Zum 900. ihrer Gemeinde stemmen die Aufseßer ein ganz besonders Projekt Aufseß macht Theater

Von Christophe Braun

Kinder besingen Schlägereien, der Bürgermeister steigt aufs Pferd und der Dorfchronist baut eine Hängebrücke an der Schlossmauer: Die Aufseßer bereiten ein Theaterstück über die 900-jährige Geschichte ihres Ortes vor.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Freitagabend in Aufseß. Die Straßen des 1300-Einwohner-Ortes sind wie leergefegt. Aus den Wirtshäusern dringt Lachen und Gläserklirren. Die Turmuhr schlägt vier, fünf, sechs, sieben Mal. Sonst ist es still. Friede in Aufseß also, Freude im Dorf?

Von wegen. Im Schlosshof tobt ein Bruderkrieg. Es geht um die Spaltung des Ortes in Unter- und Oberaufseß. Um Religion und um Macht: Wer hat Zugang zur Schlosskirche, zum Brunnen im Hof? Friedrich von Aufseß, der außerhalb wohnt, ist zu seinem Bruder Carl-Heinrich ins Schloss gekommen. Eigentlich will er Carl-Heinrich beschwichtigen, ihn um Frieden bitten. Aber der will davon nichts wissen: „Dein süßlicher Ton bringt mich zur Weißglut!“, brüllt er, greift nach der Flinte, legt auf Friedrich an, zielt –

„Sehr schön! Aber wendet Euch mehr zum Publikum, damit wir Euch besser hören können!“, ruft Angélique Verdel. Stephan Albert und Michael Wittich sehen von ihren Textbüchern auf. Die beiden stehen auf einer schmalen Terrasse im Schlosshof, dort, wo die verfeindeten Brüder am 28. April 1703 aufeinandertrafen. Vor ihnen stehen gut zwanzig Schauspieler, aus deren Mitte Angélique Verdels fuchsroter Haarschopf hell hervorsticht. Die Darsteller machen eine Vierteldrehung Richtung Publikum. „So besser?“, fragt Stephan Albert, der den Friedrich spielt. Die Regisseurin nickt. Michael Wittich alias Carl-Heinrich beginnt von Neuem: „Dein süßlicher Ton bringt mich zur Weißglut!“ Gekicher im Hintergrund: Was für einen überzeugenden Bösewicht der Wittich doch abgibt!

Ein Dorf spielt sich selbst: Aus Anlass des 900-sten Jubiläums der Gemeinde haben Dorfchronist Dietmar Stadter und Theatersommer-Intendant Jan Burdinski zehn Episoden aus der Dorfgeschichte ausgesucht, die an Originalschauplätzen nachgespielt werden sollen. Material ist reichlich vorhanden. Die Chroniken der Gemeinde lesen sich wie eine fränkische Variante von „Game of Thrones“. Sämtliche Rollen werden von Ortsbewohnern übernommen; mehr als 40 sind dabei, vom Grundschüler bis zum Rentner. Seit Monaten lernen sie Texte auswendig, nähen Kostüme, proben Tänze und basteln Requisiten. Für die Aufführung im Juli wollen sie Pferde heranschaffen und eine Hängebrücke an der Schlossmauer nachbauen.

Angélique Verdel ist die einzige Nicht-Aufseßerin im Team. Die Schauspielerin, Regisseurin und Pädagogin ist seit 2010 festes Ensemblemitglied beim Fränkischen Theatersommer. Laientheater ist ihr Steckenpferd. Die 47-Jährige schafft es, während der Probe überall zugleich zu sein und trotzdem gelassen zu bleiben. Jetzt gibt sie den Darstellern noch Tipps („Du musst jetzt so richtig böse klingen!“ – „Aber ich habe doch Schnupfen!“), einen Augenblick später korrigiert sie den Text, plant die nächsten Termine, plaudert mit dem Bürgermeister, legt ein Tänzchen hin und schafft es trotzdem, die Probe pünktlich zu beenden. Kurz, sie wirkt wie eine fröhliche Zirkusdirektorin.

Nach der Szene mit den Brüdern steht ein Ritterduell auf dem Plan. In den Rollen der Kämpfer: Johannes, 8, und Pascal, 9. Mit einem Ast und einem zusammengerollten Textbuch umkreisen die beiden einander, blecken die Zähne, werfen sich schaurige Blicke zu. Dazu murmelt der Chor:

„Zwei alte Ritter standen einst

Voll tiefen, tiefen Grimmes

Mit Schwert und Lanze kampfbereit

Und jeder ahnte Schlimmes ...“

„Ist gut, oder?“, sagt Ludwig Bäuerlein. Der Bürgermeister ist sichtlich stolz auf das aufwendige Projekt. Auf die Idee, ein Theaterstück auf die Beine zu stellen, seien er und seine Frau Josefine im vergangenen Sommer gekommen, erzählt Bäuerlein: „Es gibt in Aufseß einfach eine Menge zu erzählen!“ Selbstverständlich übernimmt er auch selbst einen Part im Stück: Der Bürgermeister mimt den sagenumwobenen Gründer des Ortes. „Für mich ist es überhaupt kein Problem, schauspielerisch tätig zu werden“, sagt er. Denn: „Alle Bürgermeister sind Schauspieler.“

Info: Das Jubiläum wird das ganze Jahr über gefeiert, vor allem aber am Wochenende vom 18. bis 20 Juli. Das Stationentheater wird am Sonntag, 20. Juli, um 14 Uhr aufgeführt und startet am Dorfplatz. Bis dahn werden wir in loser Folge von den Vorbereitungen berichten.

Fotos: Tobias Köpplinger

Bilder