Alzheimer-Stammtisch: Hilfe für Angehörige

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Organisieren das monatliche Treffen: Susanne Hain (Vorsitzende. links) und Ilona Hessner (Schriftführerin). Foto: Ute Eschenbacher Foto: red

Wenn der Partner oder die Eltern an Demenz erkranken, stellt dies den Alltag vieler Familien auf den Kopf. In Kulmbach treffen sich seit Anfang des Jahres einmal im Monat Angehörige zu einem Alzheimer-Stammtisch. Um sich gegenseitig aufzumuntern und mit Ratschlägen zu unterstützen.

 
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Sie stellt die Kaffee-Maschine ohne Wasser an. Immer wieder. Legt Lebensmittel in den Kleiderschrank statt in den Kühlschrank. Beschuldigt ihre Tochter, etwas weggenommen zu haben. Mittlerweile lebt Ilona Hessners Mutter in einem Pflegeheim. Der Vater litt ebenfalls an Alzheimer. "Er war aber in seiner Krankheit noch berechenbar", sagt sie. Die Mutter war das zuletzt nicht mehr. Sie klingelte zum Beispiel um 2 Uhr nachts an der Haustür des Nachbarn. Der solle doch bitte ihrer Tochter ausrichten, sie müsse nun zur Arbeit fahren.

Verfall ist nicht aufzuhalten

Verwechseln, ob Tag oder Nacht ist. Dinge von einem Moment auf den anderen vergessen. Probleme haben, die passenden Worte zu finden: Das alles gehört zum Krankheitsbild der Demenz. Doch jeder Demenzkranke ist anders. Aber alle Erkrankten teilen das gleiche Schicksal: Die Krankheit ist nicht aufzuhalten und schreitet unaufhaltsam fort.

Ilona Hessner sperrte das Bügeleisen weg, damit ihre Mutter nichts anstellt. Sie nahm aus dem Herd die Sicherungen raus. Und am Ende traute sie sich kaum mehr aus dem Haus. 2007 brachte sie ihre Mutter schließlich im Thurnauer Seniorenheim unter: "Ich konnte einfach nicht mehr." Anfangs wollte die alte Dame immer wieder weglaufen. "Mittlerweile strahlt sie eine innere Ruhe aus", sagt Ilona Hessner über die 93-Jährige.

Wissen über Alzheimer gering

Früher wurde Demenz von den Kassen nicht als Krankheit anerkannt. Das hat sich inzwischen geändert, sagt Susanne Hain, die Leiterin des Treffpunkts. "Rudi Assauer hat viel dazu beigetragen, dass Alzheimer als Krankheit überhaupt publik wurde." Die Angehörigen wüssten aber oft zu wenig darüber. Durch einen Kurs, der über die Krankheit aufklärte, habe sich die Gruppe gebildet. Danach beschloss man, sich einmal im Monat wiederzutreffen. "Wir wollen uns gegenseitig stützen und austauschen und möglichst viel über die Erkrankung lernen", sagt Susanne Hain, deren inzwischen verstorbene Mutter ebenso dement war. "So können wir unsere Probleme und Sorgen miteinander teilen. Denn aus Erfahrungen lernt man einfach mehr als aus Büchern."

Die Alzheimer-Krankheit ist laut der Initiative Alzheimer Forschung die häufigste Form der Demenz. Unter dem Begriff Demenz werden rund 50 Krankheiten zusammengefasst, die mit dem Abbau der Gehirnleistung zusammenhängen. Bei allen Demenz-Erkrankungen lassen die geistigen Fähigkeiten nach. So verschlechtern sich zum Beispiel das Gedächtnis, die Denkfähigkeit, die Sprache und die Motorik. Auch das soziale Verhalten im Umgang mit anderen kann sich ändern: Die Betroffenen werden zum Beispiel unruhig, aggressiv oder depressiv.

Respekt vor Pflegenden

Sabine Streng, Krankenschwester und Pflegeberaterin bei der Arbeiterwohlfahrt, informiert Pflegende über ihre Rechte. "Pflegende sollten wissen, was ihnen zusteht", sagt sie. Menschen, die sich zu Hause um ihre Angehörigen kümmerten, verdienten größten Respekt. Fälle, in denen Kranke in ihren eigenen Ausscheidungen liegen oder im Keller eingesperrt werden, habe sie leider im ländlichen Raum schon erlebt. "Das ist zum Glück sehr selten, aber es kommt vor." Dabei könne sich jeder kostenlos daheim vom Pflegedienst die wichtigsten Griffe zeigen lassen.

In Deutschland sind Sabine Streng zufolge rund 2,4 Millionen Menschen pflegebedürftig. 1,5 Millionen Menschen litten an Demenz-Krankheiten, die Zahl der Patienten steige jährlich um 40.000 an. "Seit dem Pflegestärkungsgesetz II haben wir Pflegegrade statt Pflegestufen", erklärt sie den Angehörigen beim Alzheimer-Stammtisch. "Und wir haben keine Pflege nach Minuten mehr, sondern die Einteilung richtet sich der Selbstständigkeit der Patienten. Der Mensch wird jetzt viel ganzheitlicher gesehen."

Notfalls Widerspruch einlegen

Für Alzheimer-Kranke, psychisch Kranke und geistig Behinderte sei die Einstufung deutlich verbessert worden. Sie rät den pflegenden Angehörigen, ein Pflegetagebuch zu führen und dies dem Leistungsantrag bei der Pflegekasse beizulegen. Wer nicht mit dem Ergebnis zufrieden sei, solle nicht gleich klein beigeben. "Sie können zum Beispiel Widerspruch über den VdK einlegen." Denn viele Pflegende machten die Erfahrung, dass das erste Pflegegeld nicht reicht.

Dabei sind sie oft schon erleichtert, wenn sie den Patienten in eine Tagespflegeeinrichtung oder nach einer Operation in eine Sozialstation geben könnten. Das verschafft den Familienangehörigen wenigstens eine Verschnaufpause. "Einmal einen Kaffee trinken und an sich selbst denken", wünscht sich eine Frau aus der Runde. "Einfach mal wieder Luft holen", möchte eine andere.

Helle und dunkle Tage

Susanne Hain ist inzwischen ehrenamtliche Demenzhelferin. Die frühere Arzthelferin sagt, es vergehe kein Tag, an dem sie nicht wieder etwas über die Krankheit dazulerne. Den Antrieb dazu gab ihr die eigene Mutter. "Ich wollte so natürlich wie möglich mit meiner Mutter umgehen und ich wollte sie einfach besser verstehen", sagt Susanne Hain. "Je mehr ich darüber weiß, desto besser kann ich damit umgehen." Die Mutter habe manchmal helle Tage gehabt und dann folgten dunkle, an denen sie alles vergessen habe. Die Unterhaltung sei teilweise nur noch in einer Phantasiesprache möglich gewesen. "Wir haben dann beide herzhaft darüber gelacht." Auch Ilona Hessner ist nicht sicher, wieweit sie noch zu ihrer Mutter durchdringt, ob sie die Tochter noch erkennt. "Vielleicht", sagt sie, "vermittelt ihr wenigstens meine Stimme ein vertrautes Gefühl."


Info: Eine Gruppe von Menschen, die beruflich oder im Familienkreis mit Demenzkranken zu tun hatten, gründeten am 12. Dezember 2006 die Alzheimer Gesellschaft Bayreuth-Kulmbach. Angehörige werden mit Beratung, Weiterbildung und regelmäßigen Stammtischen in Bayreuth, Kulmbach und Pegnitz unterstützt. Seit Oktober 2017 ist der Verein über das Beratungstelefon 0170 / 696 58 86 jederzeit erreichbar. Die Gesellschaft ist Mitglied der Deutschen Alzheimer Gesellschaft mit Sitz in Berlin.

Die nächsten Stammtisch-Termine:

Bayreuth, Bürgerbegegnungsstätte, Am Sendelbach 1-3: 5. März und 19. März, 19.30 – 21.00 Uhr;

Kulmbach, Mehrgenerationenhaus, Negeleinstr. 5: 28. März, 14.30 – 15.30 Uhr;

Pegnitz, ASB-Heim, Brauhausgasse 6a: 14. März, 18.30 Uhr

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