Weltkrebstag Sie stemmte sich gegen den Krebs

Peter Rauscher
Nach der Chemo waren ihre Haare erst weg, dann wuchsen sie grau nach: Martina Lammers hat ein Mutmachbuch für Krebskranke geschrieben. Foto: red

Sie kämpfte gegen eine atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, gegen ein atomares Endlager in ihrer Heimat in Gorleben - und dann mit aller Macht gegen ihre eigene Krebserkrankung: Martina Lammers (54), Lehrerin und lange Jahre Vorsitzende des Grünen-Kreisverbandes im Wendland, nahm vor sechs Jahren den Kampf gegen den Brustkrebs auf. Zum Weltkrebstag am 4. Februar gibt sie um 19 Uhr eine digitale Lesung aus ihrem Mutmachbuch „Die Frau, die ich im Spiegel seh.“ Über ihre Geschichte sprach sie mit dem Kurier.

 
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Frau Lammers, wie haben sie von ihrer Krebserkrankung erfahren?

Martina Lammers: Eigentlich wusste ich das schon lange vor der Diagnose. Der Brustkrebs war so stark zu spüren, dass ich keinen Zweifel hatte. Ich wollte aber noch einiges fertigbringen, ehe ich mich in die Mühlen der Medizin begebe. Zu Weihnachten versprach ich meiner Familie, dass ich Anfang Januar sofort zum Arzt gehe und dass ich dann wahrscheinlich länger krank sein werde.

Haben Sie zu lange gewartet?

Lammers: Ja, das habe ich. Ich hatte nicht gedacht, dass es so schlimm bei mir ist. Als die Diagnose dann gestellt wurde, war nicht klar, ob ich das überleben werde. Denn der Krebs war weit fortgeschritten. 19 Lymphknoten waren befallen, 30 wurden entfernt. Wenn ich danach regelmäßig zur Mammografie ging, schaute mich der Strahlenarzt jedes Mal an, als wunderte er sich, dass ich überhaupt noch da bin. Als ich ihn darauf ansprach sagte er, normalerweise würde man bei so einer Diagnose nicht überleben. Offenbar kriegte ich eine hohe Dosis bei der Chemotherapie, nach dem Motto: Entweder ich schaff es oder ich sterbe daran.

Ist Ihre Therapie abgeschlossen?

Lammers: Die Krebstherapie wurde im September 2015 abgeschlossen. Danach war ich drei Wochen auf Sylt. Dann wollte ein Professor in Lüneburg meine Brust, die mir amputiert worden war, sofort rekonstruieren. Der Strahlenarzt hatte abgeraten, aber der Professor bestand darauf und übernahm die Verantwortung. Dem war aber leider nicht so.

Was ist schiefgegangen?

Lammers: Mit diesem Krankenhaus befinde ich mich seit dreieinhalb Jahren im Rechtsstreit. Die Transplantation eines Bauchlappens auf die rechte Brust funktionierte nicht, weil man vergessen hatte, zuvor meine Zuckerwerte zu nehmen. Seit der Chemotherapie bin ich nämlich Diabetikerin. Das Problem ist, dass bei Brustkrebs Ärzte oft versuchen, ihren Patientinnen was einzureden. Bei mir sollte es wie zuvor eine große Brust werden. Jetzt, wo dank eines anderen Arztes alles ausgeheilt ist, habe ich bei beiden Brüsten Normalgröße und kann damit super leben. Aber so, wie es mit dem Rekonstruktionsversuch lief, hatte ich nach der schweren Krebsoperation noch jahrelang ein weiteres Tief zu verkraften.

Was raten sie nach diesen Erfahrungen?

Lammers: Wichtig ist nach allem, was ich erlebt habe, dass immer Zuckerwerte genommen werden, weil sich im Verlauf der Chemo Diabetes entwickeln kann. Und dass man Frauen nicht auf eine Sache hin berät, sondern Alternativen aufzeigt. Und wenn das ein Chirurg nicht kann, muss er halt an einen fachkundigeren Kollegen überweisen.

Sind Sie abgesehen von dem Diabetes jetzt körperlich wieder völlig hergestellt und gesund?

Lammers: Nach 24 Operationen und der schweren Chemotherapie geht das nicht. Neben dem Zucker habe ich starke Neuropathien in Füßen und Fingerspitzen, sodass ich wie auf Eiern gehe. Und ich habe Fatigue, also das Müdigkeitssyndrom. So ab 14 Uhr könnte ich mich hinlegen und schlafen bis zum nächsten Tag.

Trotz allem haben Sie ein Mutmachbuch geschrieben.

Lammers: Ich wollte leben, und ich wusste, dass ich mich gegen den Krebs stemmen muss, sonst sterbe ich. Das Gegen-etwas-stemmen zieht sich durch mein Leben, auch in meinem politischen Kampf gegen Atomkraft. Damit hatte ich immer viel Erfolg und nach Misserfolgen stand ich eben wieder auf. Ich habe gelernt, dass es nichts hilft, wenn man sich hinsetzt und nur klagt, wie schrecklich etwas ist. Man muss annehmen, was ist, und sich überlegen, wie man damit fertig wird. Geholfen hat mir dabei eine gute Psychoonkologin, zu der ich immer noch gehe. Denn ich weiß ja auch nicht, ob der Krebs wiederkommt. Einige Operationen habe ich noch vor mir. Wegen Corona geht das aber nicht so schnell. Ich arbeite auch wieder in meinem Beruf als Lehrerin. Viele Frauen in meiner Situation tun das nicht mehr.

Erklären sie uns den Titel Ihres Buches: "Die Frau, die ich im Spiegel seh‘".

Lammers: Ich hatte früher immer ganz schwarze Haare und eine oder zwei grüne Locken - in Anspielung auf meine politische Geschichte. Mit der Chemo waren die Haare weg, und als sie wiederkamen, waren sie grau.

Sie haben sich nicht nur äußerlich verändert?

Lammers: Ich war früher ein Typ, der morgens um sechs schon die Zeitung lesen musste und ganz viel am Tag schaffen wollte. Heute kann ich vieles auch loslassen. Ich habe auch den Mut zum Un-perfekt-sein. Ich habe früher Kunst studiert und dann im Zuge der Krankheit das Malen angefangen, ganz einfach mit kindlichen Blumenmotiven. Die Bilder sind später sogar ausgestellt worden, mitten in meiner Chemotherapie.

Was ist Ihre Botschaft zum Weltkrebstag?

Lammers: Sich nicht verstecken, die Diagnose annehmen und das tun, was man mit seinen Ärzten vereinbart und wo man ein gutes Gefühl hat; nicht zigtausend Internetseiten dazu ansehen oder sich von allen möglichen Leuten sagen lassen, was man zu tun hat; sich seine Kraftpunkte suchen und nicht alleine bleiben; sich immer wieder selbst was Schönes tun und gönnen. Ganz wichtig ist, seinen eigenen Weg zu finden und zu gehen. Und vor allem: anders als ich rechtzeitig zum Arzt zu gehen.

   


Online-Veranstaltung zum Weltkrebstag

Die digitale Lesung ist Teil einer Onlineveranstaltung des Grünen-Kreisverbandes Bayreuth zum Weltkrebstag am 4. Februar um 19 Uhr. nehmen Dr. Stephanie Schmid (Bayerische Krebsgesellschaft Beratungsstelle Bayreuth) und aus der Selbsthilfe Natascha Michel (Treffpunkt Oberfranken für junge Erwachsene mit Krebs) berichten nach Mitteilung von Grünen-Kreisvorsitzender Susanne Bauer außerdem über Möglichkeiten professioneller Beratung und Selbsthilfe und werfen Schlaglichter auf Bedarfe und Probleme in der Versorgung in Oberfranken und rund um Bayreuth. Wer an der Veranstaltung auf der Online-Plattform Zoom teilnehmen will, schreibt eine Mail an: gruene.susannebauer@gmail.com.

Krebs in Oberfranken

Nach den jüngsten Daten des Bayerischen Krebsregisters erkrankten im Jahr 2018 in Oberfranken insgesamt 6608 Personen an Krebs, davon 2974 Frauen und 3634 Männer. Die häufigsten Tumorarten in Oberfranken waren im Jahr 2018 Darmkrebs (898 Personen, davon 370 Frauen und 528 Männer), Brustkrebs (872 Frauen), Prostatakrebs (793 Männer) und Lungenkrebs (666 Personen, davon 252 Frauen und 414 Männer). Etwa die Hälfte aller Patientinnen und Patienten in Oberfranken ist 70 Jahre und älter.

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