Weihnachtswunder in der Kreuzkirche

Von Norbert Heimbeck
Ein Jahr nach dem Drama herrscht Freude in der Kreuzkirche: Ute Domeyer und ihr Lebensretter Günter Leykam mit dem Defi. Hintere Reihe von links: Michael Garri vom Roten Kreuz, Rettungsassistentin Jana Wenzel und Notarzt Dr. Stefan Eigl. Foto: Ronald Wittek Foto: red

24. Dezember 2014, kurz nach 17 Uhr: Die evangelische Kreuzkirche ist voll besetzt. Ute Domeyer liest gerade das Weihnachtsevangelium vor: "Und siehe, ich verkünde euch eine große Freude ..." Mitten im Satz kippt sie um. Ohnmächtig. Die Gottesdienstbesucher sind geschockt. Nur Kantor Günter Leykam lässt sich von seinen Emotionen nicht überwältigen.

 
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Er lässt die Orgel Orgel sein und eilt zum Altar. Danach läuft alles „wie nach dem Bilderbuch“ ab, sagt der Chef der Bayreuther Notärzte, Dr. Stefan Eigl. Ein Jahr nach dem dramatischen Zwischenfall sitzen Ute Domeyer und ihr Lebensretter in der erneut weihnachtlich geschmückten Kreuzkirche und berichten, was damals passierte. „Ich habe gemerkt, mir wird plötzlich so komisch. Erst im Krankenhaus bin ich dann wieder erwacht,“ sagt die 74-Jährige und strahlt dabei übers ganze Gesicht. Ein Jahr nach dem Kollaps ist sie putzmunter und macht sogar Späße über ihren Klinikaufenthalt: „Die Reha ist kein Zuckerschlecken für einen unsportlichen Menschen wie mich.“

„Kammerflimmern“ lautet später die ärztliche Diagnose. Das weiß Günter Leykam nicht, als er im Rückspiegel seiner Orgel sieht, dass Domeyer nicht mehr an ihrem Platz steht. „Was jetzt? habe ich gedacht, als ich sie da liegen sah,“ erzählt der Kantor. Er rennt von der Orgel nach vorne und beginnt mit Erste-Hilfe-Maßnahmen. Ute Domeyer hat Glück im Unglück: Günter Leykam ist seit 30 Jahren beim Roten Kreuz, unterrichtet Laien und Rotkreuzler im Umgang mit dem Defibrillator. Er weiß also, was zu tun ist.

Was fühlt man, wenn eine gute Bekannte ohnmächtig am Boden liegt? Leykam: „Man funktioniert einfach. In diesem Moment ist kein Platz für Emotionen.“ Der Kantor prüft Atmung und Reaktion der Kollabierten und legt dann die Elektroden des Defibrillators an: „Irgendwann habe ich gemerkt, dass die Kirche plötzlich leer war.“ Pfarrerin Birgit Bauer hat den Gottesdienst abgebrochen und die Besucher nach Hause geschickt. Inzwischen ist ein Rettungswagen eingetroffen, Rettungsassistentin Jana Wenzel ist an Bord. Auch bei ihr läuft die eingeübte Routine ab: „Es ist gut, wenn man etwas tut. Oft traut sich keiner zu helfen. Auch Laien können und sollen Erste Hilfe leisten.“ Die junge Frau hat auch diese Weihnachten wieder Dienst. Von sieben Uhr früh bis sieben Uhr abends steht sie heute mit ihren Kollegen in Notfällen parat.

Michael Garri war vor einem Jahr Schichtführer in der Integrierten Leitstelle, als der Notruf aus der Kreuzkirche einging: „Das berührt einen natürlich, schließlich kennen wir uns alle aus der Kirchengemeinde,“ sagt er. Bei einem Notruf läuft in der Leitstelle ein ausgeklügeltes Protokoll ab, das Laienhelfer im Erste-Hilfe-Einsatz optimal unterstützen soll: „Als ich nachgefragt habe, habe ich gehört, dass bereits eine Laien-Reanimation im Gange ist. Das ist immer gut, denn auf den Ersthelfer kommt es an.“

Alle Profis, die Rotkreuzler und Notarzt Stefan Eigl, betonen, wie wichtig es ist, dass sich Laien Erste Hilfe zutrauen. Michael Garri weiß: „Bis der Rettungswagen eintrifft, dauert es im Bayreuther Stadtgebiet sieben oder acht Minuten. An einem Weihnachtsabend, wenn viel Verkehr herrscht, kann es auch mal länger werden.“ Umso wichtiger sei es, dass sich Laien Erste Hilfe zutrauen.

Ute Domeyer wird heuer am ersten Feiertag die Lesung halten: „Ich gehe mit großer Dankbarkeit in dieses Fest. Anfangs habe ich gedacht, ich hätte den Gottesdienstbesuchern die Weihnachtsfreude genommen. Aber alle haben gesagt: Das hat uns bewusst gemacht, wie schnell es zu Ende gehen kann. Wie oft sagen wir gedankenlos „Gott sei Dank“ – ich habe mein Leben Herrn Leykam, diesem kleinen Kasten und der Gnade Gottes zu verdanken.“

Der plötzliche Herztod

Weil der plötzliche Herztod eine der häufigsten Todesursachen ist, setzen sich die Rettungsdienste für die Ausbildung in Erster Hilfe ein. Dazu gehört auch die Vermittlung von Kenntnissen im Umgang mit dem Defibrillator. Notarzt Stefan Eigl beruhigt: „Als Laie können Sie kaum etwas falsch machen, wenn Sie auf das Gerät hören. Es sagt Ihnen, was zu tun ist.“ Frühzeitige Defibrillation erhöht die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Patienten signifikant. Mit jeder Minute nach Beginn des Kammerflimmerns sinkt die Überlebensrate um zehn Prozent. Die Rettungsdienste werben seit etwa drei Jahren verstärkt für die Laien-Ausbildung. Stefan Eigl: „Damals hatten wir eine Ersthelferrate von knapp 17 Prozent. Heute gehen wir auf die 30-Prozent-Marke zu.“

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