Zum Schutz vor Mähmaschinen Wildtier-Rettung zu Fuß und aus der Luft

Alexander Schünzel
In einer Menschenkette werden die Felder Zentimeter für Zentimeter abgesucht; hier bei einem der vergangenen Einsätze. Foto: Kitzrettung Oberfranken

Demnächst startet für die Landwirte der Region die alljährliche Mahd. Das bedeutet auch den Arbeitsbeginn für die Helfer der „Kitzrettung Oberfranken“.

 
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Die Hauptsetzzeit, also die Zeit, in der Rehkitze geboren werden, ist laut bayerischem Jagdverband größtenteils im Mai und Juni. Oft fällt sie mit dem Beginn der Mäharbeiten zusammen. Dies bedeutet für viele Wildtiere den sicheren Tod. Der Verein der „Kitzrettung Oberfranken“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieser Gefahr entgegenzuwirken. Seit der Vereinsgründung durch die Vorsitzende Britta Engelhardt im Jahr 2017 verfolgen die Mitglieder ihr Ziel, hilflose Tiere vor einem qualvollen Ende durch die Mähmaschinen zu bewahren.

Verhängnisvoller Instinkt

Die Geiße legen ihre Jungen vor allem in hohem Gras ab und bleiben dann auf Distanz, um durch ihren Geruch keine Raubtiere anzulocken. Lediglich zum Säugen nähert sich die Mutter ihrem Kitz und führt es anschließend zu einem neuen Liegeplatz.

Zum Verhängnis werden kann den Kleinen jedoch ein ganz bestimmter Instinkt: der Drückinstinkt. Britta Engelhardt erklärt ihn: „Droht Gefahr, drücken sich die Kitze noch tiefer ins hohe Gras, um nicht von Feinden entdeckt zu werden. Mit bloßem Auge sind sie dann kaum noch zu erkennen.“ Diese Schutzmaßnahme gegen Raubtiere kostet sie während der Mahd oft das Leben, denn ein ausgeprägter Fluchtinstinkt entwickelt sich bei den Kitzen erst nach circa zwei Wochen. Nähern sich die Maschinen, bleiben die kleinen Bambis dann fatalerweise einfach regungslos im Gras liegen und fallen den scharfen Klingen der tonnenschweren Geräte zum Opfer.

Nützliches Hilfsmittel Drohne

Der Einsatz einer Drohne mit Wärmebildkamera erleichtert den Helfern das Aufspüren der Kitze. Um brauchbare Bilder von der Kamera zu erhalten, muss der Einsatz in den kalten frühen Morgenstunden stattfinden. Dann kann der Pilot aus der Vogelperspektive alle Wärmequellen im Feld ausfindig machen. So kann das Team die Kitze schnell und zielgenau finden und in Sicherheit bringen.

Die Verwendung der Drohne ist laut Engelhardt zwar teuer – die Kosten für ein vollständig ausgestattetes Such-Team belaufen sich auf circa 7500 Euro – doch es lohnt sich. Aktuell sind drei Drohnen im Einsatz, die komplett durch Spenden finanziert wurden. Es gibt auch noch Helferinnen und Helfer, die die Felder zu Fuß durchstreifen, allerdings können sie die Kitze leichter übersehen.

Suche zu Fuß

Neben dem größeren Zeitaufwand, die weitläufigen Felder der Bauern komplett abzusuchen, bedeutet das natürlich auch einen höheren Personalaufwand. Während Drohnen-Teams mit etwa fünf Leuten auskommen, werden für die Suche zu Fuß weitaus mehr freiwillige Mitarbeiter gebraucht.

Ganz auf die Einsätze zu Fuß könne der Verein allerdings nicht verzichten, so Engelhardt: „Man kann die Drohnen nur bis circa zehn Uhr morgens verwenden. Das stellt insofern ein Problem dar, dass nicht wenige Bauern ihre Landwirtschaft nur im Nebenerwerb betreiben und daher oft erst am späten Nachmittag mit den Mäharbeiten beginnen.“

Niemals mit bloßer Hand

Wird ein Kitz von den Helfern aufgespürt, gilt es eine wichtige Regel zu beachten: das Kitz niemals einfach so berühren. Britta Engelhardt erläutert das weitere Vorgehen: „Der Nachwuchs hat noch keinen Eigengeruch entwickelt, um dadurch nicht von Feinden aufgespürt werden zu können. Um eine Geruchsübertragung zu vermeiden, werden die hilfsbedürftigen Kitze nur mit Latexhandschuhen angefasst, eingepackt in eine Schicht Gras. Andernfalls könnte die Geiß ihr Junges später aufgrund des Fremdgeruchs eventuell nicht mehr annehmen.“

Danach heben die Retter das Tier möglichst ohne Körperkontakt hoch und bringen es an einen sicheren Ort, bis die Mäharbeiten beendet sind. Bei älteren Kitzen mit ausgebildetem Fluchtinstinkt stülpen die Helfer zudem einen Korb über das Tier, um ein Wegspringen zu vermeiden; das gelingt nicht immer. In solchen Fällen müssen die Helfer sicherstellen, dass die Jungtiere nicht zurück in das gefährliche Areal fliehen.

Einsätze sehr früh

Der Verein „Kitzrettung Oberfranken“ besteht ausschließlich aus ehrenamtlichen Mitgliedern aller möglichen Berufsgruppen, wie die Vorsitzende berichtet. Auch Helfer im Ruhestand seien keine Seltenheit. Teilweise fänden die Einsätze sehr früh statt, was vor allem für die berufstätigen Mitglieder eine nicht zu unterschätzende Zusatzbelastung darstelle. „Für die gute Sache nehmen sie diese aber gerne in Kauf. Kinder dürfen sich bei den Einsätzen am Nachmittag natürlich auch beteiligen, sofern sie einen Erziehungsberechtigten dabeihaben. Mitmachen kann wirklich jeder. Für die kleinen Tierschützer ist es besonders aufregend, wenn ein Kitz geborgen wird. So kann ihnen die Natur hautnah ein Stück nähergebracht werden.“

Bisher war die „Kitzrettung Oberfranken“ vor allem in den Landkreisen Bayreuth und Hof im Einsatz. Im Landkreis Wunsiedel fanden die Einsätze nur sporadisch statt. Die Nachfrage sei bislang einfach sehr gering gewesen, berichtet Engelhardt. Dies soll sich aber in naher Zukunft ändern: „Viele wussten noch gar nichts von der Kitzrettung. Aber die Zusammenarbeit wird immer besser. Man muss den Landwirten die Berührungsängste nehmen und erklären, was genau gemacht wird und wie die Einsätze ablaufen.“

Win-win-Situation

Viele hätten auch ein falsches Bild von der Arbeit des Vereins, erläutert sie: „Wir arbeiten aus Tierschutzgründen, aber wir sind keine militanten Tierschützer. Unsere Aktionen sind unkompliziert und meistens sind alle Beteiligten begeistert. Das spricht sich natürlich unter den Landwirten rum. Außerdem ist es für alle eine Win-win-Situation. Wenn ein verletztes Kitz verendet und im Futter liegen bleibt, das an das Vieh verfüttert wird, kann das den gesamten Viehbestand krank machen.“ Die Landwirte könnten also von den Einsätzen nur profitieren.

Die Vereinsmitglieder sind sich durchaus im Klaren darüber, dass die von ihnen geretteten Rehkitze irgendwann geschossen werden könnten. Allerdings macht es einen großen Unterschied, ob sie mit einem gezielten Schuss erlegt werden oder über Stunden und Tage qualvoll verenden.

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