Aggressive Krebserkrankung Sie kämpfen jeden Tag weiter

Lucas Hähnlein (16) hat eine aggressive Krebserkrankung. Bei der Diagnose vor sieben Jahren gaben ihm die Ärzte noch zwölf Monate. Aber die Familie kämpft weiter.

 
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Lucas und seine Mama Melanie Hähnlein kämpfen jeden Tag weiter. Foto: fe/Frauke Engelbrecht

Pegnitz - Lucas Hähnlein hat für seine Eltern und Schwester Kim jeweils ein Kraftarmband geflochten. Er selber trägt auch eines. Denn Kraft brauchen sie alle dringend. Lucas hat das Mismatch-repair-cancer-Syndrom und T-Lymphon, eine aggressive Krebsart. Kurz vor seinem zehnten Geburtstag hat er die Diagnose bekommen. Ein Jahr haben ihm die Ärzte damals gegeben, nun wird er Ende Februar 17 Jahre. „Weiterkämpfen und nach vorne schauen, nicht aufgeben“, sagt seine Mama Melanie (46).

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Zwei leuchtende Punkte im Kopf

Die Worte und das Verhalten der Mutter sind bewundernswert. Sie hat das alles schon mal erlebt. 2003 ist ihr ältester Sohn Nico bereits an Krebs gestorben. Er musste sich zwei Jahre quälen, lag die letzten Wochen im Koma. Tochter Kim (21) hat das alles als Dreijährige mitbekommen. Und als dann auch bei Lucas Krebs diagnostiziert wurde, ist sie fast zusammengebrochen, sagt Melanie Hähnlein. „Ich habe zwei leuchtende Punkte im Kopf“, hatte ihr Lucas damals mitgeteilt. Er selber hatte die Diagnose noch gar nicht richtig begriffen.

Tumore am Dickdarm

Angefangen hatte es alles mit Bauchschmerzen und Verstopfung, erzählen Lucas und seine Mutter. „Die Abführung war sehr schmerzhaft“, erinnert sich Lucas zurück. Dann wurde ein MRT gemacht und am Dickdarm Tumore festgestellt. Operabel, hieß es damals im Klinikum Bayreuth, nicht operabel, dagegen im Klinikum in Würzburg. Hier ist Lucas seitdem für alle weiteren Behandlungen, die folgten und noch kommen werden. Und es wurden noch mehr Tumore gefunden, im Kopf, am Herz, in der Lunge, intramuskulär am Oberschenkel, an der Niere. Lucas weiß gar nicht, wie viele Tumore er hat, will es gar nicht wissen, es ist halt so. Diese Tumore werden regelmäßig kontrolliert, sagt Melanie Hähnlein, ob sie weiterwachsen, sich vermehren.

Es geht alles wieder von vorne los

„Ich dachte, ich bin im falschen Film, als wir die Diagnose erfahren haben“, sagt sie, „ich hatte schon lange gebraucht, um den Tod von Nico zu verarbeiten.“ Seine Krebsdiagnose haben sie damals nach einem Urlaub in Bulgarien erfahren. Deshalb wollten sie später mit Lucas noch mal dort hin, als Beweis, dass es auch ohne schreckliche Nachrichten funktioniert. Doch dann wurde auch bei ihm Krebs diagnostiziert. „Jetzt geht das alles wieder von vorne los“, erschraken seine Eltern.

Dickdarm wurde entfernt

Die nächsten Jahre waren hart und es ist jetzt immer noch schwer. Die Hirntumore konnten zum Teil wegoperiert werden. „Beim achten Tumor, der gefunden wurde, habe ich aufgehört zu zählen“, sagt Melanie Hähnlein. Der Dickdarm wurde entfernt. Dabei wurden 56 Tumore in dem Bereich gefunden, die von harmlos bis bösartig gingen. Einen künstlichen Darmausgang hat er nicht. „Das wurde so operiert, dass das zur Toilette gehen immer noch funktioniert“, sagt die Mutter. Er muss aber aufpassen, was er isst. Bei Obst zum Beispiel kann das hinterher wehtun.

Hitzewallungen von den Chemos

Lucas hat mehrere Chemotherapien bekommen gegen den Herztumor. Der hatte schon die Leistungsfähigkeit des Herzens massiv beeinflusst. „Von den Chemotherapien hatte ich Hitzewallungen“, erzählt Lucas. Die Kühlakkus, die er zur Erleichterung bekam, waren sofort aufgetaut. Jetzt bekommt er eine Immuntherapie, muss dafür alle drei Wochen ins Krankenhaus, bekommt über zwei Stunden eine Infusion. Die Nebenwirkungen sind heftig, urplötzlich fängt Lucas das Zittern an, bekommt Durchfall, ist hinterher völlig erschöpft. Die Immuntherapie soll das Wachstum und Vermehren der Tumore verlangsamen. Heilbar ist es nicht.

20 Kilo abgenommen

Jeden Montag fährt Melanie Hähnlein mit Lucas zur Blutkontrolle. Nächste Woche steht wieder ein längerer Klinikaufenthalt an. Es wird ein MRT und eine Darmspiegelung gemacht. „Die Blutwerte sind wichtig für die Immuntherapie“, sagt Melanie Hähnlein, „wenn sie nicht passen, geht die nicht.“ Lucas nimmt durch die Behandlung massiv ab, 20 Kilo hat er in den vergangenen zwei Monaten verloren. Er zeigt seine Jeans, die Weihnachten noch perfekt gepasst hat, jetzt rutscht sie ihm runter. Das frustriert ihn total, denn sie wissen nicht, wo der Gewichtsverlust genau herkommt.

Von Tag zu Tag leben

Sie versuche, nicht so viel über alles nachzudenken, sagt Melanie Hähnlein. „Als Mama muss man das aushalten“, ist sie überzeugt. Auch wenn es oft nicht einfach ist, wenn es Lucas schlecht geht, er Schmerzen hat. „Dann grübelt man schon und es tut weh“, sagt sie. Sie können und wollen nichts planen, leben von Tag zu Tag und wissen am Morgen nicht, wie es am Abend sein wird. Und Corona hat es noch mal schwieriger gemacht, denn Lucas darf sich auf keinen Fall anstecken. „Das wäre fatal.“ Impfen geht nach der Chemotherapie erst frühestens im Juli, aber so weit denken sie noch nicht. Auch in die Schule – Lucas besucht die neunte Klasse in der Dr.-Dittrich-Schule – geht er momentan nicht. Zu hoch ist das Risiko, sich zu infizieren. Sein Klassenlehrer bringt ihm Arbeitsblätter mit Aufgaben vorbei, gerade kämpft Lucas mit Geometrie und der Kreisberechnung. Manchmal ist er online beim Unterricht dabei, je nachdem, wie es ihm gerade geht. Mit seinen Klassenkameraden ist Lucas per Whatsapp oder über Online-Viedospiele in Kontakt. Raus geht die Familie selten. Wenn, dann zum Fossilien sammeln, das ist ihr gemeinsames Hobby.

Permanenter Stress

Das Familienleben leide schon unter der ganzen Situation, sagt Melanie Hähnlein, in der Ehe müssen sie und ihr Mann Danny viel zurückstecken. „Aber es hat uns auch zusammengeschweißt“, sagt sie. Dieses Jahr sind sie 25 Jahre verheiratet. „Wir versuchen, das Beste draus zu machen“, sagt sie. Ihr Ziel ist es, weiter zu kämpfen. Und wenn der Tag X dann doch irgendwann mal komme, wollen sie ihre Energie in die Enkelkinder stecken. „Kim will heuer heiraten und denkt an Kinder“, lächelt ihre Mutter. Aber der permanente Stress bleibt auch an der Mutter hängen, sie hat dauerhaftes Sodbrennen, die Speiseröhre ist entzündet.

Kochen ist seine Leidenschaft

Manchmal habe er auch Durchhänger, erzählt Lucas. „Ich würde so gerne Koch werden“, sagt er, Kochen ist seine große Leidenschaft. Wenigstens mal ein Praktikum, damit er sieht, wie es im Kochberuf ist. Aber das sei schwierig, etwas zu bekommen, denn es immer nicht vorherzusehen, wie lange er zeitlich durchhält, außerdem sitzt er ja im Rollstuhl. Manchmal kocht Lucas daheim, zum Beispiel Paella. Oder er macht gerne Windbeutel, das ist seins.

Schule unterstützt Spendenaktion

„Wir versuchen, den Alltag so normal wie möglich zu leben“, sagt Melanie Hähnlein, „aber viel voraus planen können wir nicht.“ Unterstützung bekommen sie jetzt von der Dr.-Dittrich-Schule. Diese beteiligt sich an einer Spendenaktion zugunsten der Elterninitiative leukämie- und tumorkranker Kinder Würzburg. Diese Elterninitiative finanziert unter anderem die Elternwohnungen, in denen die Mütter und Väter der kranken Kinder im Würzburger Klinikum untergebracht sind. Melanie Hähnlein kennt diese Initiative schon seit der Krankheit von Nico. Und die wollen sie nun unterstützen und etwas zurückgeben. „Für mich und andere zugute“, sagt Lucas. Sehr dankbar ist er da auch seiner Schwester Kim, die ihm bei der Erstellung des Spendenplakats geholfen hat.

Positive Ziele setzen

Hat er Angst? „Ja“, sagt Lucas. Wovor genau, kann er gar nicht sagen, es ist so ein Grundempfinden. Aber sie setzen sich positive Ziele. Und eines hat sich seine Mutter fest vorgenommen: Wenn bei Lucas mal der Tag X kommt, dann soll er daheim sein, in seiner vertrauten Umgebung. So, wie es bei Nico damals auch war. Er ist in den Armen seiner Mutter gestorben.