Warum radikalisierte sich Mamdoh A.?

Von Christina Holzinger
Helmut Niederhofer ist Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Bezirkskrankenhaus. Foto: red. Foto: red

Helmut Niederhofer ist Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Bezirkskrankenhaus. Zu seinen Patienten gehören auch minderjährige Flüchtlinge. Für ihn ist klar: Frustration und Druck von der Familie sind schuld daran, dass Flüchtlinge wie der 18-jährige Mamdoh A. aus Syrien Attentate planen.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Welche Auswirkungen hat die Flucht nach Deutschland auf die Psyche der Jugendlichen?

Helmut Niederhofer: „Sicher ist, dass die Flucht nichts Schönes ist. Aber nicht jede Flucht ist gleich ein Trauma. Viel wichtiger ist: Was war vor der Flucht? Denn in manchen Fällen mussten die Jugendlichen zusehen, wie ihre Eltern oder Geschwister getötet wurden. Viele Jugendliche tun sich schwer, sich an die Kultur und die Gepflogenheiten  in Deutschland anzupassen, aber nur wenige sind traumatisiert.“

 

Wie geht es für die Flüchtlinge in Deutschland weiter?

Niederhofer: „Die minderjährigen Flüchtlinge bekommen oft sehr viel Druck von daheim. Die Schlepper versprechen den Familien, dass die Kinder in Deutschland eine Ausbildung, ein Haus und ein Auto bekommen. In Deutschland angekommen, landen die Kinder zunächst in den Auffanglagern. Dort verdienen sie eben keine 2000 Euro, haben keinen Mercedes und kein Haus. Die Eltern haben aber oft ihre Ersparnisse für die Flucht des Kindes ausgegeben und wollen jetzt, dass das Kind ihnen monatlich 1000 Euro schickt. Was sie natürlich nicht können. Sicher ist dieser Druck nicht traumatisch, er wirkt sich aber stark auf die Psyche aus. Was noch dazukommt: Viele der Minderjährigen hatten in ihrer Heimat einen Beruf, ihre Ausbildung wird in Deutschland oft nicht anerkannt und sie können – wenn überhaupt – nur niedere Arbeit verrichten.“

Lesen Sie auch

Und deswegen radikalisieren sich Flüchtlinge wie der 18-jährige Mamdoh A.?

Niederhofer: „Menschen radikalisieren sich aus vielen Gründen. Bei Flüchtlingen ist da zum einen die Ablehnung, die ihnen vielerorts entgegenschlägt. Viele nehmen an, dass Flüchtlinge viel Geld bekommen, ohne dafür etwas zu tun. Diese Ausgrenzung ist natürlich ein Nährboden für Radikalisierung. Dazu kommt noch, dass ihnen von Schleppern Arbeit versprochen wurde. Sie sehen, wie gut es gleichaltrigen deutschen Jugendlichen geht und fühlen sich betrogen. Die Schlepper versprechen ihnen ein Land, in dem Milch und Honig fließen. Sie unterscheiden da nicht zwischen den Versprechen der Schlepper und der Bundesregierung. Aus ihrer Sicht wurden sie vom deutschen Staat betrogen. Sie bekommen von allen Seiten viel Druck: Sie sollen schnell Deutsch lernen, eine Arbeit finden und viel Geld verdienen, dürfen es aber nicht, weil ihr Aufenthaltsstatus unklar ist. Und das frustriert sie natürlich.“

 

Man hört immer nur von einzelnen Attentätern – sind es etwa typische Einzelkämpfer?

Niederhofer: „Einen radikalen Einzelkämpfer wird man selten finden. Die Jugendlichen fühlen sich ausgegrenzt und suchen nach Gleichgesinnten. Viele Gruppen nutzen auch Polemik, Parolen und Populismus, was für viele eine große Anziehungskraft hat. Die Jugendlichen wissen oft ganz genau, wie man solche Gruppen findet. Ich habe bisher kaum einen Flüchtling getroffen, der kein Smartphone hat. Und online findet man deutlich schneller Gruppierungen, die aus Ausgegrenzten wie man selbst bestehen. Die Flüchtlinge sehen, dass sie nicht alleine mit ihrer Frustration und ihren Ängsten sind. Die Gruppen bieten aber auch durch Regeln und Vorschriften Sicherheit, Orientierung und Strukturen.“

 

Warum sind diese Gruppierungen so attraktiv für junge Flüchtlinge?

Niederhofer: „Das liegt daran, dass sich die minderjährigen Flüchtlinge in Deutschland ausgegrenzt fühlen. Und wenn man selbst kein Deutsch spricht, sucht man sich eben eine Gruppe, die die eigene Sprache spricht. In der Gruppe können die Jugendlichen darüber reden, welche Probleme sie haben. Deshalb ist es in der Arbeit mit diesen Jugendlichen wichtig, zu fragen, in welchen Gruppen sich die Jugendlichen herumtreiben. Doch nicht immer stehen die Jugendlichen auch offen dazu und reden darüber.“

 

Kann man dadurch eine Radikalisierung verhindern?

Niederhofer: „Keiner hängt sich eine Tafel um auf der steht, dass man sich radikalisiert hat. Als Betreuungsperson muss man immer wieder deutlich nachfragen, in welchen Gruppen der Flüchtling ist. Dabei ist es egal, ob der Flüchtling allein oder in einer Asylunterkunft wohnt. Doch wer alleine wohnt, braucht in der Regel länger, um radikale Gruppen zu finden und sich anzuschließen. Die Gefahr der Radikalisierung bei den Flüchtlingscamps, wie sie viele fordern, ist groß: Wenn Tausende Menschen auf einem Haufen sitzen, ist die Chance größer, Menschen zu finden, denen es wie einem selbst geht.“

 

Viele denken ja jetzt, Mamdoh A. ist mit dem festen Plan nach Deutschland gekommen, hier einen Anschlag zu verüben. Wie schätzen Sie das ein?

Niederhofer: „Das glaube ich ehrlich gesagt nicht. Niemand flieht ja freiwillig in ein Land, von dem er denkt, dass es schlecht ist. Die Schlepper machen den Flüchtlingen viele Versprechen, die dann nicht gehalten werden können. Die Jugendlichen sind frustriert und fühlen sich benachteiligt. Und das Gefühl der Benachteiligung ist für mich eines der Hauptmotive von Mord: Selbst beim Raubmord oder Mord aus Eifersucht fühle ich mich benachteiligt und töte deshalb Menschen. Was man aber auch nicht vergessen darf: Nur ein kleiner Bruchteil der Flüchtlinge radikalisiert sich, viele wollen einfach nur in Deutschland leben.“

Bilder