Wie die vernetzte Zukunft unser Leben und Arbeiten verändert Auftakt: Das ist Industrie 4.0

Von Julia Rau
Wir sind die Roboter: In der Industrie 4.0 arbeiten Mensch und Maschine Hand in Hand – und die Maschinen miteinander. Foto/Archiv: Ole Spata/dpa Foto: red

Die vierte industrielle Revolution ist da. Offiziell schon seit 2011. Da wurde sie auf der Industriemesse in Hannover ausgerufen. Seitdem zieht der Fortschritt weite Kreise. Was in der Wirtschaft angefangen hat, verändert unsere Gesellschaft nachhaltig. In unserer neuen Kurier-Serie über Digitalisierung und Industrie 4.0 zeigen wir jeden Montag, wie die digitale Revolution in Bayreuth ankommt – und was für Blüten die vernetzte Gesellschaft treiben kann.

 
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Die großen Unternehmen haben sich bereits aufgemacht, ihre Produktion zu digitalisieren und ihre Maschinen mit Informationstechnik verwachsen zu lassen. Andere wissen immer noch nicht, was das genau sein soll: „Industrie 4.0“. Den Begriff hat die Politik erfunden, genauer gesagt der Arbeitskreis eines Forschungsprojekts, welches das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert hat. Industrie 4.0 beschreibt die revolutionäre Digitalisierung der Wirtschaft, ein Zukunftsprojekt des Ministeriums.

Grundpfeiler dieser Entwicklung ist die Vernetzung aller Bestandteile einer Produktion mit Software – von Maschinen über Werkzeug bis zum Produkt. Heraus kommen cyber-physische Systeme, die eine Brücke zwischen analog und digital schlagen. Alle Bestandteile dieser Produktion stehen in einem ständigen Datenaustausch, übertragen mit Hilfe von Sensoren und Mikrochips analoge Informationen aus der echten Welt in Datenform in eine virtuelle und zurück.

Maschinen sprechen mit Maschinen

Maschinen arbeiten mit Maschinen zusammen. Eine Vielzahl intelligenter Gegenstände statt einzelner Computer steuern die Abläufe fast in Echtzeit. Die Vernetzung soll am Ende Geld, Zeit und Ressourcen sparen und darüber hinaus eine schnelle Herstellung individualisierter Produkte ermöglichen. So die Vision. Bisher fehlen aber Standards und Musterbeispiele, wie die Vernetzung perfekt gelingt.

„Es gibt noch keine Unternehmen, die alle ihre Maschinen und Prozesse Industrie-4.0-tauglich gemacht haben“, sagt Dr. Heinz Strunz, Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer für Oberfranken Bayreuth. „In der besten Position befinden sich Unternehmen, die schon einen hohen Automatisierungsgrad haben“, sagt Strunz. „Große Unternehmen werden die nötigen Investitionen für die neue Technik auch besser stemmen können“, sagt Prof. Jörg Schlüchtermann vom Lehrstuhl für Produktionswirtschaft und Industriebetriebslehre an der Universität Bayreuth.

Zwei Drittel der Mittelständler habe sich zu wenig mit dem Thema befasst

Die Großen gehen deshalb voran. Der Mittelstand hingegen will sich nicht zu früh die Füße nass machen und schaut erst einmal zu. Laut einer Studie der Commerzbank geben zwei Drittel von 4000 befragten Mittelständlern an, sich zu wenig mit dem Thema zu befassen. Dabei sehen 90 Prozent in der Digitalisierung enorme Chancen. Nur vier von zehn deutschen Unternehmen nutzen laut einer Bitkom-Studie bereits vernetzte Fertigungsanlagen oder intelligente Maschinen.

„Das Ganze ist noch am Anfang der Entwicklung“, meint Schlüchtermann. „Ob das wirklich eine Revolution ist, die alles in Bewegung bringt, oder doch die Euphorie größer ist, wird man sehen.“ Strunz sagt: „Wer bestehen will, kommt um die Revolution nicht herum.“ Zahlreiche Studien prognostizieren der Wirtschaft eine Produktivitätssteigerung von 20 Prozent, wenn Unternehmen Methoden von Industrie 4.0 umsetzen. „Die Produktivität wird sich steigern, aber ich bin skeptisch in welchem Maß“, sagt Schlüchtermann, „denn sie ist schon sehr hoch“.

Massive Veränderungen für Arbeitsmarkt

Wo sich Produktivität verändert, verändert sich auch der Arbeitsmarkt. Eine Studie vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt, dass vor allem Arbeiter mit niedrigen Qualifikation schlechte Karten gegen intelligente Maschinen haben. Während Maschinenbau und die IT-Branche stark profitieren, laufen Anlagenbediener, Hilfs- und Bürokräfte Gefahr, ersetzt zu werden.

Zwölf Prozent der Arbeitnehmer könnten laut Studie bis 2025 von Maschinen abgelöst werden. Amerikanische Wissenschaftler haben errechnet, dass sogar 47 Prozent der Jobs in Deutschland eine „hohe Automatisierungswahrscheinlichkeit“ haben. Schlüchtermann sieht das gelassen: „Man hat schon vor 20 Jahren gesagt, dass Computer den Leuten die Arbeit wegnehmen, und das ist auch nicht eingetreten“, erinnert er. „Die menschenleere Fabrik wird es nicht geben.“ Das IAB hat errechnet, dass Industrie 4.0 in den nächsten Jahren zwar 460 000 neue Arbeitsplätze schaffen, in derselben Zeit aber 490 000 abschaffen könnte.

Während die Wirtschaft mit der Digitalisierung anbandelt, steckt die Gesellschaft schon mitten in einer innigen Beziehung zur Technik. Die meisten Deutschen sind vernetzt und nutzen digitale Angebote.

Glossar:

Automatisierung: Automatisierung bedeutet, dass Prozesse unabhängiger von äußeren Einflüssen werden. Automatische Maschinen laufen selbstständig, so dass nur sehr wenige oder gar keine Handgriffe von Menschen nötig sind. Während bei der Mechanisierung der Mensch von körperlich anstrengenden Tätigkeiten befreit wird, ersetzt ihn die Maschine bei der Automatisierung zudem bei der Bedienung und Kontrolle in der Fertigung. In der Industrie 4.0 ist der Grad der Automatisierung hoch.

Vernetzen: Das Internet wird auch als Netz bezeichnet. Vernetzen heißt demnach, verschiedene Rechner und Maschinen miteinander über das Internet kommunizieren zu lassen.

Digitalisieren: Das bedeutet, analoge Daten – wie Text, Töne und Bilder – in digitale Daten umzuwandeln. Der Prozess der Digitalisierung bedeutet, dass immer mehr Komponenten der echten Welt in virtuelle Daten übersetzt und in ein Datennetz eingebunden werden. Dort können sie verändert, verwaltet und gespeichert werden.

Cyber-physisch: Hinter der Worterweiterung „cyber“ verbirgt sich eine von Computern erzeugte, virtuelle, also echt wirkende Realität. „Physisch“ bedeutet körperlich. Im Zusammenhang mit Industrie 4.0 heißt das, dass Elektronik und mechanische Komponenten mit Software verbunden sind. Geräte sind deshalb auch virtuell wahrnehm- und steuerbar.

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