Wenn kranke Kinder Alltag sind

Von Andrea Pauly
Die eine ist angehende Kinderkrankenschwester im zweiten Ausbildungsjahr, die andere die dienstälteste Krankenschwester am Klinikum: Annabell Weih (l.) und Annenmarie Korn. Foto: Andrea Pauly Foto: red

Annemarie Korn hat 1971 ihre Ausbildung zur Kinderkrankenschwester in Bayreuth begonnen, Annabell Weih ist Auszubildende im zweiten Jahr. Beide arbeiten auf der Station 44 im Klinikum. Wie ist das für sie, wenn Babys sterben? Wie gehen sie mit verzweifelten Müttern um?

 
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Im Doppel-Interview mit dem Kurier erzählen die beiden Frauen aus ihrem Arbeitsalltag.

Warum wollten Sie beide Kinderkrankenschwester werden?

Annabell Weih: Ich fand es schon immer sehr schön, mit Kindern zu arbeiten. Ich habe viele Praktika gemacht, die mich begeistert und am Ende auch hierher geführt haben. Kindergarten war nicht das Richtige, die Erwachsenenpflege auch nicht, und hier konnte ich beides kombinieren.

Annemarie Korn: Ich wollte schon was mit Kindern machen, als ich noch ziemlich jung war. Erst habe ich gedacht, ich werde Krankenschwester. Dann hat sich aber ziemlich schnell herausgestellt, dass ich Kinderkrankenschwester werden will. Da war ich 17. Und ich habe es nie bereut.

Sie arbeiten nicht nur mit fröhlichen, gesunden Babys, sondern mit kranken, teils sterbenskranken Kindern. Wie gehen Sie damit um?

Korn: Das ist gar nicht einfach. Ich versuche, mich so gut wie möglich in die Eltern reinzuversetzen, wie das ist, wenn man ein krankes oder sterbendes Kind hat. Der Patient soll im Mittelpunkt stehen. Das war schon damals so und das ist auch heute noch so. Und die allermeisten Eltern sagen: "Wir haben uns bei Ihnen wohlgefühlt." Das ist für mich und unsere Station das größte Lob.

Weih: Ich war bisher noch nicht mit der Betreuung eines sterbenden Kindes konfrontiert. Aber wir lernen von den examinierten Schwestern, dass nicht nur alles Friede, Freude, Eierkuchen ist und nicht alle Kinder gesund nach Hause gehen können. Es kann passieren, dass Kinder hier sterben. Wir werden von den Schwestern sehr unterstützt, wenn eine solche Situation auftritt.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Korn: Ich bekomme zuerst die Schichtübergabe. Dann fängt man an, die Kinder zu versorgen, in der Früh also wickeln und füttern. Das ist nicht so lapidar wie es klingt. Dann machen wir Visite und setzen das in die Tat um, was dabei entschieden wurde. Dazu kommt das "Außenrum“, einiges Organisatorische und Administrative, damit der Stationsablauf funktioniert. Und wir kümmern uns um die Eltern, vor allem die Mütter. Wir können es gut verstehen, dass die Mütter sehr aufgeregt sind, wenn ihr Kind krank ist. Die Kinder bei uns sind Neugeborene und Kinder bis zwei Jahre. Manchmal können die Kinder nicht schnell wieder nach Hause. Dann ist viel Mutterbetreuung nötig. Da geht es darum, ihnen die Angst zu nehmen.

Weih: Das kommt ganz auf das Lehrjahr an: Je länger wir da sind, desto mehr dürfen wir auch selbst tun. Wir rotieren im Haus auf den Stationen, haben auch Einsätze in der Erwachsenenpflege. Wir machen sehr viel rundherum, damit die examinierten Pflegekräfte, die am Patienten arbeiten, entlastet sind. Wir werden sehr viel angeleitet, lernen Infusionen vorzubereiten und bei Infusionsanlagen zu assistieren, können bei sehr vielen Schritten zuschauen. Morgens helfen wir beim Wickeln und Versorgen. Derzeit bin ich auf der Frühgeborenen-Station. Wir füttern, waschen und wickeln die Kinder, geben Tabletten und dokumentieren. Wir wiegen sie, baden sie und leiten die Eltern an, damit die das dann auch zuhause übernehmen können. 

Was ist das Schönste an Ihrem Beruf?

Korn: Wenn die Kinder gesund nach Hause gehen und die Eltern zufrieden sind.

Weih: Da kann ich nur zustimmen.

Und das Schlimmste?

Korn: Für mich ist das Allerschlimmste, wenn ich das Gefühl habe, dass die Kinder aus einer schwierigen Situation kommen. Wenn ich Bedenken habe, ob sich das Kind normal entwickeln kann, nachdem es nach Hause kommt - das ist für mich am Schwersten. Das geht aber allen Schwestern auf der Station so.

Weih: Ich glaube, dass es für mich am Schwersten ist, wenn ich nicht helfen kann und wenn die Eltern dichtmachen und sich abschotten. Manchmal stoße ich an einen Punkt, an dem ich verzweifelt bin, weil ich den Eltern gerne zeigen würde, dass wir alles für ihre Kinder tun. Wenn die Vertrauensbasis nicht stimmt, macht mich das traurig.

Korn: Ja, das stimmt . Mich macht es auch traurig, wenn die Eltern mit Angst und Unsicherheit  kommen. Dann reden wir mit ihnen, erklären ihnen die Behandlung und versuchen, ihnen die Angst zu nehmen.  

Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen Wunsch frei für Ihre Arbeit, Ihre Station: Was würden Sie ändern?

Korn: Ich würde mir mehr Platz auf unserer Station wünschen. Mehr Zimmer und in jedem Zimmer sanitäre Einrichtungen. Wenn ein einjähriges oder neun Monate altes Kind zusammen im Zimmer sind und nicht einschlafen können, weil das andere schreit - aus gutem Grund - dann ist das schwierig.

Weih: Ich würde mir wünschen, dass mehr Personal da wäre. Manchmal würden uns die examinierten Pflegekräfte gerne so viel mehr zeigen, aber dann fehlt dafür die Zeit. Das ist aber in ganz Deutschland so.

Frau Korn, Sie haben die Entwicklung der Ausbildung über all die Jahre miterlebt. Was sind die gravierendsten Veränderungen?

Korn: Es hat sich alles geändert! Wir sind als Schüler viel mehr in die Verantwortung gezogen worden. Ich habe als Schülerin im ersten Jahr alleine Nachtwache gemacht. Das ist undenkbar heute. Ich hatte im zweiten oder dritten Kurs 39 Kinder allein zu versorgen - kranke Kinder wohlgemerkt. Da hat man seine Station selbst gemeistert. Wir hatten vier Wochen am Stück Nachtwache, nicht zehn Stunden wie jetzt, sondern zwölf Stunden. Da hat man hinterher nicht mehr gewusst, wie man heißt. Jetzt sind nur noch fünf Nächte am Stück erlaubt.  Die Kinder hatten damals nicht so viele Infusionen wie jetzt, es gab nicht so viele Untersuchungen.

Würden Sie in der Ausbildung andere Schwerpunkte setzen?

Korn: Ich würde sagen, dass die Schüler nicht so viele Einsätze in anderen Bereichen haben müssen: In der Notaufnahme, in der Geriatrie, auf der Chirurgischen Station. Kinderkrankenschwester ist eine andere Ausbildung als in der Erwachsenenpflege. Ein Säugling sagt nicht: "Ich hab Bauchschmerzen". Das muss alles die Schwester sehen. 

Weih: Ich finde die Außeneinsätze zwar sehr schön und spannend, aber ich hatte das ganze zweite Jahr Außeneinsätze. Jetzt komme ich zurück und merke: Ich habe kaum Routine im Ablauf in der Kinderklinik.

Korn: Aber das können wir nicht ändern, das ist gesetzlich vorgeschrieben.

Was nehmen Sie aus Ihrem Beruf mit für das Privatleben?

Korn: Man regt sich über Kleinigkeiten nicht so sehr auf. Man stresst sich nicht so. Wenn sich jemand darüber aufregt, dass der Rasen nicht rechtzeitig gemäht wurde, denke ich: "Meine Güte, habt ihr Probleme! Wenn ihr wüsstet, was es für Eltern bedeutet, ein schwerkrankes Kind zu haben und wie dankbar sie sind, wenn sie ihr Kleines gesund mit nach Hause nehmen dürfen!“

Weih: Ich habe gelernt, dass man das schätzen sollte, was man hat, und dass man sich auch über kleine freundliche Gesten freuen kann. Daraus kann man auch sehr viel Energie ziehen.

 

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