Telefoniert hatten die beiden schon, einen Gefangenenaustausch und weitere Friedensschritte durchgezogen. Der Ex-Komiker Selenskyj wollte in Paris aber endlich "den Menschen" Putin sehen. Er wollte ein Gefühl dafür bekommen, ob "wirklich alle schrittweise diesen tragischen Krieg beenden möchten", wie er noch am Freitag in einer Talkshow sagte. Rund 13 000 Menschen starben nach UN-Schätzungen bei den Gefechten zwischen ukrainischen Regierungstruppen und aus Russland unterstützten Separatisten.
Selenskyj sagte auch schon früh, dass er sogar mit dem "kahlköpfigen Teufel" verhandeln würde, um den Konflikt zu lösen. Ob er damit auf den in ukrainischen Karikaturen bisweilen so dargestellten Putin anspielte, blieb offen. Aber allen in Paris war klar, dass der Schlüssel für eine Lösung des Ukraine-Konflikts im Kreml liegt. Putin sprach in der Nacht von sachlichen Gesprächen, von einer "Erwärmung" in den Beziehungen.
Zur Seite standen dem unerfahrenen Selenskyj bei dem Treffen mit dem Voll-Profi Putin Frankreichs Präsident Macron und Merkel. Moskaus Staatsmedien zeigten genüsslich Aufnahmen von Selenskyjs Notizen in der Akte auf dem Verhandlungstisch - "alles in seiner Muttersprache Russisch", wie sie zufrieden bemerkten. Die Chemie zwischen Selenskyj und Putin schien zu stimmen.
Dabei hatte Putin dem Politneuling mit dem Rekordergebnis von 73 Prozent bei der Wahl im April nicht einmal gratuliert. Er frotzelte noch im Sommer mit Blick auf Selenskyjs erfolgreiche Fernsehrolle als Präsident, dass es etwas anderes sei, ein Staatsoberhaupt zu spielen als das Amt wirklich auszuüben. Vergiftet hörte sich damals sein Kompliment an, Selenskyj sei ein talentierter Komiker, der es verstehe, sein Publikum einzuwickeln.
Inzwischen aber äußert sich Putin immer wieder anerkennend. "Mir scheint, dass er ein sympathischer Mensch ist und aufrichtig", sagte Putin im Herbst. Er glaube, dass Selenskyj die Situation wirklich zum Besseren verändern wolle. Dafür brauche es Mut und Stärke, sagte Putin auch mit Blick auf Proteste in der Ukraine.
Vor allem kämpferische Nationalisten warnen Selenskyj vor "roten Linien", vor zu großen Zugeständnissen an Russland und die Regionen Luhansk und Donezk. Sie sehen die Gefahr, dass die seit mehr als fünf Jahren dauernden Kämpfe umsonst gewesen sein, die Interessen der Ukraine verraten werden könnten. Selenskyj blieb nach Meinung seiner Delegation aber standhaft.
Für Putin ist der Medien-Profi Selenskyj längst zur Herausforderung geworden. Diente sein Vorgänger Petro Poroschenko mit seiner anti-russischen Wortwahl noch als ideale Hassfigur in dem Konflikt, so ist der Ex-Schauspieler ein Sympathieträger, dessen Art auch bei vielen Russen ankommt.
Putin ist keineswegs als starker Mann nach Paris gekommen. Russland steckt in einer schweren Wirtschaftskrise. Die Akzeptanz in Russland für die Kriege in Syrien und in der Ukraine ist gering. Zudem drücken die Sanktionen der USA und der EU im Zuge des Ukraine-Konflikts auf die Entwicklung in Russland. Umfragen attestieren dem Kreml eine große Unzufriedenheit mit Putins Politik. Deshalb braucht Russland Fortschritte im Konflikt, damit die Sanktionen irgendwann fallen.
Zwar hätte Selenskyj den Gipfel gern noch um US-Präsident Donald Trump und den britischen Premier Boris Johnson erweitert. Immerhin haben die Amerikaner und die Briten das ukrainische Militär im Krieg gegen die prorussischen Separatisten massiv unterstützt. Aber Trump mit seiner drohenden Amtsenthebung und Johnson mit dem Brexit und der Wahl am Donnerstag haben andere Sorgen. Zudem wollten Merkel und Macron und schon gar nicht Putin sich noch von außen reinfunken lassen. Sie wollen den Konflikt selbst lösen.