkeit. Ohne viel Pathos. Dafür mit wohl gesetzten Worten und großer Musik.

Hier gehts zum VideoDie Bühne des Festspielhauses – seine Bühne – war in dunkles Licht getaucht. Rechts und links gelbe Rosen, dazu Chor und Orchester der Festspiele, ein Rednerpult. Und auf dem Vorhang der Hinterbühne die Projektion eines übergroßen Porträtfotos, das Wolfgang Wagner zeigt, wie man ihn so oft erleben konnte – mit einem Lächeln auf den Lippen.Mehr als 1000 GästeMehr als 1000 geladene Gäste im Haus und einige Hundert, die der Tonübertragung vor dem Königsportal lauschten, sollen es gewesen sein, die dem „begnadeten Festspielleiter und Intendanten“ (Horst Seehofer) die letzte Ehre erwiesen. Etwa 50 Fotografen, Kameraleute und schreibende Journalisten erwarteten die Teilnehmer vor dem Festspielhaus. Kurz vor 16 Uhr nahm Angela Merkel – sie kam, aus alter Verbundenheit zu Wolfgang Wagner und den Festspielen, privat nach Bayreuth – in der ersten Reihe Platz, kurz nach 16 Uhr trafen Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner, die beiden Töchter des Verstorbenen, im Zuschauerraum ein.Bayreuths Oberbürgermeister Dr. Michael Hohl würdigte die epochale Lebensleistung des Bayreuther Ehrenbürgers Wolfgang Wagner. Er habe, gemeinsam mit seinem Bruder Wieland, eine unglaubliche Wiederaufbauleistung vollbracht, indem er aus den stark belasteten Festspielen eine international anerkannte Kulturinstitution gemacht und den Mythos Neu-Bayreuth geschaffen habe. Zu seinen künstlerischen Verdiensten zählte Hohl Wagners Entschlossenheit, schon früh auch externe Regisseure und Bühnenbildner einzuladen. Wagners eigene Inszenierungen sind für Hohl „unsterbliche Zeugnisse seiner überragenden Lebensleistung“. Ja, Wagner habe den Festspielen zu Weltgeltung verholfen.Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer nannte Wagner einen „außergewöhnlichen Menschen“ und „großen Theatermann“. Mit dem Tod Wolfgang Wagners verliere die Welt „eine der facettenreichsten und eindrucksvollsten Persönlichkeiten“. Wagner habe mit dem Geschick eines Handwerkers, der Weitsicht eines Kaufmannes und der Leidenschaft eines Künstlers das Werk seines Großvaters erhalten und gepflegt – und als „letzte Theaterinstanz Musikgeschichte geschrieben“. Der Tod, sagte Seehofer, „hat uns den Menschen Wolfgang Wagner genommen, doch sein Lebenswerk Bayreuth wird weiterleben.“ Danach verbeugte sich der Ministerpräsident vor dem Bild des am 21. März verstorbenen Festspielleiters.

Der Dirigent Christian Thielemann drückte offen seine Bewunderung für den Verstorbenen aus: „Keiner kannte das Haus und das Werk Richard Wagners wie er. Und niemand hatte auch nur ansatzweise ein so untrügliches Gespür für die Struktur seiner Musik.“ Thielemann: „Wer ihm zuhörte, erfuhr mehr über Wagners Musik als durch ausgeprägte Studien“.Die persönlichste Rede hielt Professor Joachim Thiery, Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig, den Wagner vor 35 Jahren kennengelernt und zu Lebzeiten selbst als Trauerredner bestimmt hatte. Thiery hatte, wie es in einer Mitteilung der Festspiele heißt, im Herbst 2008 gemeinsam mit den Bayreuther Hausärzten die Behandlung von Wolfgang Wagner übernommen.Die Übernahme des Bayreuther Erbes aus der direkten Erfahrung der unmenschlichsten Geschehnisse der jüngeren deutschen Geschichte nannte Thiery „die größte Herausforderung, der Wolfgang Wagner sich gestellt hat“. Er habe unter Hintanstellung aller persönlichen Interessen konsequent an seinem Lebensziel gearbeitet: „Die Versöhnung, die Internationalisierung und die weltweite künstlerische Akzeptanz der Festspiele und der Werke seines Großvaters.“ Thiery weiter: „Fürsorge und Führung der Festspiele, dies gehörte für Wolfgang Wagner immer untrennbar zusammen. Die Sicht eines Jahrhundertmenschen, einer, der seine Wurzeln noch in der Zeit seiner berühmten Großeltern suchte, aber mit seinem erstaunlich klaren Weitblick bereits tief in das 21. Jahrhundert schaute. Er war damit alles andere als ein ,Gralshüter‘, sondern dessen Gegenteil: er suchte geradezu die kritische Auseinandersetzung mit dem Werk seines Großvaters in der Gegenwart und weit darüber hinaus.“Der Traum vom WeinbergThiery gab auch Einblicke, wovon Wolfgang Wagner, den er als „Jahrhundertmensch“ bezeichnete, nach seinem Rückblick träumte: „Puccini lag ihm sehr am Herzen, ja, das ,Mädchen aus dem Goldenen Westen‘ hätte er gerne direkt einmal in den ,Red Rocks‘ in den Vereinigten Staaten inszeniert. Und es gab dazu konkrete Pläne. Aber auch ein eigener Weinberg, auf einer Insel, in Griechenland vielleicht, das war schon so ein Traum“ – der freilich an Wagners Gesundheitszustand scheiterte.Schließlich zollte Thiery vor der versammelten Trauergemeinde noch Wagners jüngster Tochter Katharina große Anerkennung: „Ich habe als Arzt noch nie jemanden erlebt, der sich mit solcher Hingabe und persönlicher Aufopferung bis zur völligen Erschöpfung rund um die Uhr, über so viele Monate um die Pflege des schwerstkranken Vaters gekümmert hat, wie dies Katharina Wagner tat.“ Umrahmt wurde die Trauerfeier von Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele unter der Leitung von Christian Thielemann. Das Orchester spielte – mitreißend schön – das Vorspiel zu „Lohengrin“, Siegfrieds Rheinfahrt aus der „Götterdämmerung“ und das Vorspiel zu den „Meistersingern von Nürnberg“ (mit Choral).Mit Chorleiter Eberhard Friedrich führte der Chor zudem die Motette „Denn er hat seinen Engeln befohlen“ (Psalm 91) von Felix Mendelssohn Bartholdy auf.