Wenn Ursula Böhner unterwegs ist, geht es immer irgendwie ums Sterben. „Wenn ich morgens die Zeitung aufmache, schaue ich mir erst einmal die Todesanzeigen an“, sagt sie. Ursula Böhner kassiert das Geld für den Lainecker Spar und Sterbeverein. Sie liest die Anzeigen nicht ohne Grund. Denn wenn sie bei ihren Nachbarn klingelt, ist die erste Frage oft: „Wer ist denn a wengala gestorben?“ Böhner muss Bescheid wissen, „immer auf dem neusten Stand sein“, nennt sie das.

Seelsorgerin, Trösterin, Zuhörerin

Ursula Böhner ist das Gesicht des Sterbevereins. Das Amt, das sie im Verein inne hat, heißt Unterkassier. Der Name wird ihrer Aufgabe irgendwie gar nicht gerecht. Sie ist diejenige, der jedes einzelne Mitglied blind vertraut. Sie ist Seelsorgerin, Trösterin, Zuhörerin. Die 70-Jährige sammelt Geld bei den Mitgliedern ein. Jeden Monat läuft sie durch Laineck. Zwei, drei Tage lang.

Jeder zahlt, so viel er will. Mindestens fünf Euro. Manche geben jedes Mal 200 Euro. Ursula Böhner bringt das Geld zur Bank. Der Verein spart es und zahlt es immer am Ende des Jahres mit Zinsen zurück. Vor Weihnachten brauchen das viele. Für Geschenke. Für Versicherungsbeiträge. Für Nachzahlungen.

Aber es geht nicht nur ums Sparen. Es geht auch ums Sterben. Wenn ein Mitglied des Vereins stirbt, bezahlt jeder 1,50 Euro an die Hinterbliebenen. Das Geld gibt es sofort. Nur die Sterbeurkunde müssen die Hinterbliebenen vorlegen. Ein bisschen Geld für die ersten Kosten. Kleidung für die Toten, Grabschmuck, Leichenschmaus. Die Dinge eben, für die man eigentlich gar keinen Kopf hat.

Die Bindlacher Sterbekasse hat ein anderes Modell. Die Mitglieder versichern eine Summe für den eigenen Sterbefall. Höchstens 4600 Euro. Dazu kommen 25 Prozent Gewinnbeteiligung. Für alle, die vor 1941 geboren sind, kommt ein Bonus dazu. Je jünger man beim Eintritt ist, desto günstiger. Davon lässt sich eine Beerdigung zum großen Teil bezahlen. Der Verein ist größer als der in Laineck. 1100 Mitglieder haben eineinhalb Millionen Euro Vermögen. Das Geld dient nur dazu, es im Sterbefall auszuzahlen. „Die Sterbekasse will da sein zu einer Zeit, in der es den Leuten schlecht geht“, sagt Schatzmeister Neithard Prell.

Mit Kaffee und Neugierde

Für viele Mitglieder des Lainecker Sparvereins, vor allem die Älteren, ist Ursula Böhner nicht nur die Frau, die das Geld holt. Sie ist eine Informationsquelle. Sie erwarten Ursula Böhner. Mit Kaffee und Neugierde. Und die Unterkassiererin mag ihre Aufgabe. Ihr Mann sagt: „Wenn du dein Sammeln nicht hättest, wärst du nicht glücklich.“ Jedes Jahr werden zwei Unterkassierern in Laineck neu gewählt. Es ist ein wichtiges Amt. Die Vereinsmitglieder vertrauen ihnen schließlich Bargeld an. Ursula Böhner ist im Spar- und Sterbeverein, seit sie 18 Jahre alt ist. Sie kassiert seit 31 Jahren. Ans Aufhören denkt sie nicht. Einen Nachfolger zu finden ist schwierig.

Werner Hahn hat jahrelang für den Spar- und Sterbeverein kassiert. Als er aus Laineck wegzog, hörte er auf. Doch er liebte seine Aufgabe. Wenn er erzählen soll, war er erlebte, als er von Tür zu Tür ging, fallen ihm tausend Geschichten ein. Eine Frau lud ihn immer zum Abendessen ein. Jedes Mal gab es Romadur-Brot. Bei einem anderen gab es immer einen Schnaps. „Viele sind nicht mal aufgestanden, wenn ich kam.“

In der Schublade ist das Geld und das Sparbuch, nimm’s dir raus, haben sie zu ihm gesagt. Er hätte sich so viel nehmen können, wie er wollte. Aber das macht den Kassier aus: Er muss immer aufrichtig sein. Zuverlässig. Ehrlich. Auf die Frage, ob Ursula Böhner das Geld schon mal verlegt oder gar verloren habe, reagiert sie fast beleidigt: „Nein“, antwortet sie schroff. Sie hütet das Geld. Die paar Euro, die im Sterbefall plötzlich wichtig werden. Denn eine normale Beerdigung kostet schnell mehr als 7000 Euro.

„Das war hart“

Als sein Vater starb, war Frank Potzel froh, Mitglied beim Lainecker Sterbeverein zu sein. 1991 war das. Lange her. Das Grab auf dem Stadtfriedhof ist gepflegt, oben drauf liegt ein Stein. Der erinnert an Potzels Bruder, der vor drei Jahren plötzlich an einem Hirnschlag starb. „Das war hart“, sagt Potzel. Auch als Vorsitzender eines Sterbevereins, wo man viel über den Tod spricht und nachdenkt, ist man nie darauf gefasst, wenn es die eigene Familie trifft.

Die Mitgliederzahl seines Vereins sinkt. Waren vor zehn Jahren noch 330 Lainecker im Sterbeverein, sind es jetzt noch 270. Ein Verein, der, wie es scheint, allmählich ausstirbt. Potzel weiß, dass es nicht viel Geld ist, das seine Mitglieder im Sterbefall bekommen. Wenn jedes Mitglied 1,50 Euro pro Verstorbenem gibt, sind das gerade mal 400 Euro. „Aber es ist ein Taschengeld für den Anfang, für die ersten Ausgaben. Oder solche, an die man nicht gleich denkt.“ Beim Tod seiner Vaters bezahlte Potzel den Grabschmuck vom Sterbegeld.

Potzel ist seit mehr als zehn Jahren Vorsitzender des Spar- und Sterbevereins. Dass der Verein immer unattraktiver wird, weiß er. Und er weiß auch, warum: „die Zinsen.“ Vor 200 Jahren bekam man auf das Geld, das man dem Verein monatlich anvertraute, sieben Prozent Zinsen. Im vergangenen Jahr war es nur noch knapp über einem Prozent. Das Sparen lohnt sich nicht. Den Sterbebeitrag hat der Verein vor einigen Jahren erhöht. Weil es sich sonst gar nicht mehr rentiert.

Auch in Bindlach sinken die Mitgliederzahlen langsam. Auf 15 Sterbefälle im Jahr kommen acht Eintritte.

Potzel aus Laineck und Prell aus Bindlach sind sich einig: Junge Menschen setzen sich zu selten mit dem eigenen Tod auseinander. Schon gar nicht mit den Kosten des Sterbens. Und viele unterschätzen schlicht, wie teuer eine Beerdigung sein kann.