Milch: Natur schlägt Technik

Von Renate Allwicher

Über 800 Bauern, Politiker und Funktionäre treffen sich zurzeit in Berlin zum Deutschen Bauerntag. „In wichtigen Segmenten der Landwirtschaft hat sich die Situation deutlich verbessert“, sagt Bauernpräsident Joachim Rukwied im Vorfeld. Die Milchwirtschaft gehöre dazu. „Das stimmt“, sagt Hans Engelbrecht, seit fast 50 Jahren Milchbauer in Lankendorf und die letzten zwölf Jahre Aufsichtsratvorsitzender der Käserei Bayreuth. Der Preis dafür ist allerdings hoch.

 
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„Wir hatten vor zwei Jahren das größte Preistief gehabt, das es bei der Milch jemals gab“, sagt Engelbrecht. Als Reaktion darauf hätten viele Bauern ihre Kuhzahlen reduziert, andere ihre Hofstelle früher aufgegeben als eigentlich geplant. „Denn vom Draufzahlen kann man nicht leben.“

Dadurch seien etwa fünf Prozent weniger Milch produziert worden als im Jahr davor – ein Grund für die Erholung. Dass durch den extrem niedrigen Preis der Verbrauch und der Export gleichermaßen leicht angestiegen sind, sei der zweite Grund.

Dadurch sei der Milchpreis inzwischen immerhin wieder auf dem Niveau von vor 30 Jahren, sagt Engelbrecht.

„Alle zehn Jahre halbiert sich die Zahl der Milchviehbetriebe.“

Die Zahlen zum Strukturwandel in der Landwirtschaft sind seit Jahrzehnten eindeutig: Trotz kontinuierlich steigender Milchproduktion gehe die Zahl der milcherzeugenden Betriebe zurück, schreiben Wissenschaftler vom Institut für Strukturforschung und Planung  in agrarischen Intensivgebieten (ISPA) der Universität Vechta im Bericht „Die deutsche Milchviehhaltung im Strukturwandel“. Engelbrecht bringt es kürzer auf den Punkt: „Alle zehn Jahre halbiert sich die Zahl der Milchviehbetriebe.“

Aus 14 Kühen werden 90

Der Hof der Engelbrechts, seit mindestens 1876 von der Familie bewirtschaftet, ist ein gutes Beispiel für genau diesen Strukturwandel. In den 40er Jahren hatten die Engelbrechts 14 Kühe und ein paar Deckbullen der Zuchtgenossenschaft am Hof. Versorgt von etwa acht Leuten, darunter Magd und Knecht.

Die Zahl der Kühe stieg mit dem Stallausbau 1976 auf 40 und mit dem Stallneubau 2012 auf 90 Tiere. Versorgt von nur noch drei Personen. Dem Junior – Betriebsübergabe war vor etwa einem Jahr – und den beiden Altenteiler am Hof. Unterstützung bringt die Auszubildende und Erntehelfer der Familie.

„Wachstum ist immer nötig“

Als Engelbrecht sechs Jahre alt war, wurden die Kühe noch von Hand gemolken. Er erinnert sich gut an seine Begeisterung, als etwa 1960 die erste Melkmaschine auf den Hof kam. „Wachstum ist immer nötig“, sagt er heute dazu.

Wobei sich die Landwirtschaft in einem Dilemma befinde. Der Kostendruck mache immer größere Betriebe erforderlich, um die Festkosten zu erwirtschaften. Genau dies sorge aber wieder dafür, dass die Preise gedrückt werden. „Ein Teufelskreis, den ein einzelner nicht ändern kann“, sagt Engelbrecht, der nicht nur aus diesem Grund gut vernetzt ist.

„Frühe Verantwortung – das prägt“

Engelbrecht war 18, als er den Betrieb von seinem Vater übernahm, der mit 49 Jahren unerwartet starb. „Frühe Verantwortung – das prägt“, sagt Engelbrecht. Er musste schnell lernen, sich für Dinge einzusetzen und sich durchzusetzen. Von Anfang an auf jeder Versammlung der Milchbauern dabei, zeigte Einsatz, um einen guten Milchpreis zu erreichen. „Vielleicht hing das damit zusammen, dass ich später oft gewählt wurde“, sagt er. In zahlreiche Ehrenämter.

Den Aufsichtsratsvorsitz der Käserei Bayreuth gibt er nun zwar aus Altersgründen ab. Ebenso den stellvertretenden Kreisobmann des Bauernverbandes Bayreuth. Kreisvorsitzender des Arbeitskreises Landwirtschaft in der CSU und stellvertretender Vorsitzender des Rinderzuchtverbandes Oberfranken ist er nach wie vor.

Dokumentation frisst Zeit

„Klar war das zeitlich oft schwierig, aber wenn einem das im Blut liegt, macht man das und bringt die Zeit irgendwo her“, sagt Engelbrecht. Dass immer weniger der jungen Landwirte, sich dazu bereit erklären, macht ihm Sorge.

Andererseits kann er es auch verstehen: „Alle Vorgänge am Hof müssen dokumentiert werden. Wie jeder Besuch vom Tierarzt oder das Ausbringen von Düngemitteln- und Pflanzenschutz. Buchhaltung und die Dokumentation aller Vorgänge am Hof nimmt heute täglich eineinhalb bis zwei Stunden Zeit in Anspruch. Diese Zeit, die nimmst du eh schon vom Feierabend weg. Und dann soll man noch Ehrenämter machen?“

Landwirte werden sich gegen das Geldverdienen nicht wehren

„Der Strukturwandel geht immer schneller“, sagt Engelbrecht – und so manch eine damit verbundene Entwicklung bringe viele Sorgen. Sein Beispiel: Die Discounter verlangen Auskunft darüber, wie viele Tiere noch in Anbindehaltung leben und möchte keine Milchprodukte von solchen Kühen ankaufen.

Auf der anderen Seite wünschten sich die Leute das Idyll herkömmlicher Landwirtschaft mit Kühen auf der Weide. „Aber gerade in den bayerischen Gegenden, in denen die Kühe im Sommerhalbjahr auf der Weide sind, stehen sie im Winter in Anbindehaltung“, sagt Engelbrecht. Im Sommer produzieren sie also die begehrteste und am teuersten zu verkaufende Milch, im Winter ist ihre Milch vielleicht bald nicht mehr zu vermarkten. „Dann würden diese Bauern gezwungen, neue Winterställe zu bauen. Viele werden stattdessen wohl eher aufhören.“

Andere reagieren und produzieren zum Beispiel teure Heumilch. In diesem Fall dürfe an Weidekühe im Winter nur Heu verfüttert werden. Das verlange teure Heißluftanlagen und Lagerlogistik, denn das Gras auf der Wiese komplett zu trocknen, sei in den meisten Sommern nicht möglich. „Aber wenn es der Verbraucher kauft – die Landwirte sind die letzten, die sich dagegen wehren, Geld zu verdienen, wir richten uns auf Veränderungen ein“, sagt Engelbrecht. Wie gesagt: „Wachstum ist immer nötig.“

Horrorvorstellung Dänemark

Milchhöfe und Käsereien machen eine ähnliche Entwicklung durch: Auch die milchverarbeitenden Betriebe werden immer größer, die Produktpalette der einzelnen hingegen kleiner. Der Bayreuther Milchhof produzierte zu Zeiten von Engelbrechts Jugend viele Käsesorten, Butter, Milch, Joghurts und Sahne – „das war die Beste überhaupt“. 

Inzwischen gehört der Bayreuther Betrieb zu Bayernland und ist spezialisiert auf Mozzarella, Edamer und Hartschnittkäse. Marktbedienung und Technik seien sonst zu aufwändig, sagt Engelbrecht. Im europäischen Vergleich sei die Firma Bayernland aber immer noch klein. Entwicklungen wie in Dänemark, wo eine große Käserei (Arla) alle anderen aufgekauft hat, seien für ihn eine Horrorvorstellung: „Wir brauchen die Konkurrenz.“

Milch - zum Nutzen der nächsten Generation

Aufgeben kam für die Engelbrechts nie in Frage. Da gibt es zum einen die lange, stolze Familientradition. Zum anderen arbeitet er sein Leben lang für ein Produkt, das er richtig gut findet. „Für mich ist Milch das beste und gesündeste Nahrungsmittel“, sagt Engelbrecht. „Sie entsteht in der Kuh, in einem Muttertier, sie dient der nächsten Generation. Das ist Natur und Natur ist immer intelligenter als Technik“, sagt Engelbrecht. Bei ihm selbst kommt natürlich nur die Milch der eigenen Kühe auf den Tisch.

Urlaub? Das geht heute schlechter denn je

Die Arbeit hat sich im Laufe von Engelbrechts Arbeitsleben stark verändert. Auf der einen Seite ist sie einfacher geworden: „Es gibt wesentlich weniger schwere Handarbeit, die Technik mach vieles besser und einfacher.“

Auf der anderen Seite sei die Belastung heute wesentlich stärker als früher. Vor 40 Jahren hätte eine Fehlentscheidung zu einem kleinen Verlust geführt. „Heute kann eine falsche Entscheidung für einen Betrieb tödlich sein.“ Weil die Betriebe größer und die Investitionssummen noch größer seien. Pausen kaum möglich. „Früher, als noch acht Leute auf dem Hof arbeiteten, konnte schon mal jemand für ein paar Tage weg“, sagt Engelbrecht.

Heute, wenn auf seinem Hof die Hälfte der Leute für die sechsfache Zahl an Tieren zuständig ist, geht das kaum. „Ich war mal fünf Tage auf einer Fachtagung“, sagt Engelbrecht. Echten Urlaub kennt er nicht. Und auch am Wochenende wollen die Kühe gemolken und gefüttert werden.

Die Ausbildung zum Landwirt sei heute den Anforderungen entsprechend immer länger, technischer und umfangreicher, Fortbildungen sind regelmäßig nötig. „Der Beruf Landwirt ist aber mit der Natur und den Lebewesen eng verbunden. Man braucht die Begabung, die Natur zu verstehen“, sagt Engelbrecht. Beides ist gefragt. Dann können Landwirte „gemeinsam Zukunft gestalten“. So lautet das Motto des aktuellen Bauerntages.

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